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Volker Langenbein erzählt

Tagebuch vom Friedhof: Karlsruher Totengräber schreibt Buch

„Rusty“ heißt eigentlich Volker Langenbein und hat über 20 Jahre als Totengräber gearbeitet. Über seine Erfahrungen hat er ein sehr interessantes Buch geschrieben, das jetzt in Karlsruhe vorgestellt wurde. Lektoriert wurde das Buch von Klaus N. Frick.

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Bei der Buchvorstellung im "Fünf" in Karlsruhe: Lektor Klaus N. Frick, Autor Volker Langenbein und Moderator Wilfried Haak vom "Fünf". Foto: Wolfgang Weber

Manchmal zieht’s dem Leser schlichtweg den Stecker. Wenn „Rusty“, der Ich-Erzähler des Buchs, beispielsweise beschreibt, wie ein junger Fußballfan beerdigt wird und seine Freunde in blau-weißer Fankluft zu den Klängen von „You’ll Never Walk Alone“ wie eine geschlossene Kette in einem Halbkreis stehen und den Freund auf ihre ganz eigene Art verabschieden.

Oder wenn er einen tödlich verunglückten Motorradfahrer mit dem Leichenwagen ins Krematorium fährt und just in diesem Moment im Autoradio „Highway To Hell“ aus den Boxen dröhnt. Oder wenn ein Witwer, den Rusty auf dem Friedhof kennengerlernt hatte, vor einen Zug springt und dem Totengräber eine Kiste voller Pflanzen hinterlässt mit dem schriftlichen Hinweis: „Danke, Rusty, für Deine Hilfe. Ich weiß, Du wirst mein Grab schön machen.“

Über 20 Jahre als Totengräber gearbeitet

„Rusty“ heißt eigentlich Volker Langenbein und hat über 20 Jahre als Totengräber gearbeitet. Auf welchem Friedhof? Das wird im Buch nicht erwähnt, es ist aber auch nicht relevant, da sich die Arbeit eines Totengräbers vermutlich überall ähnelt. Langenbein, 1969 in Karlsruhe-Durlach geboren, erlernte nach dem Hauptschulabschluss den Beruf des Forstwirts, arbeitete dann unter anderem als Fabrik- und Bauarbeiter und als Hundeführer in einem Sicherheitsunternehmen und fing 1993 als Gärtnergehilfe auf einem Friedhof an. Danach war er Totengräber und viele Jahre lang eigenständiger Leiter diverser Stadtteilfriedhöfe. Früher habe er „viel Mist gebaut“, schreibt er und seine Ehrlichkeit ist frappierend. „Mitleid war damals ein Fremdwort für mich, denn man hatte auch keines mit mir.“ Einer Prügelei ging er in jungen Jahren selten aus dem Weg, inzwischen regelt er Probleme nicht mehr, indem er seine Fäuste sprechen lässt – was vor allem an seinem Job auf dem Friedhof liegt.

Die Idee entstand an der Thekenkneipe

„Totengräbers Tagebuch“ ist kein Roman und kein Sachbuch, sondern, wie es der Titel sagt, eine Art Tagebuch mit fast 50 Kapiteln. „Soviel ich weiß, ist es das erste Buch eines deutschen Totengräbers“, sagt Klaus N. Frick, der das 369 dicke Werk lektoriert hat. Als Chefredakteur von „Perry Rhodan“ und vielfacher Buchautor ist der in Karlsruhe lebende Frick ein echter Profi, der dem Buch den letzten Schliff gab. „Kennengelernt haben wir uns an der Theke einer Kneipe in Karlsruhe“, erzählt Frick. „Volker erzählte von seiner Arbeit als Totengräber und wir hörten stauend zu. Niemand konnte sich bisher vorstellen, was ein Totengräber eigentlich macht.“ Also entstand die Idee, ein Buch daraus zu machen. Dass von der Idee bis zum fertigen Buch acht Jahre vergehen würden, hatte anfangs natürlich niemand geahnt.

Mal Tränen der Rührung, mal Freudentränen

Aber die lange Wartezeit hat sich gelohnt, denn „Totengräbers Tagebuch“ ist ein absolut lesenswertes Buch. Mal ist man gerade noch den Tränen der Rührung nahe, dann wieder lacht man Freudentränen, wenn „Rusty“ manch skurrile Begegnung auf dem Friedhof schildert. Da gab es beispielsweise eine junge Frau, die ihrem toten Bruder ein Handy in den Sarg legte, um dieses Handy dann just während der Trauerfeier anzurufen. Die lustigen Szenen sind jedoch ganz klar in der Minderheit, denn der Beruf des Totengräbers ist ein knochenharter, extrem schwieriger Job, der zudem gesellschaftlich nicht sonderlich angesehen ist. „Totengräber und Henker mussten früher außerhalb der Stadtmauern leben“, sagt Klaus N. Frick. „Das sagt wohl einiges darüber aus, welche Wertschätzung dieser Beruf hatte.“

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Arbeitsplatz Friedhof: Wie belastend ein Job sein kann, bei dem man täglich mit trauernden Angehörigen zu tun hat, wird in dem Buch sehr deutlich Foto: © locrifa – stock.adobe.com

Täglich Ausnahmesituationen

Was regelrecht brutal ist: Der Totengräber hat täglich nicht nur mit Toten zu tun, sondern auch mit deren Angehörigen. Es handelt sich dabei quasi ununterbrochen um Ausnahmesituationen und jeder Angehörige reagiert anders. Da gibt es zum Teil rührende Begegnungen mit sehr höflichen Menschen, dann gibt es aber auch Trauernde, die all ihre Wut und ihren Frust an den Totengräbern auslassen – die aber dennoch immer freundlich bleiben müssen. Immer! Auch wenn sie noch so unfair behandelt werden.

"Für uns gibt es keine Anlaufstelle"

„Es ist sehr schade, dass es für die Totengräber keine Anlaufstelle auf den Friedhöfen gibt“, sagt Langenbein. „Der Beruf geht echt an die Psyche, da kann es schon zu persönlichen Problemen kommen. Für Angehörige von Verstorbenen gibt es eine Trauerhilfe, nicht aber für uns. Das ist zum Teil extrem belastend.“ Vor allem, wenn man nach der normalen Schicht auf dem Friedhof noch als „Springer“ arbeitet und nachts auf Abruf bereitstehen muss, wenn irgendwo ein Toter abgeholt werden muss. Das geht vor allem dann an die Nieren, wenn sich um Unfall- oder Verbrechensopfer handelt.

"Ich wollte, dass es allen gut geht"

Das Schreiben des Buchs habe ihm tatsächlich dabei geholfen, dies alles besser zu verarbeiten, sagt Langenbein, der inzwischen nicht mehr als Totengräber arbeitet, weil er weder körperlich (schwere Rückenprobleme) noch psychisch dazu in der Lage war.

„Ich wollte immer nur, dass es allen, mit denen ich zu tun hatte, gut geht“, sagt Langenbein alias „Rusty“. Er selbst hat Körper und Geist mit morgendlichen Qigong-Übungen entspannt. Das war, wie er sagt, auch „ein kleines Hilfsmittel“.

Viel zu wenig Anerkennung für den Beruf

Vieles habe er zu persönlich genommen, das gehe auf Dauer nicht gut. Er würde sich wünschen, dass der schwierige Beruf des Totengräbers mehr Anerkennung erhielte und dass man vor allem besser bezahlt wird. „Dafür, dass man einen so schweren Job bewältigt, verdient man echt zu wenig Geld.“

Aussterben wird der Beruf sicher nie, denn „am Totengräber kommt keiner vorbei“, sagt „Rusty“. Oder doch? „Ich selbst werde mich auf keinen Fall auf einem Friedhof beerdigen lassen, wo ich mein halbes Leben lang gearbeitet habe“, sagt er. „Ich möchte, dass meine Asche mal über dem Meer verstreut wird.“

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Buch Foto: None

"Totengräbers Tagebuch" ist erschienen im Verlag Hirnkost. Bei der Buchvorstellung platzte das Karlsruher "Fünf" aus allen Nähten, so groß war das Interesse. Anschließend signierte Volker Langenbein noch rund eine Stunde lang Bücher.
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