„Wir sind so verdammt viele!“, ruft eine Rednerin am Mikrofon gegen 13.30 Uhr in die Menge. Die Stimme überschlägt sich fast. Um 12.30 Uhr hat die Demo gegen Rechts und gegen die AfD begonnen. Der gesamte Marktplatz um die Pyramide und einiges darüber hinaus werden regelrecht von Menschenmassen geflutet.
Karlsruhe hat schon viele Demonstrationen gesehen – die am Samstagnachmittag dürfte lange in Erinnerung bleiben.
Sternförmig strömen Menschen zur Demo am Karlsruher Marktplatz
Auf dem Weg Richtung Marktplatz ist um 11.45 Uhr schon klar, dass sich etwas anbahnt. Sternförmig sieht man Menschen in Richtung Innenstadt laufen.
Alle Altersgruppen, Familien, Jung und Alt, Groß und Klein. Auf dem Marktplatz baut Luca Schirmer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) noch auf.
1.000 Demonstrationsteilnehmer war noch am Freitag die Prognose der Veranstalter. „Ich hoffe, es werden mehr.“ Es wurden mehr, viel mehr. In einer Bilanz zum Demo-Tag spricht die Polizei später von 20.000 Teilnehmern.
Vor Ort ist auch die Karlsruherin Lena Wagner, die die Demo für Demokratie mit angemeldet hat. Sie ist in Bruchsal Lehrerin. „Wir haben auf das Grundgesetz geschworen.“ Alle Demokraten müssten jetzt aufstehen. In der Hand hält sie ein Schild: „Vielfalt statt Einfalt.“
Auch sie hat schon gehört, dass offensichtlich viele Menschen auf den Beinen sind und Richtung Marktplatz strömen.
Dass die Karlsruher AfD vor der Demo von einer Verleumdungskampagne und Propaganda sprach, wundere sie nicht. „Das ist die übliche Masche. Es wird erst mal alles bestritten.“
Damit meint sie das Geheim-Treffen von Rechten und Rechtsextremen mit Politikern der AfD und Mitgliedern der CDU in Potsdam und dessen Inhalte.
Es ist meine erste Demo, aber jetzt muss man aufstehen.Dominik Trick
Demonstrationsteilnehmer
Zum Start der Kundgebungen um 12.30 Uhr ist das Menschenmeer komplett. Dominik Trick blickt auf die dicht an dicht stehenden Demonstranten. Der Familienvater hat Frau und Kinder dabei.
„Wir haben in der Familie viel geredet, jetzt sind wir hier. Es ist meine erste Demo, aber jetzt muss man aufstehen.“
Beispiele wie dieses gibt es viele an diesem Nachmittag. Stark vertreten ist die Mitte der Gesellschaft. „Das ist meine Pflicht“, betont Martin Rühle. Seine Frau Gaby nickt und sagt: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Aus Linkenheim sind sie gekommen. Diese Polemik, der Hass mache ihr zu schaffen.
Unzählige Plakate und Schilder halten die Karlsruher Demonstranten hoch
Die Demonstration ist inzwischen auch ein Schilderwald mit Warnungen und Forderungen. „Normalos gegen Faschos“, „Wir schützen die Demokratie“, „Kostenlose Geschichtsbücher für alle“, „Falls die Enkel später fragen, wo du 2024 warst ...“ oder auch der inzwischen Schule machende Satz „Nie wieder ist jetzt“.
Es ist quasi kein Durchkommen mehr auf dem Marktplatz.
Vom Ansturm wurden die Organisatoren überrascht, die Beschallung ist von der kleinen Bühne an der Pyramide in Richtung Rathaus ausgerichtet, die Menschenmenge Richtung Kaiserstraße hört praktisch nichts.
Unmut macht sich aber nicht breit. Es sprechen keine Politiker am Mikrofon.
Es ist endlich der Aufschrei, den wir heute hier sehen.Sprecherin Bündnis Seebrücke
in der Rede an die Menschenmenge
Lange habe sich zu wenig getan, sagt die Sprecherin des Bündnisses Seebrücke. „Es ist endlich der Aufschrei, den wir heute hier sehen.“
Ein Iraner von „Frauen. Leben. Freiheit“ wirft ein „Ich bin überwältigt!“ in die Menge. „Wir lassen nicht mehr zu, dass man uns zu einer schweigenden Minderheit degradiert. Wir sind die Mehrheit.“
Riesige Menschenmasse auf Karlsruher Marktplatz bleibt ruhig
Stellenweise geht es sehr eng zu auf dem Marktplatz. Die Masse bleibt jedoch ruhig, und in Ruhe wird gegen 13.30 Uhr dann angekündigt, dass man nun ganz langsam den Demonstrationszug in Gang bringen will.
Die Karl-Friedrich-Straße zum Platz der Grundrechte ist für diese Menschenmenge ein richtiger Flaschenhals. Doch es funktioniert.
Richtung Platz der Grundrechte hat es auch Silvia Vollmer geschafft und ist von den Eindrücken überwältigt. „Das ist in meinem Leben das allererste mal, dass ich auf einer Demonstration bin“, verdeutlicht die 71-jährige Karlsruherin.
Die Gemeinschaft so vieler Menschen gehe unter die Haut. „Man hat es so gespürt.“
Kinder und Eltern stehen Seite an Seite
Seine drei Kinder hat Florian Wichtner aus der Karlsruher Weststadt mit dabei. „Wir wollten hier mitmachen.“ Die großen Zusammenhänge verständen die noch kleinen Kids vielleicht erst später. „Aber sie sehen hier, dass das nicht nur die Meinung ihrer Eltern ist.“
Das ist absolut irre!Lena Wagner
Initiatorin und Lehrerin
Demo-Organisatorin Lena Wagner ist nicht zu finden in der Menge. „Das ist absolut irre“, betont sie am Telefon. „Und es ist ein friedliches Miteinander.“
Natürlich seien viele Leute auf sie zugekommen, hätten gedankt, dass die Demo angeschoben wurde. Doch darum gehe es nicht. „Wenn ich es nicht gemacht hätte, hätte es jemand anderes gemacht.“
Demonstrationszug durch Karlsruhe nimmt kein Ende
1.400 Meter umfasst Demo-Laufstrecke bis zurück zum Markplatz, als die Spitze dort wieder ankommt, sind viele noch gar nicht losgegangen – so lange ist der Demonstrationszug.
Die Bilanz scheint makellos. Der Polizeiführer vom Dienst im Polizeipräsidium bilanziert nach der Demo: „Das hat alles geklappt und lief aus polizeilicher Sicht völlig störungsfrei.“