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Porträt

Josia Marquart aus Bruchsal: Mit Down-Syndrom in die Lokalpolitik

„Mögen die mich? Nehmen sie mich ernst?“ Josia Marquart aus Heidelsheim hat sich diese Fragen oft gestellt. Heute sind die meisten Zweifel verflogen. „Eigentlich war meine Behinderung im Jugendgemeinderat gar kein großes Thema“, erzählt er selbstbewusst. Zumindest nicht für die anderen.

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JOSIA MARQUART aus Heidelsheim kennt sich mit Video- und Musikproduktionen aus. Er fotografiert auch gerne. Diese Talente kamen dem Jugendgemeinderat bereits zu Gute. Für den will sich der 17-Jährige mit Down-Syndrom erneut bewerben. Foto: Heintzen

„Mögen die mich? Nehmen sie mich ernst?“ Josia Marquart aus Heidelsheim hat sich diese Fragen oft gestellt, als er vor zwei Jahren in den neuen Bruchsaler Jugendgemeinderat neu eingezogen ist. Heute sind die meisten Zweifel verflogen. „Eigentlich war meine Behinderung gar kein großes Thema“, erzählt er selbstbewusst. Zumindest nicht für die anderen.

Josia Marquart ist 17 Jahre alt. Er geht noch zur Schule. Und steht – wie wahrscheinlich die meisten seiner Altersgenossen – vor der Frage, was aus ihm beruflich mal wird. Mit dem Unterschied, dass Josia Marquart das Down-Syndrom hat.

Menschen mit Down-Syndrom haben von Geburt an in jeder Zelle statt der üblichen 46 Chromosomen 47. Das Chromosom mit der Nummer 21 ist dreifach vorhanden. Diese genetische Veranlagung geht oft mit einer geistigen Behinderung einher und mit körperlichen Einschränkungen in ganz unterschiedlicher Ausprägung.

Der 17-Jährige wird nicht in Watte gepackt

Eines scheint aber zumindest sicher. Politik gehört für ihn auch künftig dazu: „Irgendwann habe ich gemerkt: Politik ist mein Leben.“ Diese Leidenschaft anderen Jugendlichen zu vermitteln, das hat er sich auf die Fahnen geschrieben. Deswegen tritt Josia Marquart im Mai erneut für den Jugendgemeinderat an.

Aus 55 Kandidatinnen und Kandidaten hatten die Bruchsaler Jugendlichen Josia Marquart beim ersten Mal im Mai 2018 direkt auf Platz sechs gewählt. Zur Feier des Tages ist Familie Marquart damals Pizza essen gegangen. Der Heidelsheimer hat zwei ältere Schwestern und einen Bruder. „Wir gehen mit seiner Behinderung so normal wie möglich um“, erklärt seine Mutter Birgit Marquart. Er werde nicht in Watte gepackt.

Manchmal braucht er länger als andere

Gerade kommt Josia Marquart von einer hochkarätigen Tagung zurück: „Jugendbeteiligung inklusiv gestalten“, hieß sie. Dort diskutierte er mit Politikern, mit Professoren und Beratern, nahm an Workshops teil und trug seine Erfahrungen vor. So wie zuletzt auch bei einem Vortrag mit Michel Friedman in Bruchsal – „auf Augenhöhe“, wie seine Mutter stolz anmerkt.

Josia weiß, dass er wegen seiner geistigen Behinderung manchmal länger braucht, sich beim Lernen schwerer tut, als andere. Nicht zuletzt sein Engagement im Jugendgemeinderat hat ihm aber das nötige Selbstbewusstsein gegeben, für seine Interessen, die politischen wie die persönlichen, einzutreten. Sein Traumberuf wäre der des Regisseurs. „Ich fotografiere gerne und filme“, erklärt er über seine Hobbys, die auch dem Jugendgemeinderat schon zu Gute gekommen sind.

Keine Lust auf Behinderten-Werkstatt

Auch eine theoriereduzierte Ausbildung als Landschaftsgärtner käme für ihn infrage, selbst wenn Behörden und Arbeitsagentur für einen wie ihn eigentlich noch immer allzu oft die „Behinderten-Werkstatt“ vorsähen. „Das ist im System nicht vorgesehen“, erklärt seine Mutter durchaus frustriert.

Dass sich Josia Marquart aber selbstbewusst für einen anderen Weg stark macht, käme auch von der Arbeit im Jugendgemeinderat. Davon ist sie überzeugt. „Er hat keine Berührungsängste mehr. Josia akzeptiert aber auch weniger, und er hat wertvolle Kontakte geknüpft. Er fordert Dinge ein“, bilanziert Birgit Marquart.

Ich habe oft gedacht: Wie scheiße ist das denn?
Josia Marquart

Ihr Sohn schildert es drastischer: Dass er „schulmüde“ sein soll, wurde ihm gesagt. Josia Marquart widerspricht vehement: „Ich wünsche mir eine Ausbildung. Ich möchte diese Chance bekommen!“ „Das hätte er früher nie so artikulieren können“, ergänzt seine Mutter.

Seine Behinderung war früher ein größeres Problem, schildert Josia Marquart selbst drastisch: „Ich habe oft gedacht: Wie scheiße ist das denn?“ Er wollte sich umbringen. „Ich wollt dieses Down-Syndrom nicht haben. Heute kann ich gut damit leben.“

Jugendgemeinderat hat viel erreicht

Dass der Bruchsaler Jugendgemeinderat mit seinem Zutun in den vergangenen zwei Jahren viel erreicht hat, macht den 17-Jährigen Stolz. Er erinnert sich zum Beispiel an die Begegnung mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Bruchsal. An Jugendforen, ein Basketball-Turnier, an den Einsatz für bessere Beleuchtung im Bürgerpark oder längere Öffnungszeiten der Bahnhofshalle. „Ich habe mich viel damit beschäftigt, was politisch angesagt ist“, erklärt Josia Marquart. Klar, spielt da auch das Thema Behinderung eine Rolle.

Sitzungen sind auch anstrengend

Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit im Jugendgemeinderat, etwa bei der Verlegung der Stolpersteine, habe ihn sehr umgetrieben, ergänzt seine Mutter. „Es war auch anstrengend“, berichtet Josia Marquart über die vielen Sitzungen der 14 Jugendgemeinderäte, über manche Auseinandersetzung, auch über Streit.

Seine Eltern und Geschwister haben aber auch was davon, ergänzt seine Mutter schmunzelnd: Zuhause achte Josia seither auf eine bessere Streitkultur. „Politik gehört zum Leben. Ich will andere Jugendliche auffordern, mitzumachen“, formuliert der 17-Jährige seine Ziele für die erneute Kandidatur.

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