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Gute Schulden, schlechte Schulden

Karlsruher Verfassungsgespräch beschäftigt sich mit Schuldenbremse und Staatsfinanzen

Seit 2009 gilt die Schuldenbremse. Doch Corona, Ukraine-Krieg und Energiekrise zwangen Bund und Länder, kräftig neue Kredite aufzunehmen. Beim Karlsruher Verfassungsgespräch drehte sich alles um die Frage, wie nötig und sinnvoll das war.

Blick auf ein Bild der "Schuldenuhr Deutschlands" an einem Bürogebäude, in dem sich das Büro vom "Bund der Steuerzahler" (BdSt) befindet.
Die „Schuldenuhr“ tickt. Auf über 2,3 Billionen Euro belaufen sich die Verbindlichkeiten der öffentlichen Haushalte in Deutschland. Das ist trotz Schuldenbremse ein neuer Rekord. Foto: Jörg Carstensen/dpa

Frank Mentrup weiß, wovon er spricht. Einerseits laste die Schuldenlast schwer auf dem Haushalt Karlsruhes und zwinge den Rat der Stadt zu schmerzhaften Einschnitten.

Andererseits aber wirke der Verzicht auf Investitionen gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten kontraproduktiv und führe zu Stagnation.

Die Pro-Kopf-Verschuldung im Kernhaushalt der Stadt Karlsruhe belief sich zum 31. Dezember 2021 auf 1.509 Euro, mit allen städtischen Beteiligungen und Unternehmen sind es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 10.229 Euro.

Sparmaßnahmen sind von der Stadtgesellschaft nicht gewollt.
Frank Mentrup, Oberbürgermeister

So bringt der Karlsruher Oberbürgermeister das Dilemma beim 23. Karlsruher Verfassungsgespräch im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts auf den Punkt: „Schulden können zu Wirtschaftswachstum beitragen und in Krisenzeiten die Wirtschaft stabilisieren.“

Aber sei die Last zu groß, könne man durch den Schuldendienst weniger für Investitionen ausgeben, was wiederum den Handlungsspielraum einschränkt. Zudem seien Sparmaßnahmen „von der Stadtgesellschaft nicht gewollt“.

Gibt es also gute Schulden im Gegensatz zu schlechten Schulden? Und wie sinnvoll ist die seit 2009 im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“, die den Bund und die Länder in die Pflicht nimmt, ausgeglichene Haushalte vorzulegen? Zum zweiten Mal nach 2006 beschäftigten sich die „Karlsruher Verfassungsgespräche“ mit der Lage der Staatsfinanzen.

Karlsruher Verfassungsgespräch: Schuldenberg beträgt 2,367 Billionen Euro

Damals wie dieses Mal ein Thema von Brisanz, haben doch trotz des geltenden Neuverschuldungsverbots Bund und Länder als Folge der Corona-Pandemie sowie des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise massiv neue Kredite aufgenommen, zum Teil getarnt als „Sondervermögen“, wodurch die gesamtstaatliche Verschuldung auf den Rekordwert von 2,367 Billionen Euro anstieg.

Auf dem Podium des Verfassungsgerichts prallten die unterschiedlichen Positionen in der ebenso anregend wie kontrovers geführten Debatte aufeinander. Auch der Staat könne nicht unbegrenzt Schulden aufnehmen, argumentierte der frühere sächsische Finanzminister und Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU).

Man gönne sich etwas, was man sich eigentlich nicht leisten könne und verschiebe die Last in die Zukunft. Die Schuldenbremse zwinge die öffentliche Hand, sparsam zu wirtschaften.

Damit es keine Dauerrezession gibt, muss sich der Staat verschulden.
Friederike Spiecker, Volkswirtin

Dagegen warnte die Volkswirtin Friederike Spiecker vor einem rigorosen Sparkurs. „Damit es keine Dauerrezession gibt, muss sich der Staat verschulden.“ Jeder Schuld stehe auf der Gegenseite auch ein Vermögen gegenüber. Schulden seien dann gut, wenn sie „gerechtfertigt“ seien und „freiwillig“ gemacht würden, so ihre These. „Schlechte Schulden sind die, die man unfreiwillig machen muss.“

Der Wirtschaftsweise Martin Werding, Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum, verteidigte die massive Neuverschuldung der vergangenen drei Jahre mit Blick auf die starke Wirtschaftskraft Deutschlands.

So liege die Staatsverschuldung, die schon einmal bei 82 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) lag, gegenwärtig bei 66,4 Prozent. „2020 bis 2022 konnte man in die Vollen gehen, weil zuvor konsequent konsolidiert wurde.“ Allerdings dürfe dies kein Dauerzustand werden. „Wir sind nicht ständig im Krisenmodus. Sonst fliegen uns die Schulden um die Ohren.“ Zum Problem würde es, wenn mit Schulden strukturelle Probleme bekämpft würden.

Der Wirtschaftsjournalist und Podcaster Ole Nymoen verwies darauf, dass man sich noch immer in der Krise befinde. „Daher ist es zu früh, um zu sparen.“ Das habe selbst FDP-Finanzminister Christian Lindner erkannt, der eigentlich mit dem Versprechen angetreten war, keine Schulden zu machen. „Er ist viel pragmatischer als er tut.“ Nicht nur mit Schulden belaste man die nächste Generation, sondern auch mit nicht getätigten Investitionen, die hinterher umso höhere Ausgaben nötig machten.

Inflation verringert Staatsschulden

Vor einem allzu sorglosen Griff in die Pulle warnte hingegen der frühere Finanzminister Milbradt. Es habe noch nie funktioniert, mit Schulden ein Wirtschaftswachstum zu finanzieren.

Dies sei nur ein Vorwand der Politik, nicht sparen zu müssen. Die massive Ausweitung der Geldmenge durch die Anleihenaufkäufe der EZB habe die hohe Inflation zur Folge, die nach seiner Ansicht noch länger anhalten werde. Der Staat profitiere von der Inflation, da diese die Verschuldung verringere. Die Zeche müssten hingegen die Bürger bezahlen, deren Vermögen entwertet werde.

Dem widersprach die Volkswirtin Spiecker. Angebotsengpässe und Spekulationen hätten die Inflation befeuert, aber die Preise würden schon wieder sinken. „Die Tarifabschlüsse sind sehr vernünftig, so dass das Preisfeuer auf Dauer kein Holz mehr findet.“

Sagt den Bürgern, dass der Staat kein Weihnachtsmann ist.
Georg Milbradt, Ex-Ministerpräsident von Sachsen

Was aber bedeutet das für die Politik? In diesem Punkt waren sich die Disputanten im Grundsatz einig: mehr Ehrlichkeit. „Sagt den Bürgern, dass der Staat kein Weihnachtsmann ist“, appellierte der Ex-Politiker Milbradt an die aktive Generation. Zu der Ehrlichkeit gehöre auch, dass Steuererhöhungen kein Tabu sein sollten. Auch die Volkswirtin Friederike Spiecker plädierte dafür, die privaten Ersparnisse und Vermögen in Höhe von 7,25 Billionen Euro stärker in den Blick zu nehmen.

Nach Ansicht des Wirtschaftsweisen Martin Werding sind über viele Jahre hinweg dreistellige Milliardenbeträge nötig, um Deutschland zu modernisieren. „Das kann nicht nur der Staat stemmen.“ Der Jüngste in der Runde, Ole Nymoen, gestand hingegen, dass er „mit gewisser Angst“ in die Zukunft blicke. „Wen trifft es als Erstes?“, fragte er, um gleich selbst die Antwort zu geben: „Die, die ohnehin schon wenig haben.“

In eigener Sache

In einer früheren Version dieses Artikels haben wir von einer Pro-Kopf-Verschuldung von über 10.000 Euro gesprochen. Oberbürgermeister Frank Mentrup hat zur Eröffnung des Karlsruher Verfassungsgesprächs keine Schuldenlast pro Einwohner in Euro genannt. Diese Zahl des Statistischen Bundesamtes bezieht sich nicht nur auf den Kernhaushalt der Stadt, sondern schließt alle Schulden aller städtischen Beteiligungen und Unternehmen mit ein.

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