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Israelischer Historiker in Karlsruhe

Tom Segev über den Nahost-Konflikt: „Vielleicht haben wir noch nicht genug gelitten“

Der israelische Historiker und Publizist Tom Segev ist zu Gast beim Deutsch-Israelischen Freundeskreis im Stadt- und Landkreis Karlsruhe. Am Mittwoch, 15. November, liest er aus seinem Buch „Jerusalem Ecke Berlin“ vor und teilt seine Erfahrungen.

Die israelische Flagge wird auf die Mauern der Jerusalemer Altstadt in der Nähe des Jaffa-Tors projiziert.
Tom Segev erzählt in seinem Buch „Jerusalem Ecke Berlin“ nicht nur von seinen Erinnerungen in seiner Heimatstadt Jerusalem, sondern auch von seinen Erfahrungen als Journalist (Symbolbild). Foto: Nir Alon picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire

Tom Segev wurde 1945 in Jerusalem geboren. Seine Eltern flohen 1935 nach Palästina. Seit über 50 Jahren gehört der Publizist und Historiker zu den Beobachtern der deutsch-israelischen Geschichte.

Tom Segev
Tom Segev liest beim Deutsch-Israelischen Freundeskreis aus seinem Buch „Jerusalem Ecke Berlin.“ Foto: Dan Porges

Am Mittwoch, 15. November, erzählt er in Karlsruhe von seinem Karrierebeginn in Jerusalem bis zum Ende der DDR. Er beschreibt, wie er sich auf der Suche nach dem Verständnis der deutschen Identität auch mit den historischen Lasten Israels konfrontiert sah. Im Interview spricht er über den Krieg in Nahost und das verlorene Vertrauen der Israelis.

Tom Segev spricht über Lage in Nahost

Wie fühlen Sie sich in der aktuellen Situation in Israel?
Segev
Ich fühle mich schlecht. Die Situation ist schockierend und bedrückend. Ich kann mich gar nicht verpflichten, dass ich Ihnen etwas Kohärentes sagen kann. Aus aller Welt ruft man mich an und will irgendwelche historiosophischen Wahrheiten von mir. Ich weiß überhaupt nicht, wohin dieser Krieg führt. Wir sind alle noch unter dem Schock des 7. Oktober. Das Massaker war so grausam, dass man es sich gar nicht vorstellen kann. Dazu kommt der Krieg. Kein Mensch weiß, wohin der eigentlich führt. Was soll eigentlich mal werden in Gaza?
Haben Sie vielleicht eine Vorstellung davon?
Segev
Momentan ist es so, dass eine Million Palästinenser gezwungen sind, ihre Häuser zu verlassen. Als Historiker erinnert mich das an die „Nakba“, also die Flucht der Palästinenser 1948. Das Schlimmste ist, dass die israelischen Geiseln bisher nicht befreit sind. Das sind über 200 Menschen, die man kennt. Es sind Menschen, die nichts zu tun haben mit Politik, Krieg oder Frieden. Es sind ältere Menschen, Kinder, Säuglinge! Dass die Hamas nach einem Monat noch immer imstande ist, Raketen nach Tel Aviv zu schicken, ist unvorstellbar. Deshalb ist der Schock so groß, weil es in Israel eine ganze Generation gibt, die mit dem Gedanken der Sicherheit aufgewachsen ist.
Ist dieses Vertrauen der Israelis erschüttert?
Segev
Ich bin aufgewachsen mit diesem Konflikt. In Israel ist es üblich, Vertrauen ins Militär zu haben, nicht zur Regierung. Ich glaube aber überhaupt keinem mehr, nicht der Regierung und besonders nicht dem Ministerpräsident Netanjahu. Er ist daran schuld, dass die Hamas so stark geworden ist. Unter seiner Nase hat die Hamas sich Raketen angeschafft und eine unterirdische Stadt gegraben. Das ist unwahrscheinlich.
Auch in Ihrem Buch „Jerusalem Ecke Berlin“ geht es um den Konflikt?
Segev
Darin beschreibe ich eine Passage, in der ich geschrieben habe, dass wir vielleicht noch nicht genug gelitten haben und nur eine wirklich tektonische Katastrophe von biblischem Ausmaß uns dazu bringt, dass wir neu denken – sowohl Palästinenser als auch Israelis. Ich teile mit den Lesern mein Gefühl.
Sie haben auch einen ganz persönlichen Bezug zu Karlsruhe?
Segev
Mein Urgroßvater Hermann Meltzer-Burg war Erster Komiker am Großherzoglichen Hoftheater von Baden in Karlsruhe. Ich selbst aber habe keine Erinnerungen an die Stadt. Es wurde mir aber nett geholfen, als ich auf der Suche nach Akten meines Urgroßvaters war. Die Personalakte haben wir gefunden. Mir fällt nichts ein, das weniger israelisch ist als ein Schauspieler aus dem 19. Jahrhundert.

Veranstaltung

Die Lesung findet am Mittwoch, 15. November, um 19 Uhr, im 6. OG (Casino Saal), Kriegsstraße 100 in Karlsruhe, statt.

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