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Interview

KVV-Chef Pischon: "Ein 365-Euro-Ticket halte ich für falsch"

Mit der für Sommer 2021 geplanten Inbetriebnahme des Karlsruher Kaiserstraßentunnels rückt auch ein Meilenstein im Ausbau des Nahverkehrssystems in der Region näher. Auch generelle Trends ändern sich derzeit in der Nahverkehrsbranche. Wir haben mit KVV-Geschäftsführer Alexander Pischon über die Überlegungen beim KVV in Richtung einer modernen Mobilität gesprochen.

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KVV Chef Foto: Hora

Herr Pischon, können Sie uns einmal kompakt eine Vision vom Nahverkehr der Zukunft in der Region Karlsruhe entwickeln?

Kurzfristig geht es darum, dass wir unser Angebot stabilisieren. Das Problem der Ausfälle wegen Personalmangels haben wir weitestgehend in den Griff bekommen. Jetzt geht es um Qualität für unsere Fahrgäste, und dazu zählt auch die Pünktlichkeit. Ich setze darauf, dass wir mit der planmäßigen Öffnung des Kaiserstraßentunnels diesem Ziel sehr nahekommen. Dann geht es um neue Verträge mit der Stadt, den Landkreisen und dem Land für die künftigen Verkehrsleistungen und damit die langfristige Sicherung von Arbeitsplätzen.

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…. und etwas langfristiger?

Da haben wir viele Themen. Wir bringen den digitalen Ausbau voran. Ein Stichwort ist die App „regiomove“, die vernetzte Mobilität ganz einfach nutzbar machen soll. Mit dieser können wir auch die geplante „Home Zone“ einführen. Das ist ein neues Tarifmodell, bei dem sich der Kunde seinen eigenen Bereich definieren kann, in dem er unterwegs ist – unabhängig vom Wabensystem. Multimodale Verkehrsmöglichkeiten wollen wir voranbringen. Denken Sie an unseren Test mit dem autonom fahrenden Bus im Karlsruher Stadtteil Weiherfeld-Dammerstock. Auf der Schiene wollen wir weitere Strecken aus- und neubauen. Der barrierefreie Ausbau aller Haltestellen fordert uns gewaltig. Und dann haben wir noch ein sehr großes Paket „Neubeschaffung von Fahrzeugen“ geschnürt.

Von den Visionen zur Realität. Der KVV hat in den vergangenen Jahren viel Renommee verloren. Wie wollen Sie das zurückgewinnen?

Indem wir unser Angebot stabilisieren und für die Kunden wieder verlässlich werden. Was die Vielzahl der Baustellen angeht, kommt mit dem Sommer 2021 eine deutliche Entlastung, wenn mit der geplanten Eröffnung des Kaiserstraßentunnels der Betrieb pünktlicher wird, weil wir unterirdisch fahren. Das große Problem der fehlenden Fahrer haben wir mit großen Anstrengungen kompensiert.

Ein beliebtes Diskussionsthema bezüglich des öffentlichen Nahverkehrs ist die 365-Euro-Jahreskarte . Der Gemeinderat Karlsruhe und der Kreistag des Landkreises lehnen sie ab. Wie ist Ihre Meinung?

Da habe ich eine klare Ansicht: Das 365-Euro-Ticket halte ich für falsch. Es brächte für den KVV eine Verringerung der 140 Millionen Euro jährlicher Fahrgeldeinnahmen um 40 bis 50 Millionen. Das über Umsteiger und Neukunden wieder auszugleichen, ist illusorisch. Wir müssen in die Infrastruktur investieren, in den barrierefreien Ausbau, in moderne Fahrzeuge und wir haben Gehaltssteigerungen beim Personal. Aus KVV-Sicht erreichen wir eine Steigerung der Fahrgastzahlen vor allem auf einem Weg: durch ein weiter verbessertes Angebot.

Aber andernorts scheint das doch zu funktionieren – Stichwort Wien?

Das stimmt nur bedingt, da auch in Wien durch das 365-Euro-Ticket die Fahrgastzahlen nur um drei bis fünf Prozent gestiegen sind. Dazu muss man aber sagen, dass in Wien vor der Einführung des 365-Euro-Tickets zunächst über viele Jahre der Ausbau des ÖPNV-Angebots konsequent vorangetrieben wurde. Man muss auch wissen, dass Wien den Nahverkehr jährlich mit rund 750 Millionen Euro alimentiert. Der Autoverkehr wurde dort aus der Innenstadt weitgehend herausgedrängt und Unternehmen zahlen für den ÖPNV mit.

Wenn wir bei Tarifen und Tickets sind – das KVV-Wabensystem ist uralt, kompliziert und ungerecht. Kurzstreckentickets gibt es nicht. Das Thema entfernungsabhängiger Tarif ist nur unzulänglich abgebildet. Sie haben die „Home Zone“ erwähnt. Löst die die Waben ab?

Es ist nicht geplant, die Waben abzuschaffen. Die sind ja auch politisch intensiv verhandelt worden und bilden weiterhin für einen großen Teil unserer Kunden das attraktivste Tarifangebot – gerade auf langen Strecken. Die „Home Zone“ ist ein ganz neues Angebot, mit dem der Kunde monatsweise für sich einen Fahrtbereich definieren kann. Das ist vor allem für Fahrgäste an Wabengrenzen interessant. Die „Home Zone“ wird allerdings nur über das Smartphone zu kaufen sein.

Zu welchem Preis?

Das steht noch nicht fest. Aber für bestimmte Relationen wird die „Home Zone“ tendenziell günstiger sein als die vergleichbare, herkömmliche Fahrkarte.

Ab wann gibt es das?

Wir werden das im Laufe des Jahres zunächst intern testen. Dann kommen aus unserem Kundenkreis die „friendly user“ dazu, die die „Home Zone“ quasi im Realbetrieb checken sollen. Im Sommer 2021 soll das neue Angebot allen Fahrgästen zur Verfügung stehen.

Neues Angebot – Sie planen weit in die Zukunft auch Erweiterungen und Ergänzungen im Bahnnetz. Wo genau?

Wir untersuchen da ganz viele Projekte. Ein großes konkretes Vorhaben ist beispielsweise die Einschleifung der S31/32 aus Richtung Bruchsal in die Karlsruher Innenstadt. Bislang fährt die Linie in den Hauptbahnhof. Wir untersuchen weiterhin einen Streckenneubau vom Hauptbahnhof Karlsruhe direkt zur neuen Messe. Weit gediehen sind unsere Überlegungen zum zweigleisigen Ausbau der S-4-Strecke von Grötzingen Richtung Bretten. Die Verbindung vom Bahnhof Baden-Oos Richtung Baden-Baden Innenstadt ist ein Thema. Eine Überlegung ist auch eine Reaktivierung der Strecke Rastatt – Iffezheim – Baden Airpark – Kehl. Ebenso der dreigleisige Ausbau zwischen Söllingen und Wilferdingen. Das ist aber bei weitem noch nicht alles, worüber wir nachdenken.

Beim abgesagten Mobilitätskongress sollte es in Karlsruhe auch um Zukunftsmodelle gehen. Fährt 2030 überall der fahrerlose Bus?

Das wird sicher nicht der Fall sein. Es ist überhaupt die Frage, ob es in zehn Jahren schon flächendeckend große autonome Busse im Alltag geben wird. Allerdings ist das ein echtes Zukunftsthema, mit dem wir uns in Karlsruhe sehr intensiv befassen. Es wird sich dabei aber immer um Ergänzungsverkehr handeln – Zubringer zur Straßenbahn für die erste und letzte Meile. Auch macht das eigentlich nur in der Stadt Sinn. Im ländlichen Bereich wird es für den autonomen Bus als Teil der Mobilitätskette schwierig – wegen der Entfernungen und des Fahrgastaufkommens. Aber auch das werden wir uns noch genauer anschauen.

Der ÖPNV ist aktuell durch Bund und Land einigermaßen gut finanziert. ÖPNV ist ein hippes Thema. Gerade in den Städten haben viele junge Leute kein Auto und fahren öffentlich. Trifft das auch im KVV-Land zu und welche Angebote haben Sie für diese Zielgruppe?

ÖPNV ist bei den jungen Menschen vor allem dank Greta und der Fridays for Future Bewegung so in wie lange nicht mehr. Wir begleiten die jungen Fahrgäste mit attraktiven Abo-Angeboten ab der ScoolCard, über die Ausbildungskarte und die Studikarte bis zum Job-Eintritt und wollen sie dann als Kunden halten. Dabei helfen uns unsere modernen Apps wie kvv.mobil und ab dem Sommer auch regiomove. Ich denke, gerade das Thema Multimodalität, die freie und täglich neu wählbare Option, mit modernen Verkehrsmitteln umweltfreundlich unterwegs zu sein, zieht bei den jungen Menschen. In den nächsten Tagen integrieren wir auch E-Scooter in unsere App kvv.mobil.

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