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Abschied am Sonntag

Das behält Carsten Ramm nach 25 Jahren als Intendant in Bruchsal besonders in Erinnerung

25 Jahre lang hat Carsten Ramm die Badische Landesbühne Bruchsal geleitet. Zum Abschied blickt er zurück auf besondere Herausforderungen und Projekte.

Carsten Ramm, vom 1998 bis 2023 Intendant der Badischen Landesbühne Bruchsal
Nach einem Vierteljahrhundert als Intendant an der Badischen Landesbühne Bruchsal geht Carsten Ramm zum Saisonabschluss in den Ruhestand. Foto: Sonja Ramm

Als Carsten Ramm die Intendanz der Badischen Landesbühne Bruchsal (BLB) antrat, hieß der deutsche Bundeskanzler noch Helmut Kohl. 25 Jahre lang leitete der aus Hannover stammende Dramaturg und Regisseur die BLB. Am Sonntag wird er beim Abschluss des diesjährigen Theatersommers offiziell verabschiedet. Im Gespräch blickt Carsten Ramm zurück auf große Herausforderungen und besondere Projekte seiner langen Amtszeit.

25 Jahre sind eine rekordverdächtige Zeit, zumal in einer Kunstform, die sich gewissermaßen bei jeder Vorstellung neu erfindet. Wie ist für Sie über diese lange Zeit hinweg Theater immer wieder neu geworden?
Carsten Ramm
Theater macht nicht einer alleine. Das ist Teamarbeit. Es sind immer wieder neue Leute mit neuen Ideen dazugekommen, und dadurch ist das Haus auch immer jung geblieben. Und außerdem gab es einige Herausforderungen, bei denen man auch grundlegend neu denken musste.
Zum Beispiel?
Carsten Ramm
Vor rund 20 Jahren mussten wir wegen des Zwangs zu Einsparungen das Kinder- und Jugendtheater vorübergehend als eigenständige Sparte aufgeben und in den Gesamtspielplan integrieren. Dies zu tun, ohne das Angebot für Kinder und Jugendliche zu reduzieren, war eine große organisatorische Herausforderung. Und es war eine große Erleichterung, als wir es zur Saison 2010/11 wieder als eigene Sparte einrichten konnten.

Unterfinanzierung als permanentes Problem der Landesbühne Bruchsal

Finanzen sind in der Kulturarbeit ja oft ein Thema. Was war da die größte Herausforderung?
Carsten Ramm
Die größte Herausforderung besteht bis heute. Als ich hier anfing, hatte die Landesbühne in etwa das gleiche Angebot wie heute: sieben Abonnementstücken im Abendspielplan und fünf bis sechs Kinder- und Jugendstücke. Aber vor 25 Jahren hatten wir rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr. Dieses Theater ist aufgrund von Einsparungen im Laufe der Zeit immer kleiner geworden – und die Herausforderung bei der Arbeit hinter der Bühne immer größer. Und es tut mir im Rückblick immer noch etwas weh, dass zur Saison 2009/10 eine Chance versäumt worden ist.
Welche Chance?
Carsten Ramm
Damals hatte der Landesrechnungshof die drei Landesbühnen in Baden-Württemberg evaluiert. Das Ergebnis besagte, dass wir unterfinanziert waren und eine Etat-Erhöhung von 200.000 Euro bräuchten, um unser Angebot aufrechtzuerhalten. Dass damals unsere Träger dies nicht aufgegriffen haben, hat die Arbeit nicht leichter gemacht. Und ich glaube, wir können stolz sein, dass wir es trotzdem geschafft haben, unserem Publikum immer ein abwechslungsreiches Angebot zu machen.

Bruchsaler Intendanz mit internationalen und lokalen Großprojekten

Es gab ja dennoch in Ihrer Amtszeit etliche besondere Projekte. Welche sind Ihnen besonders stark in Erinnerung geblieben?
Carsten Ramm
Die Produktion „Goethe Lenau Faust“ in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Staatstheater Temeswar war für mich eine herausragende Geschichte. Diese beiden sehr unterschiedlich arbeitenden Häuser zusammenzuführen mit einer Inszenierung, in der zwei Autoren zusammengeführt wurden, das war eine große Aufgabe. Und dass das dann funktioniert hat, macht einen natürlich glücklich. Sehr wichtig war mir auch das Projekt „Utopolis“, das wir 2015 realisieren konnten, als Bruchsal Ausrichter der Heimattage Baden-Württemberg war. Da haben wir die Stadt für zwei Wochenenden in ein Theater verwandelt. Das umsetzen zu können, war auch eine große Freude.
Sie haben auch mehrmals Stücke angesetzt, die sich mit der Geschichte Deutschlands zur NS-Zeit beschäftigen. In dieser Spielzeit kam das Jugendstück „Mädchen mit Hutschachtel“ heraus, in dem anhand des Schicksals eines jüdischen Mädchens die Deportation der Bruchsaler Juden nach Gurs im Oktober 1940 thematisiert wird… 
Carsten Ramm
Die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit beschäftigt mich selbst immer wieder. Der Impuls zu „Mädchen mit Hutschachtel“ kam durch einen Archivfilm vom Tag dieser Deportation, in dem dieses Mädchen zu sehen ist. Auf meine Frage, ob wir herausbekommen können, wer das ist, haben die Dramaturgin Petra Jenni und die Autorin Lisa Sommerfeldt recherchiert und herausgefunden, dass dieses Mädchen Edith Löb hieß, als 13-Jährige nach Gurs deportiert wurde und später in die USA auswanderte, wo sie heute noch lebt. Als wir im Frühjahr Unterschriften gesammelt haben, um ein Teilstück einer Straße nach ihr zu benennen, ist es uns mehrfach passiert, dass uns Leute schon nach den ersten Erklärungssätzen geantwortet haben: „Ich weiß, Sie meinen das Mädchen mit Hutschachtel.“ Dass sich dieses Wissen in der Stadt so festgesetzt hat, zeigt, dass Theater immer noch Wirkung haben kann.

Bruchsaler Intendant sieht Publikumswunsch nach Lebensnähe

Entspricht ein solches Recherchestück zu einem lokalen Thema auch dem Theatertrend, die einst oft gespielten Klassiker und Komödien durch aktuelle oder regionale Stoffe abzulösen?
Carsten Ramm
Es ist ganz klar zu beobachten, dass sich Menschen auch im Theater mit dem auseinandersetzen wollen, was sie in ihrem Leben beschäftigt. Auch der Wunsch, selber Theater zu spielen, wird immer stärker. „Utopolis“ wäre ohne die Gruppen unseres Bürgertheaters gar nicht möglich gewesen.
Wenn Sie jetzt in den Ruhestand gehen: Was behalten Sie sonst noch in besonderer Erinnerung?
Carsten Ramm
Sehr gern gemacht habe ich die vier Kafka-Inszenierungen, bei denen ich diesen Autor darauf abklopfen konnte auf die Frage, was er mit unserem heutigen Leben zu tun hat. Und immer noch im Kopf ist mir ein ganz kleines Stück, das ich am Anfang meiner zweiten Spielzeit gemacht habe: „Erklärt Pereira“ nach dem Roman von Antonio Tabucchi. Da habe ich Hannes Höchsmann und René Laier so richtig als Schauspieler kennengelernt. Ganz besonders die Zusammenarbeit mit René Laier ist etwas, das mir über die Jahre sehr viel Freude gemacht hat. Die Basis dafür war dieser kleine und eigentlich ganz einfach erzählte Abend – das war echtes Teambuilding. 
Haben Sie schon Pläne für die nähere Zukunft?
Carsten Ramm
Erst einmal freue ich mich darauf, Zeit zu haben für die Familie und für viele Dinge, zu denen ich zu selten gekommen bin. Außerdem juckt es mir in den Fingern, einen satirischen Roman über Kommunalpolitik in einer Kleinstadt zu schreiben.
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