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Sucht als Belohnung und Ventil

Zum zweiten Mal in Drogen-Reha: Ein Patient berichtet

Zwei Patienten der Rehaklinik in Freiolsheim sprechen über ihren Weg in die Sucht, ihr Leben mit Drogen - und ihre Entscheidung, sich in Therapie zu begeben. Der 37-jährige Stefan R. hat versucht, Konflikte und Stress mit Drogen zu bewältigen.

ARCHIV - SYMBOLFOTO - Ein Mann setzt sich am 14.05.2011 in München eine Heroinspritze in den Arm. In Nordrhein-Westfalen starben 2010 2455 Männer und 992 Frauen an den Folgen von Drogenmissbrauch. Wie Information und Technik Nordrhein-Westfalen als Statistisches Landesamt mitteilt, entspricht das einem Anteil von rund 1,8 Prozent an allen Sterbefällen des Jahres 2010. Foto: Frank Leonhardt dpa/lnw +++(c) dpa - Bildfunk+++ - Verwendung weltweit
Beruflichem Stress und privaten Konflikten ist Stefan R. mit Drogen und Alkohol begegnet. Foto: Frank Leonhardt dpa/lnw
Drogensucht ist kein Thema, über das Betroffene leichthin sprechen. Zwei Patienten der Rehaklinik in Freiolsheim haben sich trotzdem bereit erklärt, über ihren Weg in die Sucht zu sprechen, über ihr Leben mit Drogen – und ihre Entscheidung, sich in Therapie zu begeben. Hier lesen Sie den ausführlichen Bericht von Stefan R. (37) (Name geändert).

Z um Bericht von Maja S. (22) geht's hier: "Das ging so dann so weit, dass ich tatsächlich auf den Strich musste"

Die Rehaklinik in Freiolsheim hat sich der medizinischen und sozialen Rehabilitation drogen- und mehrfachabhängiger Menschen verschrieben. Von welcher Abhängigkeit wollen Sie sich befreien?

Ich bin polytox. Seit meinem 15. Lebensjahr konsumiere ich Drogen. Hat angefangen über Alkohol, THC. Aber hat sich dann ganz schnell auch in alle anderen Drogen gesteigert.

Was war Ihr Weg in die Sucht?

Das war zum Einen die Neugier auf das Ganze: Ecstasy, Amphetamin, Kokain, psychedelische Drogen, LSD, Pilze. Den Ausbruch von dem Ganzen führe ich darauf zurück, dass meine Eltern sehr reich waren. Mein Vater hat dummerweise Steuerhinterziehung betrieben, so dass eines Nachts die Polizei das Haus gestürmt hat, einen meiner Hunde erschossen hat. Mein Vater ist lange ins Gefängnis gekommen.

Als das familiäre Umfeld in Trümmer fällt, nimmt Stefan R. Drogen

Es war wirklich eine ganz schwierige Zeit. In der Schule zum Beispiel. Das war auch keine große Stadt. Jeder hat meine Familie gekannt. Meine Mutter hat dann einen neuen Mann kennengelernt, mit dem ich mich auch nicht verstanden habe, der spielsüchtig war.

Die Drogen kamen aus Rebellion, aus Trauer, Verlust.
Stefan R. über den Beginn seiner Drogensucht.

Ich wollte eben von dem Ganzen nichts mehr wissen, hören. Und bin dann immer weiter in die Drogen reingerutscht. Der entscheidende Tag war der Tag, an dem der Hund, den ich noch hatte, abgeholt wurde. Da hatte ich das erste Mal einen LSD-Trip. Und auch das erste Mal Marihuana geraucht.

Ab da gab’s irgendwo keine Grenzen mehr. Die Drogen kamen aus Rebellion, aus Trauer, Verlust. Ich habe mir gedacht, ich kann das Ganze damit besser verarbeiten. So hat sich das von da an durch mein ganzes Leben durchgezogen.

Was hat die Abhängigkeit für Ihren Alltag bedeutet?

Am Anfang war schon kurzzeitig mal Heroin im Spiel. Das habe ich auch wieder lassen können. Hab meine Ausbildung nach der Schule gemacht. Während der Zeit eben auch immer Alkohol, THC et cetera. Bin danach zur Bundeswehr, dort fast täglich Kokain-Konsum. Und dann nach der Bundeswehr in die Schweiz. Dort die ersten drei Jahre Partydrogen.

Suchtmittel werden zum Verdrängungsmechanismus

Hab meinen Beruf weitergemacht, konnte auch alles noch gut unter Dach und Fach bekommen. Bis an dem Tag, wo meine Ex-Freundin mich betrogen hat. Da bin ich in ein ganz tiefes Loch gefallen. Und um den Schmerz irgendwie zu verarbeiten und zu verdrängen, habe ich mir dann dummerweise in einer Nacht Heroin besorgt. Ab da ging’s dann richtig bergab.

Das hat sich dann eben gesteigert, dass ich intravenös Kokain und Heroin gleichzeitig gespritzt hab. Das ging ein Dreiviertel-Jahr, circa. Bis ich gemerkt habe, dass es ganz schlimm wird. Ich bin dann in ein Methadon-Programm gegangen. Habe das Methadon natürlich missbräuchlich verwendet und immer die Dosis, die für drei Tage geplant war, auf einmal genommen.

Unter Tränen habe ich bei meiner Mutter zuhause angerufen.
Stefan R. über seinen ersten großen Zusammenbruch.

Bis ich eben irgendwann gemerkt habe, dass ich nicht mehr klarkomme, mit gar nichts. Ich weiß noch, am 23. Geburtstag, unter Tränen, habe ich dann bei meiner Mutter zuhause angerufen und gesagt, ich komme zurück aus der Schweiz.

Auf der Arbeit gibt er 150 Prozent - und schafft sich so Druck

Ich wollte in Deutschland kalt entziehen. Ich hatte damals noch gar keine Ahnung, dass man sowas besser warm macht. Das waren die schlimmsten fünf Monate meines Lebens. Aber als es mir besser ging, ging es dann ganz schnell wieder los mit ab und zu mal was trinken, Marihuana rauchen.

So hat sich das eigentlich immer durchgezogen. Ich habe zwar immer gearbeitet, auch immer sehr gut, super Zeugnisse. Aus Angst, dass man mir meinen Konsum irgendwie ansehen könnte, habe ich immer 150 Prozent gegeben. Wie eine Schutzbarriere, falls mal irgendwas auffallen wird.

Bis zu einem Punkt eben, wo’s im Drogenkonsum zu arg wurde. Aber ich habe meistens selber die Reißleine gezogen, bevor ich gekündigt wurde. Als ich gemerkt habe, es geht nicht mehr weiter.

Was hat Sie dazu bewegt, sich in Therapie zu begeben?

Vor fünf Jahren – damals war ich 32 – habe ich gemerkt, dass man mit über 30 Jahren als einigermaßen normaler Mensch keine Drogen mehr konsumieren sollte. Und dass ich eben auch außerhalb der Gesellschaft gestanden habe. Gemerkt, dass es beruflich nicht so vorangeht, wie es könnte. Ein ganz schlechtes Verhältnis mit den Eltern. Auch Führerscheinverlust damals. Gescheiterte Beziehung mit mehreren Partnerinnen. Verlust von Hobbys, Interessen et cetera.

Ich habe immer wieder zuhause probiert, clean zu leben.
Stefan R. über seine Entscheidung, eine Therapie zu beginnen.

Sodass ich mich dann irgendwann entschieden habe, eine Langzeit-Therapie zu machen. Um eben auch den Cut zu machen, im geschützten Rahmen das Ganze anzugehen. Weil ich immer wieder zuhause probiert habe, clean zu leben. Das hat auch immer für eine kurze Zeit funktioniert. Bis irgendein beziehungsweise zwei Probleme gleichzeitig aufgetaucht sind, die nicht lösbar waren, und ich dann wieder zu Drogen gegriffen habe.

Die Fachklinik in Freiolsheim bietet nach ihrem eigenen Verständnis viele Freiheiten, ist aber zugleich ein strenges Haus. Wer einen Rückfall hat, fliegt. Warum haben Sie sich diese Klinik ausgesucht?

Dass hier nicht mit Rückfall gearbeitet wird, war einer der entscheidenden Gründe, mich für die Einrichtung zu entscheiden. Weil ich denke, wenn wie bei manchen Einrichtungen mit drei Rückfällen gearbeitet wird, weiß man schon vorher, dass man auf gut Deutsch drei Joker hat. Und hat die Sucht eben immer präsent im Kopf. Und ich bin eigentlich da, um Abstand von den Drogen zu bekommen.

Sie sind bereits zum zweiten Mal hier. Wie kam es zum Rückfall?

Ich habe hier sechs Monate Langzeit-Therapie gemacht und bin danach drei Monate in die Tagesklinik nach Durlach. In der Zeit, wo dieser geschützte Rahmen da war, hatte ich überhaupt kein Problem, abstinent zu bleiben. Und auch keine großartigen Suchtgedanken oder Ähnliches.

Ich wusste: Es gibt Süchtige, die einen kontrollierten Konsum hinbekommen.
Stefan R. über seinen Rückfall nach der Therapie.

Nur wusste ich: Es gibt Süchtige, die einen kontrollierten Konsum hinbekommen. Und ich habe mich eben unter den glücklichen Auserwählten gefühlt. Das war ein Trugschluss. Ich habe mir dann mehr oder weniger als Belohnung für die erfolgreiche Therapie gesagt: Jetzt kannst du mal ein Glas Wein trinken. Und ja. Da hat’s sich ganz schnell hochgesteigert.

Und durch den alten Freundeskreis, den ich wieder gepflegt habe. Es waren auch zwei enge Freunde dabei, die Rücksicht genommen haben. Bis ich irgendwann gebettelt habe, dass er mir den Joint mal abgibt. Sie sind lange Zeit hart geblieben, aber irgendwann haben sie halt doch Ja gesagt. Dann kamen eben auch Amphetamin, Kokain, ab und zu Opiate. Ich habe trotzdem weitergearbeitet und mein Leben so gut wie möglich gelebt.

Neue Konflikte kippen die Balance

Ich habe dann einen neuen Job angefangen. Als Koch wieder, aber mit geregelten Arbeitszeiten, so wie ich mir das vorgestellt habe. Mit freien Abenden, Wochenenden. Habe dann auch eine neue Freundin kennengelernt. Mit den Eltern wieder ein besseres Verhältnis gehabt. Das ging eine Zeit lang gut. Bis zu viel Streit in der Beziehung entstand. Bis ich zu viele Überstunden gemacht habe.

Das hat sich dann zum Schluss so gesteigert, dass ich auf der Arbeit auch unter Alkoholeinfluss ausfällig geworden bin, ausgeflippt. Und mich dann krankschreiben lassen habe. Und durch die Krankschreibung dann entlassen wurde.

Ich bin eigentlich mit Null dagestanden.
Stefan R. über seine Situation vor der zweiten Therapie.

Und dann eben noch schlimmer dastand wie das erste Mal vor der Therapie. Kein Führerschein mehr. Keine Freundin. Kein Job. Die Eltern wieder enttäuscht. Und mich eben auch wieder enttäuscht. Und auch viele Wertsachen verkauft, was ich mir angespart hatte, sodass ich eigentlich wirklich mit Null dagestanden bin.

Was motiviert Sie, am Ball zu bleiben? Wie soll es nach der Therapie weitergehen?

Puh. Zum einen ist es für mich wichtig, Abstand zu allem zu bekommen. Umso länger die Therapie ist beziehungsweise danach auch die Abstinenzzeit, umso unwahrscheinlicher ist es für mich, dass ich einen Rückfall mache.

Für seine Eltern will er durchhalten

Der größte Wunsch meines Vaters ist, dass ich jetzt mit 37 langsam aufwache und doch noch ein normales, geregeltes Leben führe. Meine Mutter ist so oft enttäuscht worden wegen den ganzen Drogeneskapaden. Hatte drei Herzinfarkte und einen Schlaganfall deswegen. Sie will ich nicht mehr enttäuschen.

Ich habe hier angefangen, wieder regelmäßig Sport zu machen. Das steigert auch mein Selbstwertgefühl. Was mir eben auch hilft, nicht mehr in ein Loch reinzufallen und zu sagen: Alles scheißegal, ich kann wieder konsumieren.

Ich habe vor, mir hier während der Therapie noch ein, zwei neue Hobbys anzueignen. Ich habe hier Schach spielen gelernt, dann Tischtennis, wo ich wahrscheinlich in einen Verein gehen möchte. Damit ich auch ein suchtmittelfreies soziales Umfeld aufbauen kann. Ich strebe auch eine neue Partnerschaft an, mit einer suchtmittelfreien Partnerin. Das kann ich nur voraussetzen, wenn ich selber clean bin.

Ein neuer Job ist dem Koch wichtig

Weil ich weiter in meinem Beruf bleiben möchte und der immer mehr Computer-Kenntnisse  erfordert, habe ich mir jetzt einen Laptop zugelegt. Damit ich beispielsweise als stellvertretender Küchenchef in einem großen Krankenhaus Fuß fassen kann. Das ist für mich ganz wichtig. Und vor allem auch, den Führerschein wieder zurückzubekommen. Der gibt wieder ein Stück Lebensqualität, Unabhängigkeit.

Und dass sich das Geld, das ich zur Verfügung habe, nicht in Luft auflöst. Und ich für normale Dinge und wichtige Dinge sparen kann. Erstens mal, um Rücklagen zu haben. Zweitens, um langfristige, mittelfristige, kurzfristige Träume materieller Art mir zu erfüllen, und auch mal wieder in Urlaub zu gehen. Weil ich ziemlich gerne reise.

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