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Pianist begeistert

Lang Lang sucht in Baden-Baden nach der Romantik

Im ausverkauften Festspielhaus begibt sich der weltberühmte chinesische Pianist Lang Lang auf eine musikalische Spurensuche.

Lang Lang im Festspielhaus Baden-Baden
Lang Lang erweiterte seinen Soloabend im inklusive der Stehplätze restlos ausverkauften Festspielhaus um zwei Zugaben. Foto: Michael Bode

Es ist eine musikalische Suche, auf die sich Lang Lang in Baden-Baden begibt. Sein Klavierabend im ausverkauften Festspielhaus vereint Werke von Gabriel Fauré, Robert Schumann und Frédéric Chopin. Der weltberühmte Pianist, mittlerweile in seinen Mittdreißigern, folgt damit den klangvollen Spuren, die die Frage „Was ist Romantik?“ hinterlassen hat.

Ist es die Sehnsucht nach dem Unergründlichen, nach jener blauen Blume, die Novalis zu pflücken suchte? Oder das Jenseitige, das Rendezvous mit dem Unheimlichen, dem Hintergründigen? Oder die Hinwendung zur Natur, zur Herkunft des Kulturellen, zur Nation, zur Folklore?

Für Lang Lang scheint das Klavierspiel eine Mission zu sein

Klavierspiel versteht Lang Lang nicht als Reduktion auf das Wesentliche. Insofern bietet er den denkbar schroffsten Gegensatz zu Pianisten wie etwa Grigori Sokolow. Für ihn scheint das Klavierspiel eine Mission zu sein, auf die er jeden im Publikum mitnehmen möchte.

Er ist nicht nur ein Meister der Tasten, er beherrscht genauso virtuos die Klaviatur der Selbstdarstellung, des Entertainments. Und wenn er spielt, virtuos in allen Facetten, dann begleitet er Phrasen- oder Satzschlüsse nicht selten mit exaltierter Gestik, die zuweilen ins Karikaturhafte reicht. Der Wirkung seiner Stücke scheint er nicht ganz zu trauen.

Im Spiel dieses Pianisten verbinden sich überragende technische Agilität und ein äußerst verfeinerter Klangsinn. Dynamische Verläufe kann Lang Lang derart minimieren, dass man meint, ein Clavichord stehe auf der Bühne und nicht ein Steinway D. Vieles wirkt auf die Spitze getrieben, ja manieriert. Doch auch in seinen feinsten Pianissimi geht nichts verloren. Auch ein solcher Manierismus muss erst einmal beherrscht sein.

Zuerst Faurés, dann Schuhmann im Festspielhaus

Und seine Programmwahl ist nicht auf den schnellen Erfolg getrimmt: Nach dem feinen Klanggewebe der fis-Moll-Pavane Faurés folgte Schumanns „Kreisleriana“ – und die bestraft den eiligen Virtuosen sehr schnell. Lang Lang geht dem Ur-Romantischsten, was die deutsche Musikromantik wohl zu bieten hat, auf den Grund – mit Herz, Samt und Pranke.

Zuweilen glaubt man bei diesen acht Fantasiestücken schon, etwa im Furor des Beginns oder bei der Nr. 7, Schumanns Alter Ego sitze höchstselbst am Flügel. Doch auch den Versenkungen dieses romantischen Kosmos wird er gerecht, verführerisch liedhaft, mittelstimmenreich, um bald jede Nuance bemüht – und die barockisierenden Passagen, etwa die verstärkenden Vorhalte der Nr. 6 oder das feurig Toccatenhafte der Nr. 7 hörbar machend. Auch das gehört zur Romantik.

Bei seiner Auswahl aus den Chopin’schen Mazurken legt er den Schwerpunkt weniger auf das stilisiert Tänzerische, vielmehr auf das Konzertante (op. 30, Nr. 3), auf das Intime (op. 17, Nr. 4), auf das Geheimnisvolle (op. 17, Nr. 1), auf das episodenhaft Melancholische (op. 17, Nr. 2, op. 33, Nr. 4). Es sind „Geruchsproben“ aus Chopins Mazurken-Tagebuch, an den feinsten Parfümerien vorbei, die sich in Paris finden lassen.

Bei Chopin überfliegt Lang Lang einen Abgrund

Mit seiner fis-Moll-Polonaise op. 44 gelang Chopin eines seiner dramatischsten, aber auch dunkelsten Werke. Fiebrige Vehemenz umschließt in diesem Stück ein Mazurken-Trio, dessen plötzliche Idylle nichts Gutes verheißt. Diese Polonaise endet nicht, sie verendet.

So packend Lang Lang die donnernden Oktaven auch meistert, die Sprünge, die Steigerungen, so verführerisch er den Mazurkafrieden zelebriert, den düsteren Halbton-Abstufungen der Rahmenteile geht er nicht auf den Grund. Mehr als 20-mal insistiert da eine Oktave auf A, kalt, unablässig, harmonisch nicht recht zuzuordnen.

Dann sinkt das Stück, den Polonaisenrhythmus wieder aufnehmend, nach gis ab. Nur einen halben Ton. Aber in einen Abgrund. Den überfliegt er, setzt ihn nicht genügend von dem ab, was ihn vorbereiten soll. Und der Stretta-Schluss gerät ihm zu diesseitig. Dennoch – und verdientermaßen: Standing Ovations.

Blumenstrauß schwingend und am Mikrofon parlierend gibt er zwei Zugaben aus neueren CD-Publikationen: Lili Boulangers „D’un jardin clair“ und „The Rainbow Connection“ aus dem Puppenfilm „Muppet Movie“, mit dem Kermit seinen Siegeszug antrat. Glänzend gespielte Petitesse.

Trotz allen Einwänden, die man der Stilistik Lang Langs entgegensetzen kann: Dieser erstaunliche, immer noch jugendliche Mann aus Shenyang ist einer der interessantesten Pianisten der Gegenwart.

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