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Paar arbeitet jetzt als Zeitungsausträger

Schluss mit dem Leben im Zelt: Obdachlosenhilfe Bretten holt Paar aus Pforzheim von der Straße

Seit April leben Dominik Ziesmann und Malena Kleinknecht auf der Straße. Inzwischen ist ihr Zelt zerfressen, es ist nass und kalt. Als Helfer in der Not taucht dann die Brettener Obdachlosenhilfe auf.

Mann streichelt Hund
Das Leben im Zelt ist für Dominik Ziesmann zu Ende. Er und seine Freundin Malena Kleinknecht sind glücklich, jetzt ein festes Dach über dem Kopf zu haben. Foto: Silke Müller

Am Anfang ist das Leben im Zelt noch „recht lustig“. Über seine ersten Tage in der freien Natur in Pforzheim sagt Dominik Ziesmann: „Es war wie ein Camping-Trip.“

Zusammen mit seiner Freundin Malena Kleinknecht badet der 39-Jährige in der Nagold. Dort waschen sie auch ihre Wäsche. Abends zünden sie ein Lagerfeuer an und kochen Suppe. Ihre Mobiltelefone laden sie beim Döner-Mann oder im Handy-Shop in der Stadt.

Doch dann kommt der Regen, Wasserratten nagen an ihrem Zelt. Die Schlafsäcke, die Kleidung, alles wird feucht, alles fängt an zu schimmeln. Nachts schläft das Paar in klammen Klamotten, tagsüber bettelt es.

Es kostet unglaublich Überwindung, sich dahin zu setzen und darauf zu hoffen, dass jemand etwas hineinwirft.
Malena Kleinknecht
Obdachlose

Malena Kleinknecht, 43 Jahre alt, hockt am Straßenrand und häkelt Deckchen. Malteser-Rüde Loky ist an ihrer Seite. „Es kostet unglaublich Überwindung, sich dahin zu setzen und darauf zu hoffen, dass jemand etwas hineinwirft“, sagt sie. „Recht lustig“ ist das Leben im Zelt zu dieser Zeit schon lange nicht mehr.

Noch Ende Juli lebten Malena Kleinknecht und Dominik Ziesmann in Pforzheim in einem Zelt.
Noch Ende Juli lebten Malena Kleinknecht und Dominik Ziesmann in Pforzheim in einem Zelt. Foto: Silke Müller

Seit Januar ist das Paar wohnungslos. Davor lebt Malena Kleinknecht „ganz normal“ in Stuttgart, wie sie sagt. Sie hat vier Kinder, das älteste ist 22 Jahre alt, Nesthäkchen Lilly ist vier.

Mit dem Vater der beiden Jüngeren gibt es dauernd Streit. „Er hat sein Geld lieber in Drogen investiert als in seine Kinder.“ Vor zwei Jahren holt das Jugendamt Lilly aus der Familie, der Zweitjüngste zieht zu seiner Oma. Die beiden Großen sind da schon außer Haus.

Zwischen uns hat es sofort gefunkt. Wir haben ruckzuck entschieden, dass wir zusammenziehen.
Dominik Ziesmann
Obdachloser

Kaum ist der Ex-Mann ausgezogen, lernen sich Dominik und Malena kennen. „Zwischen uns hat es sofort gefunkt. Wir haben ruckzuck entschieden, dass wir zusammenziehen“, sagt Ziesmann.

Aber bald schon können sie die Miete nicht mehr bezahlen, sie müssen raus aus der Wohnung. Im Winter überlässt ihnen ein Freund seine Gartenhütte in Schorndorf. „Es gab einen Ofen, aber es war trotzdem saukalt“, erinnert sich Kleinknecht.

Im April müssen sie wieder ihre Sachen packen. Ziesmann und Kleinknecht fahren nach Pforzheim. Dorthin, wo Lilly lebt. „Ich will meine Kleine sehen, ich will in ihrer Nähe sein“, sagt sie.

Ich lasse meine Freundin doch nicht allein auf der Straße.
Dominik Ziesmann
Obdachloser

Bei ihrer Ankunft am Bahnhof wird ihr der Rucksack geklaut. Damit sind alle Ausweise weg. Und ohne Ausweis weiß Kleinknecht nicht, wie sie an Bürgergeld kommen soll. Ziesmann hat zwar Dokumente, aber er sagt: „Ich lasse meine Freundin doch nicht allein auf der Straße.“

Obdachloses Paar trifft auf die Obdachlosenhelfer aus Bretten

Bei ihrem Bettelzug durch Pforzheim stoßen sie Ende Juli auf Daniel und Silke Müller aus Bretten. Wie so oft sind die Helfer des „Herzensprojekt Obdachlosenhilfe“ mit Gulaschkanone und Kleidung für Bedürftige in Pforzheim unterwegs. Sie packen fast schon wieder zusammen, als Ziesmann um die Ecke kommt.

Im Sozialen Warenhaus bekommt Malena Kleinknecht direkt Lebensmittel für mehrere Tage. Sie sagt, sie habe sich geschämt, so viel anzunehmen.
Im Sozialen Warenhaus bekommt Malena Kleinknecht direkt Lebensmittel für mehrere Tage. Foto: Silke Müller

Er fragt, ob sie vielleicht etwas zu essen haben könnten. Die Helfer drücken ihnen nicht nur Konserven, sondern gleich noch ein Zelt und zwei Schlafsäcke in die Hand. Und sie tauschen ihre Telefonnummern aus. Malena und Dominik sollen sich melden, wenn sie weitere Hilfe brauchen.

„Die beiden waren mir gleich sympathisch“, sagt Daniel Müller. „Und sie waren nicht betrunken, so wie manch andere.“ Als sie sich erneut verabreden, sind Dominik und Malena pünktlich zur Stelle. Und Müller ist begeistert. „Das ist ein Phänomen. Darauf kann man aufbauen, da lohnt es sich, ein bisschen mehr zu investieren.“

Dominik Ziesmann ist jedoch zunächst skeptisch. „Man hört oft von Hilfsorganisationen, die einfach nur reden wollen.“ Er und seine Freundin aber wollen ein neues Leben.

Malena Kleinknecht präsentiert sich komplett neue eingekleidet. Sämtliche Anziehsachen und der Rucksack kommen aus dem Sozialen Warenhaus der Brettener Obdachlosenhilfe.
Malena Kleinknecht präsentiert sich komplett neue eingekleidet. Foto: Silke Müller

Noch zweimal bringen Daniel und Silke Müller Essen, Decken und ein Paar Schuhe nach Pforzheim. Kurz darauf ruft Daniel an. Er fragt, ob die beiden von der Straße wegwollen.

Ziesmann fällt aus allen Wolken. „Nur dachten wir, wir dürfen uns nicht zu sehr freuen, vielleicht ist es nur ein Luftschloss.“

Am nächsten Tag fahren sie zusammen nach Bretten. Im vereinseigenen sozialen Warenhaus kleiden die Helfer Ziesmann und Kleinknecht neu ein. Sie organisieren zwei Zimmer in der Obdachlosenunterkunft an der Schießmauer, beantragen Bürgergeld und einen neuen Ausweis für Kleinknecht.

Dominik Ziesmann unterschreibt seinen Arbeitsvertrag. Seit gut einer Woche trägt er jetzt nachts die Brettener Nachrichten aus.
Dominik Ziesmann unterschreibt seinen Arbeitsvertrag. Seit gut einer Woche trägt er jetzt nachts die Brettener Nachrichten aus. Foto: Daniel Müller

Schließlich besorgt die Obdachlosenhilfe dem Paar auch noch Jobs: Seit Anfang August verteilen Dominik Ziesmann und Malena Kleinknecht nachts die Brettener Nachrichten.

Auch für Malteser Loky finden sie eine Lösung. Silke Müller redet mit ihrem Mann. Drei Hunde haben sie schon, da kommt es auf einen mehr auch nicht mehr an. „Ich dachte, ich packe es nicht, wenn es an einem Hund scheitert, dass sie diese Chance wahrnehmen“, erzählt sie. Also bleibt Loky jetzt nachts bei Daniel und Silke, tagsüber gehen Herrchen und Frauchen mit ihm spazieren.

Das Paar lebt inzwischen in der Brettener Obdachlosenunterkunft. Die erste warme Dusche, die erste Nacht im Bett – in einem Zimmer mit fremden Menschen – ist für beide ungewohnt. Aber trotzdem toll, sagt Kleinkecht. Und Ziesmann sagt, endlich fühle er sich wieder als Mensch. „Und nicht mehr wie ein Neandertaler, der im Fluss baden geht.“

Herzensprojekt Obdachlosenhilfe

Die Brettener Obdachlosenhilfe ist ein eingetragener Verein. Wer die Arbeit unterstützen möchte, kann auf folgendes Konto bei der Volksbank Bruchsal-Bretten spenden: IBAN DE38 6639 1200 0017 2152 64.

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