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Interview

Rektor über Probleme in der Corona-Zeit: "In jeder Klasse gibt es zwei bis drei Kinder, die einfach abgetaucht sind"

Einen Testlauf gab es nicht. In der Corona-Krise muss das Zusammenspiel von Schülern und Lehrern auf einmal ohne Kontakt im Klassenzimmer funktionieren. Dabei treten teils gravierende Probleme auf. Nah dran ist Joachim Eichhorn, Leiter der Kirnbach-Grund- und Werkrealschule in Niefern im Enzkreis.

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Kein direkter Kontakt: Die ersten Kinder kehren nach langer Zeit am Montag zurück in die Klassenzimmer. Viele müssen aber weiter zuhause bleiben. Das bringt für Schüler und Lehrer Herausforderungen, auf die sie keiner vorbereitet hat. Foto: Tilo Keller

Einen Testlauf gab es nicht. In der Corona-Krise muss das Zusammenspiel von Schülern und Lehrern auf einmal ohne Kontakt im Klassenzimmer funktionieren. Manches läuft gut, auch weil Menschen sich über Gebühr engagieren. Doch es treten auch gravierende Probleme zutage.

Nah dran ist Joachim Eichhorn, Leiter der Kirnbach-Grund- und Werkrealschule in Niefern im Enzkreis. Im Interview schildert er seine Eindrücke.

Es war und ist eine schwierige Zeit für Lehrer, Schüler und Eltern. Welche Erfahrungen machen Sie?

Joachim Eichhorn: Die Bandbreite ist sehr groß. Es gibt Schüler, die wir nicht mehr erreichen. Wir mussten sogar feststellen, dass ein Materialpaket, das ein Lehrer verschickt hatte, wieder zurückkam – der Empfänger unbekannt verzogen. Die Lehrerin ging zum Haus und sah, dass tatsächlich niemand mehr mit diesem Namen dort wohnte.

In jeder Klasse gibt es zwei bis drei Kinder, die einfach abgetaucht sind. Auf der anderen Seite gibt es Kinder, die sich voller Eifer in das Homeschooling stürzen, die alle Arbeitsblätter im Voraus machen und die sich bei ihren Lehrern melden und fragen, wann denn jetzt die Videokonferenz stattfindet. Mit den Eltern ist die Erfahrung ähnlich. Es gibt sehr uninteressierte Elternhäuser – und Eltern, die den Klassenunterrricht am besten per Livestream permanent zu Hause zur Verfügung haben wollen.

Je bildungsferner das Elternhaus, desto größer ist die Gefahr, dass es nicht klappt.

Wenn der Kontakt abbricht – sprechen wir dann von einer bestimmten Gruppe?

Je bildungsferner das Elternhaus, desto größer ist die Gefahr, dass es nicht klappt. Da gibt es Eltern, die nach drei Wochen anrufen und fragen, wie sie an das Mathebuch ihres Kindes kommen, das es am letzten Schultag nicht mitgenommen hatte. Auf der einen Seite muss ich dann sagen: Nett, dass sie sich darum kümmern. Auf der anderen Seite: Warum erst jetzt? So haben wir Kinder, die der Realität des Schullebens entrückt sind.

Was kann da helfen?

Laut Aussage von Kultusministerin Eisenmann soll es die Möglichkeit geben, genau diese Schüler an die Schule zu holen und intensiv zu betreuen. Aber da sind wir wieder beim Problem Erreichbarkeit: Wenn man anruft, stellt man ab und zu fest, dass die Nummer nicht mehr gültig ist.

Und so geht so der Anruf ins Leere, die Mail ins Leere...

... das Päckchen ins Leere. Und der persönliche Kontakt kann dann auch nicht stattfinden. Bei uns gab es Lehrer, die sind sogar mit dem Auto rumgefahren und haben eine Rundlieferung mit vergessenen Büchern aber auch mit neuen Materialien gemacht.

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Welche Gründe gibt es noch, wenn Schüler abschalten?

Sei es, dass man kein Internet hat, kein Computer zuhause vorhanden ist. Sei es, dass die Handykarte nicht reicht, um online tätig zu werden.

Es gibt auch Fälle, in denen Eltern im Homeoffice sind, und dann Eltern und Kinder auf ein einziges Gerät angewiesen sind.

Es scheitert also manchmal schon an der Hardware?

Es hat zwar fast jeder ein Smartphone. Aber damit allein kann man kein Arbeitsblatt ausdrucken, manchmal fehlt der Drucker. Und das Dokument auf dem Smartphone auszufüllen, ist schwierig. Manche haben keine E-Mail-Adresse.

Es gibt auch Fälle, in denen Eltern im Homeoffice sind, und dann Eltern und Kinder auf ein einziges Gerät angewiesen sind. Wenn Papa und Mama am Computer arbeiten, kann das Kind nicht gleichzeitig am Rechner lernen.

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Von Digitalisierung und Fernunterricht wird lange geredet, richtig drauf vorbereitet war aber auch auf Lehrerseite keiner. Ein pdf zu verschicken ist noch kein Fernlernunterricht, das ist jedem klar. Aber es besser zu machen ist auch nicht so leicht, oder?

Technisch ist jeder unterschiedlich begabt. Da kann man kein einheitliches Konzept fahren. Es gibt die eher traditionell orientierten Lehrkräfte, die sagen: Ich habe noch nicht so viel Ahnung von digitalem Unterricht.

Ich verschicke meine Materialpakete und rufe bei den Kindern an. Aber es gibt auch Lehrer, oder vor allem Lehrerinnen, die selbstgedrehte Erklärvideos an ihre Schüler online stellen. Dafür mussten sie sich durchaus überwinden. Es sind für viele ganz neue Erfahrungen.

Für viele Schüler wird es noch eine ganze Weile mit Fernunterricht weitergehen. Welche Lehren kann man für sie schon jetzt ziehen?

Jeder muss sich fragen, wie man sich noch besser auf die Situation einstellen kann. Aufgaben und die Lösungen dazu reichen oft nicht. Ganz wichtig ist es, auch ohne Klassenzimmer den Weg zur Lösung zu zeigen.

Die erste Maßnahme war ein Aufarbeiten der Defizite. Die neuen Sachen zu lernen, das war für die motivierten und begabten Kinder möglich. Bei den anderen funktioniert das ohne direkten Bezug zur Lehrkraft nicht. Da fehlt die unmittelbare Kontrolle, die Beziehung zwischen Schüler und Lehrkraft, und dadurch kehrt eine gewisse Nachlässigkeit ein.

Zugespitzt: Die, die sowieso gut und motiviert sind, kommen gut durch die Krise. Die andern tun sich erst recht schwer.

Das war zu erwarten. Im eigenen Zimmer ist es leichter, als wenn fünf Leute am Küchentisch sitzen, wo die Mama Homeoffice macht und die Geschwister nebendran spielen.

Bei allen Problemen: Bringt diese Zeit wenigstens einen Nutzen für die Zukunft?

Was wir jetzt in der Praxis erleben, bringt uns weiter als die eher bürokratische Beschäftigung mit einem Medienentwicklungsplan. Ich glaube schon, dass diese Zeit die digitale Kompetenz der Schulen stärken wird.

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