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Treffpunkt gegen Einsamkeit

Beim ersten Friedrichstaler Mittagstisch ist fast jeder Platz besetzt

Noch mehr Gäste hätten kaum kommen dürfen. Von 40 Fleischküchle sind gegen Ende nur noch vier übrig. Das Angebot soll jetzt jede Woche stattfinden.

Personen stehen vor der Essensausgabe
Essensausgabe beim Friedrichstaler Mittagstisch im Vereinsheim des TV Friedrichstal. Ortsvorsteher Lutz Schönthal (rechts) ist mit der Nachfrage sehr zufrieden. Foto: Madita Steiner

Hede von Nagel ist seit rund 40 Jahren Witwe. Zu Hause sitzt die 90-Jährige allein vor ihrem Teller. Wie ihr geht es auch anderen Menschen in Friedrichstal. Die beiden Gemeindepfarrer Lothar Eisele und Jens Meierhof wollten dem etwas entgegensetzen.

Sie wendeten sich an den Ortsvorsteher Lutz Schönthal, um ein offenes Treffen außerhalb des kirchlichen Kontexts auf die Beine zu stellen. Am Donnerstag um 12 Uhr ging der Mittagstisch im Vereinsheim des Turnvereins (TV) Friedrichstal in die erste Runde. Ab sofort soll er jede Woche stattfinden.

Von Nagel genießt den Austausch. Sie ist von früher ein ereignisreiches Leben gewöhnt. „Ich bin als Künstlerin herumgefahren, habe verrückte Sachen gemacht“, sagt sie. Sie erzählt von ihrer Kindheit in der Zeit des Nationalsozialismus, die sie bis heute belastet.

Die Erfahrungen habe sie als Metallbildhauerin verarbeitet. 22 Jahre habe sie so in den USA ihr Geld verdient. Zurück nach Deutschland kam sie nur, weil ihre Mutter Unterstützung brauchte. Beim Mittagessen trifft sie jetzt auf Freunde und Bekannte, die sie seit Jahrzehnten kennt.

Sechs Ehrenamtliche bringen Salat und den Hauptgang an den Tisch. Insgesamt haben sich knapp 30 Ehrenamtliche zur regelmäßigen Hilfe bereiterklärt, sagt Schönthal. Sie wechseln im Turnus durch.

Fast alle Stühle sind belegt. Es hätten kaum mehr Gäste kommen dürfen. Oder in Schönthals Rechnung nach der Ausgabe: Von 40 Fleischküchle sind nur vier übrig. Gerade, als er das sagt, betritt ein letzter Gast den Raum. Hier kennt man sich. Sie läuft geradewegs auf eine andere Frau zu und eröffnet ohne Umschweife: „Gestern Abend rief meine Schwester an.“

Dreh- und Angelpunkt für weitere Aktionen

Viele Frauen in der Runde essen im Alltag vegetarisch oder nur einmal die Woche Fleisch. Diesmal lassen auch sie sich ein Fleischküchle schmecken. Eine von ihnen ist die 88-jährige Ilse Hornung. Sie war mit ihrer Sitznachbarin am Morgen bei der Gymnastik. Das Mittagessen ist Dreh- und Angelpunkt für weitere Aktionen. Während des Gesprächs bekommt Hornung einen Flyer zum Spielnachmittag in die Hand gedrückt.

Das Ehepaar Paulov kommt aus Spöck und will hier neuen Anschluss finden. In ihrer Nachbarschaft wohnen überwiegend junge, berufstätige Menschen. Das Paar ist vor 50 Jahren aus dem damaligen Jugoslawien hergezogen. Die Hoffnung auf besser bezahlte Arbeit brachte sie her.

Aleksanda Paulov ist glücklich, Angebote wie den Mittagstisch für die ältere Generation in Deutschland zu sehen. In südlichen Ländern habe er beobachtet, wie die Älteren von der Familie umsorgt werden. Mit Blick auf andere europäische Länder ist es für ihn nicht selbstverständlich, dass sich die Bevölkerung auf diese Weise um die Bedürfnisse der Senioren kümmert.

Luitgard Mitzel-Landbeck, ein weiterer Gast, ist im Ortschaftsrat aktiv. Dort hätten sie sich ohne eine Gegenstimme für den Mittagstisch entschieden, erzählt sie. Sie sei von einem Bürger gefragt worden, ob man das Essen nicht montags stattfinden lassen könne. Er sei schon über das Wochenende so lange allein.

Das kennt Ilse Hornung. Obwohl sie diese Woche nicht nur bei der Gymnastik ist. Auch drei Geburtstage stehen in ihrem Kalender. Mit einem der Geburtstagskinder ist sie seit 60 Jahren im Kirchenchor. Sie kennt viele Menschen im Ort. Trotzdem antwortet sie auf die Frage nach Einsamkeit achselzuckend: „Was soll man machen?“

Die meisten Gäste wollen wiederkommen

Gemeinschaft bringt ihr neben ihren Weggefährten in Friedrichstal die Familie. Hornung hat vier Enkel und zwei Urenkel. „Das macht Spaß“, sagt sie. Bei ihrem ältesten Urenkel beobachtet sie die ersten Schritte in der Schule. Ihre Gymnastikgenossin verlor vor 17 Jahren ihren Mann. Seither lebt auch sie allein.

Mit wenigen Ausnahmen besuchen vor allem Senioren die Aktion. Eingeladen sind jedoch Friedrichstaler aller Altersklassen, betont Schönthal. Pro Mahlzeit sind sechs Euro veranschlagt. Doch jeder dürfe so viel geben, wie ihm möglich ist.

„Wer kann von Ihnen schon sagen, dass er nächste Woche kommt?“, fragt Schönthal nach der Hauptspeise in die Runde. Die meisten heben die Hand. Für nächsten Donnerstag rechnet er mit 50 Mahlzeiten.

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