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Gäste äußern Verständnis

Warum ein Restaurant aus Weingarten seinen Michelin-Stern abgibt

Die Nachricht kam überraschend, per Postkarte, wie sonst die regelmäßige Werbung verteilt wird: Das Gourmet-Restaurant im Walk’schen Haus in Weingarten gibt seinen Michelin-Stern freiwillig ab. Hintergrund ist eine Neuausrichtung während der Corona-Schließung. Gäste des Restaurants können den Schritt durchaus nachvollziehen.

Guide Michelin
Die Sterne-Bibel - der Guide Michelin. Foto: Britta Pedersen

Zum neunten Mal in Folge hatten die Testesser des Guide Michelin dem Restaurant im Frühjahr die Auszeichnung für seine besondere Küche zuerkannt. Zum siebten Mal sorgte die Leistung des Küchenchefs Sebastian Syrbe und seines Teams für den plakativen Stern auf rotem Grund. Menschen, die in dem renommierten Haus in Weingarten gerne zu Gast sind, äußern sich überrascht, aber verständnisvoll. „Die Welt hat sich verändert“, sagt Kristina Trautwein, Inhaberin und Geschäftsführerin des Walk’schen Hauses: „Wir uns auch.“

Das ist einerseits eine Erklärung für die Entscheidung, andererseits der Slogan, der den Neustart des Gourmet-Restaurants unter der Bezeichnung „Zeit-Geist fine dining“ nach dem Corona-Lockdown seit Donnerstagabend begleitet. „Wir haben in der Corona-Pause überlegt, was wir konzeptionell verändern können.“

Stern bringt viele Vorgaben mit sich

Corona habe schließlich viel Zeit gegeben dafür, ergänzt Syrbe, ebenfalls Geschäftsführer. „Wir werden nicht schlechter werden, wir arbeiten weiter mit Leidenschaft für gutes Essen, die Qualität bleibt“, stellt der Küchenchef klar. „Aber so haben wir mehr Flexibilität.“

Mit dem Michelin-Stern gingen viele Richtlinien einher, die zu erfüllen seien. Ohne diese Vorgaben könne man sich den Gästen stärker öffnen, das Angebot ausweiten. „Wir sind schon lockerer geworden, und wir geben unseren Gästen zudem mehr Spielraum.“

Will heißen, dass es einerseits keinen Zwang mehr gibt, ausgefeilte Menüs anzubieten, andererseits „kleinere, einfachere, aber nicht weniger qualitätsvolle oder kreative Gerichte mit dem eingespielten Team in Küche und Service“ aufgetragen werden.

„Unsere Karte wird umfangreicher“, bringt es Syrbe auf den Punkt. „Die Handschrift des Kochs wird sich nicht ändern“, meint Trautwein. Produktqualität und Aromatik – Syrbes Vorliebe für asiatische Geschmackanklänge ist ja bekannt – blieben erhalten. Und: „Wir wollen nicht nur ein Restaurant für besondere Anlässe sein, sondern eines für jeden Tag“, betonen Trautwein und Syrbe gleichlautend.

Gäste äußern Verständnis

Seit Donnerstag ist das Restaurant Zeit-Geist wieder offen – coronaregelconform –, zunächst drei Tage in der Woche. Ab Juli sollen die vor Corona üblichen Öffnungszeiten gelten.

„Es scheint schwieriger zu werden, ein Restaurant mit Stern zu führen, wenn man keinen Sponsor hat“, vermutet Harry Schlampp. Der Weingartener ist als Chef der „Albert-Chuchis Eggenstein“, eines Männer-Kochclubs, selbst ein Könner am Herd. „Der Stern verlangt viel, erfordert viel Personal, hochwertigen Materialeinsatz und exzellenten Service. Das verursacht entsprechend hohe Kosten und Preise.“

Es sei nicht schlimm, den Stern zurückzugeben. Wenn der Restaurantbesuch damit preisgünstiger werde, sei das kein Nachteil: „Ich werde mir anschauen, wie sich das Haus entwickelt.“

„Die Entscheidung überrascht mich“, sagt der Weingartener Uwe Herzel, vormals Pressesprecher des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Es sei schade, denn das Sterne-Restaurant sei ein Aushängeschild für Weingarten gewesen. Er habe Verständnis dafür, wenn das Restaurant gleiche Qualität anbieten wolle, ohne den Druck, einen Stern erreichen oder halten zu müssen. „Meine Frau und ich werden weiter ins Walk’sche Haus gehen“, so Herzel.

„Ich finde es gut, wenn sich ein Küchenchef nicht mehr den Zwängen eines Sterns unterwerfen will“, meint Susanne Görner, die mit ihrer Familie in Weingarten lebt. Wenn die Qualität des servierten Essens weiter stimme, sei das kein Nachteil. Ähnlich beurteilt Renate Süß aus Blankenloch die Entscheidung: „Es ist denkbar, dass man sich aus dem Druck befreien will, die hohen Erwartungen der Gäste und der Tester erfüllen zu müssen.

„Sicher kommt ein Teil der Gäste gerade wegen des Sterns“, vermutet ihr Mann, Albert Süß. Die könnten ausbleiben. „Wir haben schon Restaurants besucht, die einen Stern bekommen haben. Man muss nicht überall wieder hin. Wenn das Angebot stimmt, ist für mich ein Stern nicht zwingend.“ Und wenn Qualität und Leistung stimmten, bezahle man gerne etwas mehr.

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