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Chancengleichheit

Fragen und Antworten: Warum stehen die Werkstätten in der Kritik?

Gut 300.000 Personen sind in Deutschland in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung beschäftigt. Sie stellen die unterschiedlichsten Produkte für die Wirtschaft her, arbeiten als Gärtner, als Dienstleister, Köche oder in Wäschereien. Doch die Einrichtungen stehen zunehmend in der Kritik.

Der Werkstattsbereich einer Behindertenwerkstatt von noris inklusion.
Wie in dieser Werkstatt sind deutschlandweit 300.000 Menschen in ähnlichen Einrichtungen beschäftigt. Foto: Daniel Karmann/dpa

Lange galten die Werkstätten für Menschen mit Behinderung als Vorzeigeeinrichtungen: Da wurden sie auch noch als beschützende Werkstätten bezeichnet.

Gerade in den 60er- und 70er-Jahren haben diese damals noch neuen Einrichtungen vielen Menschen neue Perspektiven ermöglicht. Heute stehen Werkstätten für Menschen mit Behinderungen zunehmend in der Kritik.

Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Was sind Werkstätten für Menschen mit Behinderung überhaupt?

„Anspruch auf einen Werkstattplatz haben erwachsene Menschen, die wegen der Art oder Schwere ihrer Behinderung keine betriebliche Berufsausbildung und keine übliche Erwerbsarbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bekommen.“ So erklärt es die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen. 2018 gab es demnach deutschlandweit 736 Werkstätten. Der größte Arbeitgeber ist die Lebenshilfe.

Einerseits muss ein Beschäftigter so stark beeinträchtigt sein, dass er einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht nachgehen kann. Anderseits muss er ein Mindestmaß an „wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ erbringen können. So beschreibt es die Initiative Jobinklusive, die hilft, behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.

Wie viele Menschen arbeiten in den Werkstätten?

Laut Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS) arbeiteten Ende 2019 bundesweit 316.125 Menschen in einer Werkstatt oder besuchten eine Tagesförderstätte. Das waren etwa 0,7 Prozent mehr als 2018. Zum Vergleich: Etwa 1,1 Millionen behinderte Menschen sind auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt.

Im BNN-Gebiet gibt es mehrere große Einrichtungen, etwa die Lebenshilfe Bruchsal-Bretten, die Murgtalwerkstätten, die Hagsfelder Werkstätten, die Lebenshilfe Pforzheim-Enzkreis oder die Lebenshilfe Bühl/Achern.

Mit welchen Behinderungen arbeiten die Menschen in den Werkstätten?

Etwa 75 Prozent aller Beschäftigen haben eine geistige Behinderung, 22 Prozent eine psychische Behinderung – Tendenz steigend. Nur drei Prozent sind körperlich behindert.

Was verdient man in einer solchen Werkstatt?

Ein Taschengeld. So sagen es die Kritiker. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten gibt einen Durchschnittslohn von 159 Euro pro Monat an. Laut Statistik des Bundesministeriums für Arbeit betrug im Jahr 2019 der Durchschnittslohn eines Werkstattbeschäftigten etwa 207 Euro.

Einerseits sind die Werkstätten angehalten, wirtschaftlich zu arbeiten. Sie werden zwar subventioniert und gefördert, etwa werden sie bei der Vergabe von Aufträgen der öffentlichen Hand bevorzugt, außerdem zahlen sie einen niedrigeren Steuersatz.

Anderseits ist es aber auch ihre Aufgabe, Menschen einzugliedern. Ihre Mitarbeiter sollen gefördert werden, und ihre Fähigkeiten so entwickelt werden, dass sie im besten Fall ins normale Erwerbsleben wechseln können.

Kann man also von einer Werkstatt in den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln?

Ja. Mitarbeiter in Werkstätten verstehen sich aber ausdrücklich nicht als „Arbeitnehmer im Wartestand“. Sie werden also nicht beschäftigt, um der Beschäftigung willen. Die Bandbreite ihrer Produkte ist vielfältig.

Und ja: Werkstätten haben den Auftrag, ihre Mitarbeiter falls möglich durch Ausbildung und Förderung fit zu machen für den ersten Arbeitsmarkt. Die Übergangsquote allerdings ist verschwindend gering. Schätzungen gehen von unter einem Prozent aus.

Was sagt die UN-Behindertenrechtskonvention dazu?

Alle Unterzeichner und damit auch Deutschland erkennen ein gleiches Recht auf Arbeit auch für Menschen mit Behinderung an. Dazu gehört die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu verdienen, in einem offenen und inklusiven Arbeitsmarkt, ohne Diskriminierung und mit Chancengleichheit. Das beinhaltet gleiches Geld für gleiche Arbeit.

Vor diesem Hintergrund müssten die deutschen Behindertenwerkstätten früher oder später abgeschafft werden, das fordert die UNO.

Warum stehen die Werkstätten heute in der Kritik?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen wird der niedrige Lohn bemängelt. Außerdem fördere das System gerade nicht den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt. Die Werkstätten, die wirtschaftlich arbeiten, wollen ihre besonders fitten Arbeitnehmer nicht verlieren, so der Vorwurf.

Zwar verdienen die Mitarbeiter wenig, erarbeiten sich aber Rentenanwartschaften, die sie beim Wechsel auf den ersten Arbeitsmarkt verlieren könnten. Ebenso zahlt der Staat oft für ihre Unterkunft.

Wer im System aus Förderschule und Behindertenwerkstatt aufwächst, wird vom Leben „draußen“ systematisch ferngehalten, so lautet ein Vorwurf. Das fördere keine Inklusion. Zudem wartet der erste Arbeitsmarkt mit seiner stetigen Arbeitsverdichtung auch nicht eben auf behinderte Menschen und ihre Bedürfnisse. Das wiederum macht die Inklusion ebenfalls schwierig.

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