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Wohnen nicht nur im Alter

Start-up mit Ü60: Wie ein Karlsruher aus Leerstand Wohnraum macht

Wie möchte ich später leben und wohnen? Bernhard Baldas hat sich das oft gefragt und einen Beruf daraus gemacht. Es ist ein Job mit Perspektive.

Mann steht an einer Tafel und berät eine Frau, die an einem Tisch sitzt.
Gemeinsam oder lieber allein? In der Stadt oder auf dem Land? Wer seine Wohnsituation im Hinblick auf eine neue Lebenssituation ändern will, muss sich erst einmal klar werden, was er will und braucht. Der Wohncoach Bernhard Baldas hilft bei der Entscheidungsfindung. Foto: Andrea Fabry

„Sehen Sie das?“ Bernhard Baldas deutet auf ein großes, freistehendes Ein-Familienhaus an einer Straßenecke, irgendwo im Karlsruher Süden. Die Fassade ist verdreckt, die Rollläden sind heruntergelassen und vor der Haustüre sprießt das Unkraut. „Steht leer“, sagt er. „Schon seit Jahren.“

Keine 200 Meter weiter – das gleiche Bild. Das Tor zur Einfahrt des offensichtlich verlassenen Mehr-Familienhauses ist geöffnet. Hinter dem Gebäude verwildert ein großer Garten. Auf der verwitterten Holzbank unter dem rostigen Rosenbogen hat seit Jahren niemand mehr gesessen.

Es gibt genug Wohnraum. Er ist nur schlecht verteilt.
Bernhard Baldas
Wohncoach

Auf vielen Spaziergängen durch Karlsruhe sticht Bernhard Baldas immer wieder Leerstand ins Auge. Schon lange ist er deshalb der festen Überzeugung: „Es gibt in der Stadt genug Wohnraum. Er ist nur schlecht verteilt.“

Allein in seiner eigenen Nachbarschaft kann der Rüppurrer aus dem Stand ein halbes Dutzend Beispiele aufzählen. Leere oder nur zum Teil bewohnte Häuser, ungenutzte, ehemalige Gewerbeflächen, die langsam aber sicher verwahrlosen. „Das gibt es nicht nur hier. Das gibt es überall.“

Der Karlsruher Wohnberater will Leerstand besser nutzen

Wohnen ist eines der großen Zukunftsthemen im Land. Überall fehlt es an Wohnraum. Geeignete Flächen sind rar und Bauen ist so teuer wie selten zuvor. Baldas setzt sich schon lange dafür ein, bestehenden Wohnraum besser zu nutzen. „Wohnsuffizienz“ nennt er das auf seiner Homepage.

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Mehrere Generationen unter einem Dach: Für viele Menschen ist das eine schöne Wohnvorstellung. Foto: Stefanie Aumiller/Imago-images

Hinter dem ungewöhnlichen Wort verbirgt sich eine Mission, der sich der heute 67-Jährige verschrieben hat. So sehr, dass er dafür auf den Ruhestand verzichtet und eine Art spätes Start-up gegründet hat. Als „Wohncoach“ berät er Menschen, die „offen und abenteuerlustig genug sind“, eigene Visionen für ihre Wohnzukunft zu entwickeln.

Sind Wohnprobleme durch bessere Vernetzung zu lösen?

Die Idee ist bestechend einfach: „Viele Ein- und Zwei-Familienhäuser oder große Wohnungen werden nach der Familienphase oft nur noch von einem Paar oder einer Person bewohnt. Gleichzeitig suchen junge Familien verzweifelt nach bezahlbarem Wohnraum“, beschreibt Baldas das Problem. Als Wohnberater vernetzt er die beiden Seiten. Wenn es gut läuft, entsteht eine Win-Win-Situation.

Wo Bernhard Baldas Leerstand sieht, entwickelt er sofort Ideen. Wäre das verfallende Mehr-Familienhaus am Stadtrand nicht ideal für eine junge Familie oder für die Gründung einer Senioren-WG geeignet? Oder könnte eine Genossenschaft nicht gleich mehrere Häuser kaufen und gemeinsam verwalten?

Für die AG Wohnwerkstatt Karlsruhe auf der BUGA 23: Wohncoach Bernhard Baldas und Pia Leitgieb, EEB Karlsruhe)
Für die AG Wohnwerkstatt Karlsruhe auf der BUGA 23: Wohncoach Bernhard Baldas und Pia Leitgieb.

Könnte man aus dem gerade leer gewordenen Teil des großen Gebäude-Komplexes am Waldrand nicht ein Mehr-Generationenhaus machen? Und was ist mit der verlassenen Gärtnerei? Gibt es eine Form des gemeinschaftlichen Wohnens, die sich hier anbieten würde?

Wohncoach Baldas kennt viele Wohnformen

Der Wohncoach hat nicht nur einen guten Überblick über den Leerstand, er weiß auch welche Wohnformen möglich sind und wie diese am besten zu organisieren sind. Zu diesen Themen hält der Mann, der lange in der Erwachsenenbildung tätig war, auch immer wieder Vorträge und Seminare.

Wo Leerstand ist, ist Wohnraum. Das ist gewissermaßen das Programm des Wohncoachs. Schon im Zivildienst als Student hat er das Talent entwickelt, verlassenen Orten neues Leben einzuhauchen. Wo andere Verfall sehen, sieht er lebenswerten Raum. Mit mehreren Freunden und Freundinnen machte er sich vor fast 50 Jahren an den Umbau der alten Bahnhofsgaststätte „Fortuna“ in Ettlingen zur Kommune.

Später, während seiner Ausbildung zum Lehrer im Schwäbischen, macht er ein altes, halb verlassenes Schloss zu seinem Domizil.

Wohnen und Gemeinschaft sind ihm wichtige Anliegen

Auch gemeinschaftliches Engagement ist schon lange seine Welt. In den frühen 70er- und 80er-Jahren gehörte Baldas zu einer Gruppe von jungen Leuten, die im alten Mühlburger Bahnhof die „Werkstatt 68“ als selbstverwaltetes Jugendzentrum aufbauten. „Da gründeten wir die allererste Männergruppe in Karlsruhe.“ Außerdem entstand die erste Food-Coop, bei der sich private Haushalte zusammentaten, um selbstorganisiert Lebensmittel zu beziehen. „Auch eine Straßentheatergruppe gab es“, freut er sich noch heute.

2016 konnte er als Quartiersmanager den Mitmachladen in der Südweststadt gründen. „Das war die Rückkehr zu den Wurzeln meines Engagements.“ Sein jüngstes Projekt ist der Karlsruher Mitmach-Garten in Rüppurr, wo Familien, Alleinstehende und Gruppen aus ganz Karlsruhe ein kleines Stück Land erhalten können, um es zu bearbeiten.

Gemeinschaft ist für Baldas der Schlüssel zu einem erfüllten Zusammenleben. Seine Favoriten sind deshalb gemeinschaftliche Wohnprojekte, die Menschen mehr als nur vier Wände zum Wohnen geben. „Caring Community“ heißt das Schlagwort. Eine sich kümmernde Gemeinschaft, in der alle aufeinander achten und sich unterstützen.

Der Wohncoach kennt die Tücken des Zusammenlebens

Auch hier sieht er sich als Wohncoach gefragt. Denn das Zusammenleben auf weniger Raum hat seine Tücken. Kaum einer weiß das so gut wie er. „Ich habe selbst schon in ganz unterschiedlichen Situationen gewohnt“, berichtet er. Vom freien und fast anarchischen Kommune-Leben der 70er-Jahre bis hin zur gut bürgerlichen Existenz in der nagelneuen Maisonette-Wohnung bis zum Ein-Familienhaus mit Frau und zwei Söhnen.

„Wohnentscheidungen sind komplex und folgenreich“, weiß der Wohnprofi. Sie sind mit hohen Investitionen verbunden und prägen das Leben für Jahrzehnte. „Deshalb ist es wichtig zu klären, welche Wohnformen es gibt und welche für wen in Betracht kommen.“

Das Wohncoaching beginnt mit vielen Fragen

Wer ein Wohncoaching bei Baldas bucht, bekommt deshalb viele Fragen gestellt. Die reichen vom Lieblingsplatz in der aktuellen Wohnung bis hin zum verfügbaren Geldrahmen. Ist jemand geeignet und Willens bei der Umsetzung eines Wohnprojektes mitzumachen oder ist Hilfe bei der Vermittlung in ein bereits existierendes Modell gefragt?

Will der Mensch überhaupt mit anderen zusammen leben und was sagen eigentlich die Kinder, wenn Mutter oder Vater plötzlich auf die Idee kommen, das Elternhaus zu verkaufen? „Ich nenne das die Stakeholder-Interessen“, sagt Baldas. „Die sind ganz wichtig.“

Referent, Berater und Moderator

Um sich als Wohncoach zu qualifizieren, hat Bernhard Baldas viele Weiterbildungen besucht. Außerdem kann er seine Coachingerfahrung aus seiner Arbeit im Ausbildungsbereich nutzen. Er hat jede verfügbare Literatur zum Thema gelesen und sich Wohnprojekte in ganz Deutschland angeschaut. Inzwischen steht er nicht nur als Referent und Berater zur Verfügung, sondern engagiert sich auch bei der Umsetzung eines Projektes in Rüppurr, in das er später auch selbst einziehen will. Dort soll ein Teil des ehemaligen Diakonissen-Krankenhauses in ein Haus für gemeinschaftliches Wohnen mit Jung und Alt unter einem Dach entstehen.

Die Nachfrage ist groß. „Das ist ein Vollzeitjob“, sagt er. So gefragt die Hilfe des Wohncoachs ist, reich wird Baldas damit nicht. „Ich werde mit Sinn bezahlt, nicht mit Euros“, betont er. Die Menschen sollen ihr Älterwerden anders erleben als das langsame Verglimmen der Lebenskraft. „Das Beste kommt doch zum Schluss, heißt es.“ Der wichtigste Schlüssel für ein gutes Leben im Alter? Für den Wohncoach gibt es nur eine Antwort: „Das Wohnen.“

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