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Lesung mit Leidenschaft

Lesung mit Miroslav Nemec: Alexis Sorbas mit Haut und Haar

Schauspieler Miroslav Nemec war für eine Lesung zu Gast im Karlsruher Tollhaus. Den Zuhörern bot er durch seine Lesungskünste einen unvergesslichen Abend. Er las aus dem griechischen Roman „Alexis Sorbas“.

Ein Mann auf einer Couch mit einem Papier in der Hand spricht
Sorbas mit Haut und Haar: Miroslav Nemec geht in seiner Lesung aus dem berühmten Roman von Nikos Kazantzakis auf in de rRolle des griechischen Lebemannes. Foto: Bernadette Fink

Miroslav Nemec ist ein Verwandlungskünstler. Der vom Münchner Tatort bekannte Schauspieler und Musiker liest aus dem Roman „Alexis Sorbas“ (1946) des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis. Regisseur Martin Mühleis hat dem zweifachen Grimmepreisträger ein sinnliches Melodrama mit Musik auf den Leib zugeschnitten, das ein Fenster öffnet in den bewegenden Roman.

„Spiele, Fanourios, spiele – auf dass der Tod stirbt!“ Ein tänzerischer Rhythmus gibt dem Ruf des kräftigen Burschen Schwung, „dem der Flaum noch die Wangen bedeckte“ und der Töne ausstieß „wie ein Schafbock in der Brunst“. Der Bass (Christoph Dangelmaier) hüpft treibend zwischen Tonika und Dominante, angefeuert vom Schlagwerk (Jerome Goldschmidt), das Cello (Ana Helena Surgik) singt.

Und tänzelnd verorten die zart im Zigeunermoll geschlagenen Töne von den Saiten der Santur (Komalé Akakpo) – ein byzantinisches Hackbrett – die ganze Szene in Griechenland. Die Luft knistert förmlich, obwohl auf der Tollhaus-Bühne kein Laubdach von Pappeln zu sehen ist und ein 64-Jähriger die Figur des ewig 20-jährigen Vortänzers beim Ostertanz auf Kreta zum Leben erweckt.

In diesem Moment ist der Tanz unter den Pappeln in vollem Gang. Miroslav Nemec ist der großartige Verwandlungskünstler dieses unvergesslichen Abends im Tollhaus.

Nemec als Verwandlungskünstler

Der vom Münchner „Tatort“ bekannte Schauspieler und Musiker liest aus dem Roman „Alexis Sorbas“ (1946) des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis. Doch ist es mehr als nur eine Lesung. Der Regisseur Martin Mühleis von „sagas“ hat dem zweifachen Grimmepreisträger ein sinnliches Melodrama auf den Leib zugeschnitten, das ein Fenster öffnet in den bewegenden Roman.

Das fünfköpfige Musikensemble „Orchistra Laskarina“, das zum Teil barfuß spielt, poetische Lichtspiele (Birte Horst), ein einfacher Tisch, ein Pult und ein Sofa mit blumengemustertem Überwurf stehen dem Kroaten mit dem schelmischen Blitzen in den Augen zur Seite.

Nemec agiert elegant und wirkungsvoll in dieser den Roman geschickt zusammengestrichenen Lesung zwischen den drei Schauplätzen. Zuerst mit Sakko und Schlips. Beides streift er genüsslich ab – und Sorbas lebt.

Bilder vor dem inneren Auge

„Der Tod stirbt jeden Augenblick und wie das Leben wird er jeden Augenblick geboren“, sinniert er gerade noch als Ich-Erzähler Basil. Um dann laut aufzufahren: „Die Witwe!“ schreit Nemec mit der Stimme eines anderen.

Dann tauchen sie plötzlich vor dem inneren Auge auf, die Bilder aus dem Film von 1964, den man vor einer Ewigkeit gesehen hat: Die schöne Witwe, die Dorfbewohner, all die Melancholie um die Geschichte der beiden ungleichen Freunde Basil und Sorbas und ihre Drahtseilbahn, um Freundschaft, Liebe, Selbstmord und Lynchjustiz – sie werden lebendig.

Griechisches Flair

Es dauert kaum zehn Minuten, bis man den mitgebrachten Alltag auf den Rängen abgeschüttelt hat und sich am Rande der Szenen wähnt, die Nemec nur mit seiner Stimme und ein paar eindrücklichen Gesten schildert.

Die Musik von Christoph Dangelmaier umgarnt die Passagen stimmungsvoll. Alles ist punktgenau durchkomponiert wie eine Oper. Nemec, der in Salzburg am Mozarteum Klavier studiert hat, gelingt das spielerisch.

Ungerade Rhythmen in tänzerischem Fluss, Pentatonik und die Klänge von Bouzouki (Matthias Hautsch) und Santur verströmen unaufdringlich griechisches Flair. Fast kann man das Meer riechen oder die Suppe, mit der Sorbas Basil aus seinen Gedanken reißen möchte.

Ein Schluck Lebensfreude für alle

Nemec ist verblüffend wandlungsfähig, wechselt den Tonfall von Figur zu Figur, fällt ins Falsett bei Madame Hortense, liest unverstellt den nachdenklichen Ich-Erzähler aus England, der in Kreta auf der Suche nach dem Sinn des Lebens ist.

Und er blüht auf als Sorbas. Nemec muss nur wortlos mit seiner Stimme knattern, als wären 17 Selbstgedrehte und ein Glas Rum sein tägliches Frühstück, da ist dieser Lebemann zum greifen nah, der überhaupt nicht versteht, wie man statt Rum lieber Salbeitee trinken kann und der mit sicherem Instinkt auf seinen Bauch hört statt sich den Kopf zu zerbrechen.

Nemec lässt dieses Bündel an Vitalität sprühen und schenkt jedem im Saal einen Schluck ein aus dem randvollen Fass an Lebensfreude.

Zurück bleibt die Sehnsucht

Natürlich darf an diesem Abend der Sirtaki nicht fehlen. Doch ist Mühleis klug genug, den Tanz nicht zur billigen Zirkusnummer geraten zu lassen. Nemec formt nur ein paar Schritte – als das Publikum im Rhythmus zu klatschen beginnt, verweht die Musik in bittersüßer Vergänglichkeit.

Zurück bleibt die Sehnsucht, die zu dieser Geschichte gehört wie der Atem zum Leben. Wer Nemec erlebt, will nicht, dass der Abend endet.

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