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Vortrag am KIT

Nobelpreisträger Reinhard Genzel hält Vereinbarkeit von viel Familienzeit und Karriere für Selbstbetrug

Mit Reinhard Genzel spricht an diesem Mittwoch ein Physik-Nobelpreisträger am KIT über „Galaxien und Schwarze Löcher“. Aufhorchen lassen auch seine Meinungen zu modernen Vorstellungen von Karriere und Familie.

Reinhard Genzel gestikuliert bei einer Podiumsveranstaltung. Beim Planetarium kam der Nobelpreisträger Genzel mit Nachwuchsforschern zusammen, um einen Einblick in die Wissenschaft und Ihre Bedeutung für die Menschen zu vermitteln. +++ dpa-Bildfunk +++
Fordert mehr Ehrlichkeit: Reinhard Genzel, Physik-Nobelpreisträger von 2020, hält die Vereinbarkeit von viel Familienzeit und wissenschaftlicher Karriere für einen Selbstbetrug. Foto: Stefan Puchner/dpa

Gibt es Leben da draußen im All? Immer wieder bekommt Reinhard Genzel diese Frage gestellt. Als Entdecker des Schwarzen Loches im Zentrum unserer Milchstraße hat der Astrophysiker weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Gemeinsam mit der US-Astronomin Andrea Ghez hat er für diesen Durchbruch den Physik-Nobelpreis im Jahr 2020 erhalten.

Doch grüne Männchen, womöglich noch in fliegenden Untertassen? Oder Fantasien von einer Kontaktaufnahme zwischen Außerirdischen und den Erdenbewohnern? Über solche Visionen spricht der Nobelpreisträger mit einem gutmütigen Schmunzeln.

Er rechne durchaus in den nächsten zehn bis 20 Jahren mit neuen Erkenntnissen zu außerirdischem Leben, sagt er. Aber den Fans von abenteuerlichen Science-Fiction-Ideen stelle er gerne die Frage: „Ist Ihnen ein Bakterium genug?“

Reinhard Genzel entdeckte ein „supermassereiches“ Schwarzes Loch

Ein „Telefongespräch“ mit extra-terrestrischen Lebewesen jedenfalls erwarte er nicht, sagt Genzel lachend. Gut gelaunt sitzt er im Schlosshotel am Karlsruher Bahnhof und erzählt von seiner Arbeit. Eine Arbeit, die Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde fasziniert – und die doch das Vorstellungsvermögen von Laien sprengt.

Das fängt schon mit dem missverständlichen Begriff des Schwarzen „Loches“ an. Wo ein Loch ist, da ist nach dem alltäglichen Sprachgebrauch rein gar nichts. Die monströse Entdeckung von Genzel jedoch ist ein „supermassereiches“ Schwarzes Loch, in dem sozusagen die Masse von mehr als vier Millionen Sonnen zusammengeballt ist. So dicht, dass kein Licht hervordringen kann.

Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße: Nobelpreisträger Reinhard Genzel wies seine Existenz nach, lange bevor diese erste Aufnahme 2022 veröffentlicht wurde.
Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße: Nobelpreisträger Reinhard Genzel wies seine Existenz nach, lange bevor diese erste Aufnahme 2022 veröffentlicht wurde. Foto: dpa/EHT

Genzel malt Fachfremden auch gerne aus, wie eine Reise zu dem verschlingenden Monster ausgehen würde: Kein Mensch, keine Rakete könnte zurückkehren. Ach, so schwierig sei all das eigentlich gar nicht zu verstehen, meint der 70-Jährige gelassen.

Es klingt, als sei Astrophysiker auch nur ein Beruf unter vielen. Bescheiden schiebt er gleich hinterher: „Man kann immer nur einen kleinen Ausschnitt begreifen“ – das gelte auch für Nobelpreisträger wie ihn.

Seine Fleiß-Devise für Studium und Schule: „Von Nichts kommt nichts“

Während in Stockholm die neuen Physik-Nobelpreisträger 2022 bekannt gegeben werden, weilt Genzel als Gast des KIT im Badischen. Er hat die Heinrich-Hertz-Gastprofessur angenommen. An diesem Mittwoch wird er, wie angekündigt, an der Universität einen öffentlichen Vortrag über „Galaxien und Schwarze Löcher“ halten. Und zuvor hat er ein Seminar für Studenten gehalten.

Was die Jung-Wissenschaftler unbedingt mitbringen sollten?

„Erstens: Neugier“, meint Genzel. Und bevor er weiterspricht, schickt er selbst eine Warnung voraus: „Jetzt wird es unangenehm!“ Denn die Voraussetzung Nummer zwei könnte man auch so umschreiben: die Bereitschaft, wirklich hart zu arbeiten und der Forschung alles andere unterzuordnen. „Von Nichts kommt nichts“, sagt Genzel bestimmt. Diskussionen über Work-Life-Balance und viel Familienzeit? „Nee, nee“, sagt Genzel. So funktioniere das nicht. Dass er damit Empörung bei deutlich Jüngeren erntet, ist ihm durchaus bewusst. Doch Genzel erzählt von seinen Karriere-Anfängen in den USA.

In Berkeley habe ich sicherlich 80 Stunden pro Woche gearbeitet.
Reinhard Genzel, Physik-Nobelpreisträger 2020

„In Berkeley habe ich sicherlich 80 Stunden pro Woche gearbeitet“, sagt er. Und er hatte damals keineswegs eine Ehefrau, die ihm den Rücken frei hielt. Orsolya Genzel-Boroviczeny machte als Medizinerin ebenfalls Karriere, wurde Professorin.

Sie arbeitete in der Frühgeborenen-Forschung. „In der Klinik hatte sie jede vierte Nacht Dienst“, betont Genzel. Zwei gemeinsame Töchter hat das Paar. Um die Mädchen kümmerte sich eine private Kinderbetreuung. „Hat es unseren Kindern geschadet?“, fragt Genzel und antwortet selbst: „Ja. Jein. Ich weiß es nicht.“

Nobelpreisträger hält Vereinbarkeit von viel Familienzeit und Karriere für Selbstbetrug

Beruflich haben beide Töchter den gleichen Weg eingeschlagen: Sie sind Neurowissenschaftlerinnen. Im Nachhinein habe er von einer Tochter durchaus kritische Worte zur häufigen Abwesenheit der Eltern gehört, räumt der Physiker offen ein.

Er wünscht sich generell mehr Ehrlichkeit zu diesem heiklen Thema. Er hält die überall beschworene Vereinbarkeit von viel Familienzeit und Karriere schlicht für einen Selbstbetrug. „Man kann nicht alles haben“, das ist Genzels Überzeugung.

Mit solchen ungeschminkten Worten eckt er an. „Ich habe dafür auch schon einen Shitstorm geerntet“, erzählt er. Nein, gut aushalten könne er das nicht. Weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Er sehe sich selbst als überzeugten Feministen, erklärt der Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik in Garching bei München. Er verweist auf den Frauenanteil in seinem Haus: „Wir haben jetzt 40 Prozent Frauen. Als ich angefangen habe, waren es null.“

Kritisch sieht der Nobelpreisträger übrigens auch den Trend zu einer Kuschelpädagogik an Schulen. Wer Kinder immer nur lobe und „Sternchen und Bonbons“ verteile, bringe die Schüler nicht wirklich weiter, meint er. Auch an der Universität müsse ein Lehrer, ein Mentor den Mut zu klarer Kritik aufbringen.

Dass der Leistungsgedanke selbst an deutschen Spitzen-Universitäten in den Hintergrund rücken könnte, ist Genzels große Sorge. Er verweist auf Auswüchse der sogenannten politischen Korrektheit und der Förderung der Vielfalt (englisch: Diversity) in den USA. „Das Wichtigste ist nicht mehr die Forschungsleistung, sondern nur noch die Aktivitäten für die Diversity“, kritisiert er. Er habe „wahnsinnige Befürchtungen“, dass dieser Trend auch hierzulande noch viel stärker greift.

Astro-Physik am Rand der finanziellen „Todeszone“

Seine Wissenschaftler-Karriere hat er trotz einiger Opfer nicht bereut. Ob er allerdings heute nochmal in die Astro-Physik einsteigen würde – da ist sich der Nobelpreisträger gar nicht so sicher. Neurowissenschaften zum Beispiel würden ihn auch reizen. Das mag verblüffend klingen, zumal in den vergangenen Jahren so viele Durchbrüche in der Astro-Physik gelungen sind.

Zum Beispiel die ersten Aufnahmen des Schwarzen Loches, das Genzel schon lange zuvor bewiesen hatte. „Das war wie im Schlaraffenland“, sagt Genzel über die großen Fortschritte. Doch er sieht seine Wissenschaft inzwischen an der Grenze des finanziell Machbaren.

Der Physiker erinnert an die Arbeit in den 60er Jahren bei seinem Mentor, dem Nobelpreisträger und Laser-Erfinder Charles Townes. „Damals haben wir Geräte gebaut, die kosteten 50.000 Dollar. Heute liegt das günstigste bei zehn Millionen Euro, und das teuerste, was ich als Max-Planck-Direktor zu verantworten hatte, lag bei 100 Millionen Euro.“

Das berühmte James-Webb-Teleskop, das in den USA gebaut wurde, kostete mehr als zehn Milliarden Dollar. „Das“, sagt der Nobelpreisträger, „nenne ich die Todeszone.“

Vortrag am KIT als Livestream

An diesem Mittwoch, 5. Oktober 2022, um 16.30 Uhr hält Nobelpreisträger Reinhard Genzel einen öffentlichen Vortrag über „Galaxien und Schwarze Löcher“ im Audimax des KIT.

Wer in der Anmeldefrist vorige Woche keinen Platz reservieren konnte, kann via Livestream zusehen:

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