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Die Insel Vilm

Urlaubsquartier der SED-Bonzen

Einst galt sie als Bonzenquartier der DDR: die Insel Vilm vor Rügen. Wo früher der Ministerrat seinen Urlaub verbrachte, sind heute Wissenschaftler unter sich. Denn das unter Naturschutz stehende Eiland ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Besuchen können es Interessierte nur bei Führungen.

die Insel Vilm vor Rügen
Rügens Außenposten im Bodden: Die Insel Vilm, einst Urlaubsquartier des DDR-Ministerrates, darf nur während einer Führung betreten werden. Foto: fotograupner-stock.adobe.com
Einst galt sie als Bonzenquartier der DDR:  die Insel Vilm vor Rügen. Wo früher der Ministerrat seinen Urlaub verbrachte, sind heute Wissenschaftler unter sich. Denn das unter Naturschutz stehende Eiland ist nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Besuchen können es Interessierte nur bei Führungen.

Die SED und der Vilm

Ganz schön dreist, der Herr Staatsratsvorsitzende. Denn eigentlich war die Insel Vilm, Rügens Außenposten im Greifswalder Bodden, als Urlaubsrefugium für Mitglieder des DDR-Ministerrates gedacht. Für „Honni“ und seine Gäste war stattdessen das „Erholungsheim Baabe“ reserviert - eine Art ostdeutscher „Petersberg“, ohne architektonische Schnörkel, aber mit viel Luxus.

Dass sich Genosse Honecker dennoch gelegentlich in Haus II auf Vilm einquartierte, lag an seiner Frau Margot. Die war nämlich Ministerin für Volksbildung und kam einfach „mit Gatte“ auf das Ostseerefugium. Dessen Umriss erinnert entfernt an einen Wal: Der südliche Teil von Vilm ist die Schwanzflosse, der nördliche der massige Körper, dazwischen liegt der schlanke Rücken.

Ulbricht, Milke und Benjamin

Honeckers Vorgänger Walter Ulbricht kam übrigens deutlich öfter nach Vilm, ebenso wie Erich Milke oder Hilde Benjamin. Die Justizministerin der DDR, die man wegen etlicher Todesurteile zunächst „rote Hilde“, dann „Guillotine“ schimpfte, kam meist in Begleitung einiger knackiger Bodyguards. "Und die hatten nicht nur für die Sicherheit der gefürchteten Dame zu sorgen“, so Inselführer Andreas Kuhfuss.

So verrückt es klingt: Etwas Besseres hätte dem 2,6 Kilometer langen, keinen Quadratkilometer großen Vilm nicht passieren können, als der jahrzehntelange Status als Bonzeninsel. Das Eiland war zu DDR-Zeiten angeblich nicht einmal auf Landkarten zu finden, um ja nicht den Zorn der weniger privilegierten Volksgenossen zu schüren.

die Häuser der SED-Bonzen auf der Insel Vilm vor Rügen
Die reetdachgedeckten Häuschen, wo die SED-Oberen ihre Ferien verbrachten, werden heute von Wissenschaftlern genutzt. Foto: wit

Vilm - die Ausflugsinsel

Jahrhundertelang waren Einsiedler, Pilger, Künstler und der Fürst zu Putbus zum „Ulmenhain“ gezogen.  Nach dem Zweiten Weltkrieg stürmten mitunter Tausend Ausflügler an Wochenenden das winzige Eiland, das die Nazis 1936 unter Naturschutz gestellt hatten. Sie picknickten im Grünen, verlustierten sich bei Speis und Trank in der kleinen Gaststätte und hinterließen jede Menge Müll. Sogar eine Segelschule ließ sich auf der von eiszeitlichen Gletschern geformten rauen Schönheit Vilm nieder.

Otto Grotewohl entdeckte den Vilm

Lange hätten das die knorrigen Baum-Methusalems, die Steilküsten und die schmalen Sandbuchten nicht mitgemacht. Ende der 50er Jahre entdeckte DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl den Vilm. Er ließ die Ostsee-Perle für Otto-Normalverbraucher sperren und  Feriendomizile für seine kommunistischen Mitstreiter bauen: keine prunkvollen Paläste, sondern ein Dutzend reetgedeckte Häuser ohne goldene Wasserhähne und Bärenfell vor dem Kamin.

Ein wenig Luxus für den Ministerrat

Ein wenig Luxus mit Sauna, Kegelbahn, Tennisplatz und einem Gemeinschaftshaus für feucht-fröhliche Abende musste schon sein. Und damit die Regierungsmitglieder auf dem Laufenden blieben, was der kapitalistische Klassenfeind alles ausheckte, sorgte ein Antennenmast dafür, dass die SED-Oberen nicht nur DDR-Fernsehen, sondern auch ARD und ZDF empfangen konnten.

Nach der Wende Naturschutzakademie

Nach der Wende warfen Investoren einen begehrlichen Blick auf das Inselchen. Selbst ein Verkauf an finanzkräftige Ausländer war im Gespräch. Stattdessen übernahmen Natur- und Umweltschützer das Sagen; sie richteten die Internationale Naturschutzakademie Vilm ein, eine Außenstelle des Bundesamtes für Naturschutz.

Wo früher die Minister urlaubten, forschen heute Biologen zur Biodiversität, befassen sich Kongress- und Seminarteilnehmer mit Klimawandel, tierischen Invasoren und moderner Landwirtschaft. Andreas Kuhfuss über die heutigen Bewohner:

Stiften gehen können die Wissenschaftler ja nicht, schließlich liegt die nächste Kneipe eine Bootsfahrt entfernt

Der Rüganer in Diensten der Reederei Lenz ist einer der wenigen Nicht-Wissenschaftler, die das für die Allgemeinheit gesperrte Ostsee-Schätzchen betreten dürfen. Zweimal täglich bringt der Kapitän der „Julchen“ maximal 30 Besucher nach Vilm, das Teil des Biosphärenreservats Südost-Rügen ist.

das Gemeinschaftshaus auf der Insel Vilm vor Rügen
In dem Gemeinschaftshaus wurde gefeiert. Foto: wit

Bootstour nach Vilm

Im Hafen von Lauterbach liegt das kleine Motorschiff neben dem Räucherschiff „Berta“ vor Anker. Die Überfahrt nach Vilm dauert  nur wenige Minuten. Seit Honnis Zeiten hat sich nicht viel auf dem Eiland verändert, das etwa so groß wie Helgoland ist. Die Häuschen, die in zwei Reihen und mit etwas Abstand voneinander mitten auf der Wiese stehen, bekamen einen neuen gelben Anstrich. Manches hat auch ein neues Dach. Doch die einzigartige Natur des stillen Refugiums, dessen höchste Anhöhe keine 40 Meter misst, bleibt weitgehend sich selbst überlassen.

Steilküste der Insel Vilm vor Rügen
Die Ostsee nagt an der Steilküste von Vilm. Foto: wit

Zur Nordspitze der Insel

Gut zweieinhalb Stunden dauert die Führung über den drei Kilometer langen Rundweg zur Nordspitze der Insel. Am "großen Haken" schweift der Blick hinüber zur Halbinsel Mönchgut mit ihrer unberührten Natur. Die „Schwanzflosse“, der Kleine Vilm, ist zum Schutz der Vögel komplett gesperrt. Doch dafür entschädigen die Ausblicke von der Steilküste an der Insel-Südseite, über den Bodden bis zur Nachbarinsel Usedom. Bei gutem Wetter sind die Kirchtürme von Greifswald zu erkennen – immerhin 25 Kilometer entfernt – und die Schornsteine des stillgelegten Kernkraftwerks Lubmin. Es war einst eine prägnante Landmarke am Greifswalder Bodden.

Der Wald ist Jahrhunderte alt

Was Vilm so einzigartig macht, ist seine unberührte Natur. Der letzte Holzeinschlag ist auf das Jahr 1527 datiert. Seitdem blieben die Buchen und Eichen, die Birken und Ulmen sich selbst überlassen. Die Natur hat die  Jahrhunderte gut genutzt und einen der ältesten Wälder Deutschlands hervorgebracht.

500 verschiedene Pflanzenarten wurden an dem heiligen Ort der Slawen gezählt. Das 900-mal größere Rügen hat auch nicht viel mehr. Seeadler kreisen majestätisch über der Insel, der seltene Eisvogel geht auf Beutezug, und manchmal streifen sogar Wildschweine durchs Unterholz.

Hier gibt es Marder, Dachs, Füchse und Rehe

erzählt Andreas Kuhfuss. Sogar Maulwürfe haben sich das einst verbotene Eiland als Heimat auserkoren. Eingeschleppt wurden sie ungewollt mit mehreren Sack Blumenerde.

der Wald auf der Insel Vilm vor Rügen
Viele Bäume auf Vilm sind mehrere Hundert Jahre alt. Foto: wit

Wie ein Feenreich

Von den gefiederten Gästen lässt sich zwar keiner blicken, doch beim Spaziergang über den federnden Waldboden, vorbei an verführerisch duftenden Geißblatt-Hecken und üppig blühenden Wildrosen, fühlt sich das naturentwöhnte Stadtkind in ein Feenreich versetzt, in den mystischen Fangorn-Wald Mittelerdes.

Die Ulme ist zwar nur vereinzelt anzutreffen, doch dafür gibt es Baum-Dinosaurier, die mehr tot als lebendig wirken. Baum-Methusalems bringen es auf mehrere Meter Umfang. In der hohlen Buche fände ein Mensch Platz. Ein paar Meter weiter präsentiert eine Eiche ihr pockennarbiges Gesicht, der Baumkrankheit Frostleiste geschuldet. Gefallene Riesen schmiegen sich an den Boden, als wären sie Riesenschlangen, während sich vom Blitz getroffene Kollegen mit jungem Blattwerk schmücken.

Maler pilgerten nach Vilm

Für kleine Insekten und Pilze ist das Totholz Schutz und Nahrung zugleich, für verträumte Naturen ein romantischer Anblick. Kein Wunder, dass Maler in Scharen nach Vilm pilgerten und die Wildnis mit flottem Pinselstrich einfingen. Caspar David Friedrich soll hier sein Gemälde „Landschaft mit Regenbogen“ gemalt haben.

Die Geheimnisse der Insel

Am Ende der Führung durch einen der ältesten Wälder Deutschlands weiß die bunt gemischte Schar nicht nur, dass der Name Vilm von der slawischen Bezeichnung für Ulmen abstammt. Sie weiß, dass die Insel einst ein recht bedeutender Wallfahrtsort war, an den nur noch ein schlichtes Holzkreuz erinnert. Sie kennt auch die anderen Geheimnisse des ehemaligen Urlaubsquartiers der DDR-Bonzen, das bei den Untertanen wildeste Fantasien auslöste.

Walter Ulbricht sei gern nach Lauterbach ausgebüchst, um mit dortigen Fischern zu feiern und habe stets die Zeche gezahlt. Margot Honecker habe auf dunkle Holzvertäfelung bestanden, andere Damen des DDR-Ministerrates auf FKK – weshalb der Sicherheitsabstand für vorbeifahrende Boote prompt auf 200 Meter erhöht wurde. Denn nackte Tatsachen von der Führungsmannschaft des Arbeiter- und Bauern-Staates – das musste jetzt wirklich nicht sein.

das Badehaus Goor auf Rügen
Refugium für den Hochadel: Fürst Wilhelm Malte zu Putbus ließ das Badehaus Goor im frühen 19. Jahrhundert errichten. Foto: wit

Informationen

Bootstour nach Vilm

Bis Oktober wird die Insel Vilm vom Motorschiff „Julchen“ der Fahrgastreederei Lenz angefahren. Treffpunkt ist der Hafen Lauterbach, um 10 Uhr. Bei Bedarf gibt es eine weitere Fahrt um 13.30 Uhr. Pro Exkursion sind nur 30 Teilnehmer erlaubt, eine vorherige schriftliche Anmeldung ist erforderlich.

Die dreistündige Tour kostet für Erwachsene 18 Euro, Kinder zwischen vier und zwölf Jahren zahlen neun Euro. Ein eigenmächtiges Betreten der Insel Vilm ist verboten.

Wandern bei Lauterbach

Der Ausflug nach Vilm kann gut mit einer Wanderung auf dem „Pfad der Muße & Erkenntnis“ durch den Goor-Wald bei Lauterbach kombiniert werden. Der vier Kilometer lange Pfad durch das Wald- und Naturschutzgebiet Goor wartet mit imposanten Bäumen, Hügelgräbern und fantastischen Ausblicke auf. Als Abschluss bietet sich ein Abstecher zum Badehaus Goor mit seinen 18 dorischen Säulen auf, in dem heute ein Hotel residiert.

Tourismuszentrale Rügen , Circus 16, 18581 Putbus, Telefon (0 38 38) 8 07 70.

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