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Buch von BNN-Redakteur Ulrich Coenen beleuchtet Egon Eiermanns Wirken in Baden

Egon Eiermann ist der bedeutendste deutsche Architekt der Nachkriegszeit. Er hat viele Bezüge zu Mittelbaden. Diese beleuchtet BNN-Redakteur Ulrich Coenen in seinem neuen Buch, in dem es sogar um Toilettenpapier geht.

Villa Eiermann
Eiermanns bekanntestes Wohngebäude: Die Villa für die eigene Familie baute der Karlsruher Architektur-Professor in den Jahren 1959 bis 1962 in Baden-Baden. Dort lebte er bis zu seinem Tod 1970. Foto: Ulrich Coenen

Vermutlich kennt jeder Egon Eiermann. Nicht unbedingt als Name, aber über das bekannteste seiner großartigen Bauwerke, die neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.

Vier Baukörper sind es. Kirche, Turm, Kapelle und Foyer. Sie gruppieren sich um die Reste des kriegszerstörten, historistischen Gotteshauses. Ein ikonisches Motiv, millionenfach fotografiert und bei so ziemlich jedem Berlin-Besucher unauslöschlich in der Erinnerung haftend.

Dass der bedeutendste deutsche Architekt der Nachkriegsmoderne in Mittelbaden tief verwurzelt war, das wissen vermutlich eher die Fachleute. Egon Eiermann (1904-1970) prägte als Professor der TH Karlsruhe (heute: Karlsruher Institut für Technologie/KIT) nach dem Krieg eine neue Generation junger Architekten, von denen viele in Baden bau(t)en. Nach seinen Plänen entstanden zudem zwei Villen in Baden-Baden und zwei Gewerbebauten in Offenburg.

Die Villen sowie die Verwaltungsgebäude von Burda Moden und Stahlbau Müller liefen bislang etwas unter dem Radar der breiteren Öffentlichkeit. Das ist schade, denn das Burda-Verlagshaus (1953/54) mit seiner tragenden Fassadenkonstruktion war seiner Zeit weit voraus. Insofern schließt der promovierte Bauhistoriker Ulrich Coenen, Redakteur dieser Zeitung, mit seinem Werk „Egon Eiermann in Mittelbaden. Anmerkungen zu seinen Villen in Baden-Baden und seinen Gewerbebauten in Offenburg“ eine Lücke.

Der für Egon Eiermann typische Haupteingang mit dem auf zwei Rohrstützen weit auskragenden Vordach ist asymmetrisch angeordnet.
Ikonisch: Der für Egon Eiermann typische Haupteingang mit dem auf zwei Rohrstützen weit auskragenden Vordach ist asymmetrisch angeordnet. Er befindet sich also ganz bewusst nicht in der Mitte der Fassade. Foto: Ulrich Coenen

Herausgeber des 122 Seiten starken Werks ist die Knapp-Stiftung für Architektur und Städtebau, deren Gründer, der Architekt Heinz J. Knapp, zum Kreis der Eiermann-Schüler zählt. Knapp schreibt in seinem Geleitwort: „Ich war von Eiermanns Vorlesungen und der Mitarbeit in kleinen Studiengruppen fasziniert.“

Der Meister half seinem Schüler auch bei einer Anfrage aus Stockholm, die Knapp ermöglichte, nach Schweden zu gehen. Er habe nicht gezögert, so Knapp, habe sich dann in seinen Fiat Topolino gesetzt, „...fuhr nach Norden und verbrachte dort fünf Jahre in schwedischen Planungsbüros.“

Coenen, der für die BNN zwei lesenswerte Serien über den Architekten, Möbeldesigner und Hochschullehrer Eiermann schrieb, bringt dem Leser mit den vier mittelbadischen Gebäuden – alle entstanden binnen eines knappen Jahrzehnts von 1953 bis 1962 – einen Egon Eiermann nahe, wie ihn vielleicht auch der ein oder andere Experte nicht kennt.

Dieser „private“ Egon Eiermann erwächst vor allem aus Interviews, die der Autor mit Eiermann-Schülern wie Heinz J. Knapp ebenso mit Eiermanns 1956 in Karlsruhe geborener Tochter Anna führte. Letztere weiß lebhaft von den hohen gestalterischen Ansprüchen ihres Vaters zu berichten. Hässliche Marmeladengläser auf dem Frühstückstisch? Für den „Gottvater“ der deutschen Nachkriegsarchitektur ein Tabubruch.

Sogar das Toilettenpapier im Hause Eiermann unterlag „strengen ästhetischen Regeln.“ Das damals schon existierende Blümchen-Design kam für Egon Eiermann nicht in die Tüte, oder, genauer gesagt, nicht an den Rollen-Halter.

Der bisweilen streitbare Herr Professor, der sich in der Kurstadt in der nach seinen Plänen von 1959 bis 1962 erbauten Villa, gleichzeitig sein bekanntestes Wohngebäude, nahezu einigelte, war zudem immer wieder für ein knackiges Zitat gut. Karlsruhe-Neureut, auch Verlagssitz der BNN und zeitweise Wohnort der Familie Eiermann, bezeichnete der Architekt als „Niemandsland zwischen Kiesgruben und amerikanischen Kasernen“.

Buch fußt auf zwei Serien in den BNN über Eiermann

Der Verdienst Coenens ist aber nicht nur, dass er in dem auf den beiden BNN-Serien „60 Jahre Eiermann in Baden-Baden“ und „70 Jahre Eiermann in Offenburg“ fußenden Buch den Menschen Egon Eiermann mit seinen Eigenheiten und seine vier mittelbadischen Gebäude anschaulich nahebringt.

Auf Basis einer intensiven Quellenforschung, der Vor-Ort-Begutachtung der Architektur, den Zeitzeugen-Interviews und einer kritisch-motivierten Literaturrecherche ermöglicht das Buch „Egon Eiermann in Mittelbaden“ auch eine Einordnung des Architekten und seiner Werke.

Denn die Lichtgestalt der gebauten, deutschen Nachkriegsmoderne ist nicht frei von Anhaftungen aus der NS-Zeit. Er war kein Nazi, war aber durch seine Tätigkeit in den Nationalsozialismus verwickelt. Eiermann arbeitete für die braunen Machthaber. Die Legende des Nischensuchens in der Industriearchitektur ist – wie Coenen mit den Verweisen auf die mutige Dissertation von Sonja Hildebrand verdeutlicht – also nicht haltbar.

Wichtiger Diskus über den Architekten in der NS-Zeit

Dass Coenen diesen Diskurs nicht ausspart, ist ein Verdienst. Egon Eiermann tat allerdings nichts, was der größere Teil seiner Zunft, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland blieb, nicht auch pflegte, um weiter Geld zu verdienen. Er arrangierte sich.

Und das Bauen für Diktatoren hat Bestand, wie der Autor anhand einiger aktueller Fallbeispiele im Kapitel „Architektur und Moral“ verdeutlicht.

Das im Verlag Mainz (Aachen) erschienene Buch zeigt: Es benötigt nicht zwangsweise gewaltige Umfänge, um ein sehr komplexes Thema erschöpfend zu behandeln. Die Stärke des Werks liegt darin, dass man auf gut 100 mit hoher Fachkompetenz geschriebenen Seiten alles Wesentliche zur Biografie Eiermanns, den Villen und Gewerbegebäuden in Mittelbaden mit all ihren Besonderheiten und einigen exemplarischen Bauten aus seiner fast 40-jährigen Schaffensphase zwischen 1931 und 1970 erfährt.

Dass Coenen die Eiermann-Gebäude nicht isoliert behandelt, sondern in den bauhistorischen und soziokulturellen Kontext stellt, hilft dem Leser. So geht es um Aspekte wie „Industriebau und Denkmalpflege“, um den Villenbau in Baden-Baden, der natürlich in einer Kurstadt eine ganz besondere Bedeutung hat oder um die Bezüge Eiermanns zu Stadt an der Oos.

Obwohl mit der Villa Eiermann ein Wunschtraum des Architekten wie seiner Familie in Erfüllung gegangen war, wurde Egon Eiermann in der Kurstadt nicht heimisch. „Egon Eiermann hat im gesellschaftlichen und öffentlichen Leben der Stadt keine Rolle gespielt“, berichtet sein Schüler Heinz J. Knapp dem Buch-Autor in einem Interview.

Ein umfangreiches Literaturverzeichnis lässt für das vertiefende Studium keine Wünsche offen. Der großzügig angelegte Bildteil, der sich überwiegend aus dem Fotofundus des Autors speist, eröffnet auch zum Teil sehr private Einsichten in das inzwischen von den neuen Besitzern trefflich sanierte Wohnhaus der Familie Eiermann. Kurzum: Ein Buch für kritisch denkende Architekturfans und solche, die es werden wollen.

Neues Eiermann-Buch

Coenen, Ulrich: „Egon Eiermann in Mittelbaden. Anmerkungen zu seinen Villen in Baden-Baden und seinen Gewerbebauten in Offenburg. Verlag Mainz. Aachen und Baden-Baden 2023. 122 Seiten, ISBN: 978-3-95886-510-5.

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