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Weitere Hilfe

Helfer aus Bretten und Oberderdingen fahren erneut ins Erdbebengebiet in die Türkei

Den Helfern der Erdbebenopfer hängt ihr Einsatz in der Türkei noch nach. Dennoch machen sie sich bereits an diesem Sonntag wieder von Bretten, Oberderdingen und Kürnbach aus auf die Reise.

Eine Mutter hält ein Mädchen im Arm. das Kind freit sich über einen Teddy.
Neben Essen und Kleidung bringen die Helfer aus Deutschland auch Spielzeug mit in die Zeltstädte. Ein kleines Mädchen freut sich sichtlich über seinen neuen Teddy. Foto: Mert Coskun

Der 15-köpfige Hilfstrupp rund um Mert Coskun ist aus der Türkei zurückgekehrt. In Oberderdingen bleibt der Organisator allerdings nur für ein paar Tage. Er will von dort aus schnell weitere Hilfe für die Erdbebenopfer koordinieren.

Bereits am Sonntag macht er sich dann erneut auf die 3.500 Kilometer lange Reise. Zurück dorthin, wo er gebraucht wird. Und dorthin, wo das Chaos herrscht.

Als die Erde am 6. Februar bebt, hört er durch seine Freundin davon. Er ist schockiert, macht sich aber noch keine Vorstellung vom Ausmaß. Dennoch fackelt Coskun nicht lange. Innerhalb weniger Tage sammelt er über mehrere türkisch-islamische Kulturvereine in der Region Geld und Kleidung für die Betroffenen.

Bald stapeln sich in seinem Handels- und Logistikunternehmen in Kürnbach Säcke mit Jacken, Hosen und Unterwäsche. Und zwischen 30.000 Euro und 40.000 Euro liegen auf einem Spendenkonto.

Gegen Mittag waren plötzlich 20 Helfer da und am Abend sind 80 Leute hier herumgerannt.
Ilker Taspinar, Helfer

Die eigentliche Arbeit des Unternehmens bleibt sofort liegen, stattdessen sortieren die Angestellten Kleidung. 15 Stunden am Tag öffnet sein Mitarbeiter Ilker Taspinar Plastikbeutel. Er sortiert den Inhalt nach Frauen-, Männer- und Kinderwäsche. Anschließend verpackt er sie in Kartons und schreibt darauf, was drin ist. Die Kisten landen auf Paletten und dann in mehreren Lastwagen.

Taspinar bleibt jedoch nicht lange allein. „Gegen Mittag waren 20 Helfer da und am Abend sind plötzlich 80 Leute hier herumgerannt“, sagt er. Sein Handy klingelt, wildfremde Menschen fragen, wo sie anpacken können. Bis heute weiß Taspinar nicht, woher sie seine Nummer haben.

Coskun beauftragt eine Spedition. Aus Bretten, Bruchsal, Oberderdingen und Eppingen fahren vollbeladene 40-Tonner in die Türkei. Er selbst steigt zusammen mit 14 weiteren Freiwilligen ins Flugzeug. Alle reisen auf eigene Kosten, im Flieger werden sie gefeiert wie Helden. Der Pilot hält eine Begrüßungsrede, die Passagiere applaudieren.

Wir sind 300 Kilometer durch die Türkei gefahren und gefühlt jedes zweite Haus ist komplett zertrümmert.
Mert Coskun, Helfer und Organisator

Als die Helfer in Istanbul landen, sind der Weiterflug nach Adiyaman und der Transfer ins Katastrophengebiet schon organisiert. Bei der Fahrt durchs Land realisiert Coskun, was wirklich passiert ist. „Wir sind 300 Kilometer durch die Türkei gefahren und gefühlt jedes zweite Haus ist komplett zertrümmert“, sagt er. „Das ist wie im Krieg.“

Am ersten Tag sind ihre Lastwagen noch unterwegs. Also bauen die Helfer aus Deutschland zusammen mit anderen Freiwilligen 500 Zelte auf. Nebenbei sorgen sie dort für eine „Infrastruktur nach deutschem System“, wie Coskun sagt. Und so stehen die Behelfsunterkünfte am Ende des Tages in akkuraten Reihen.

Erdbebenopfer wollen zunächst keine Hilfe annehmen

Coskun und seine Mitstreiter laufen von Zelt zu Zelt. Dort fragen sie die Bewohner, was sie brauchen. Etliche wollen nichts annehmen. „Die Menschen sind sehr gläubig. Sie sagen, das kommt von Gott und deshalb müssen wir uns gedulden.“ Als selbst Kinder selbstlos auf Spielzeug und Essen verzichten, kann Coskun seine Tränen kaum halten.

An Tag drei kommen die bestellten Lastwagen in Adiyaman an. Beladen sind sie mit Decken, Heizstrahlern, Generatoren, Kleidung, Reis und Bohnen. Auch Hygieneartikel sind dabei, außerdem zwei Paletten mit Tierfutter. Als die Laster schließlich dastehen, kommen Hunderte Menschen, die etwas von der Ladung abhaben wollen. Trotz aller Bescheidenheit.

Notunterkünfte: Zusammen mit zehn Iranern baut der Hilfstrupp aus Deutschland an einem Tag 500 Zelte auf.
Notunterkünfte: Zusammen mit zehn Iranern baut der Hilfstrupp aus Deutschland an einem Tag 500 Zelte auf. Foto: Mert Coskun

In 500 Meter langen Schlangen stellen sie sich geduldig hintereinander auf. Getrennt nach Männern, Frauen und Kindern. Irgendwann jedoch droht die Stimmung zu kippen. Um die Menschen bei Laune zu halten, läuft Coskun mit Süßigkeiten durch die Wartenden. Er macht Witze und unterhält sie.

Oft hören die Helfer aus Deutschland aber einfach nur zu. Sie hören sich Geschichten an von einem Busfahrer, dessen zwei Söhne bei dem Beben umgekommen sind. Oder von einem Mann, der gleich fünf Kinder und seinen kleinen Bruder verloren hat.

Viel unterwegs: In der Türkei bewegen sich Mert Coskun, Hakan Ayra und Samet Özbey (von links) mit Sprintern oder Geländewagen durchs Land.
Viel unterwegs: In der Türkei bewegen sich Mert Coskun, Hakan Ayra und Samet Özbey (von links) mit Sprintern oder Geländewagen durchs Land. Foto: Mert Coskun

Manchmal spielen sie Fußball oder Seilziehen mit den Kindern. Das erzählt Coskuns Mitstreiter Serkan Altintas aus Bretten. „Wir haben alles gemacht. Hauptsache, sie waren für einen Moment glücklich.“ Einen Zweijährigen schließt er dabei so sehr ins Herz, dass er ihn als Patenkind „adoptiert“ und künftig weiter unterstützen will.

„Die Menge an Zerstörung macht schon fertig, obwohl ich gelernt habe, das zu verdrängen.
Serkan Altintas, Helfer und Notfallsanitäter

Von Beruf ist Altintas Notfallsanitäter, Tote und Verletzte gehören zu seinem Alltag. Eine derart große Zerstörung wie in der Türkei bringt aber auch ihn an seine Grenzen. „Die Menge macht schon fertig, obwohl ich gelernt habe, das zu verdrängen“, sagt er.

Auch Mert Coskun hängt der Einsatz noch nach. Und er überdenkt seither sein eigenes Sein. „Ich habe erlebt, wie winzig wir sind“, sagt er. „Nichts ist im Leben sicher, eine solche Katastrophe hätte genauso gut uns passieren können.“

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