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Kritik an Putins Propaganda

Lautstarker Protest: Anna Netrebko singt und vor dem Festspielhaus läuft Demo weiter

Baden-Baden ist die perfekte Bühne für Protest gegen Putins Vorzeige-Sopranistin. Die Stadt sonnte sich bis zuletzt in ihren russischen Beziehungen.

Demonstration vor dem Festspielhaus Baden-Baden gegen den Auftritt der russischen Sopranistin Anna Netrebko
Der Protest gegen den Auftritt von Anna Netrebko vor dem Festspielhaus Baden-Baden verläuft friedlich – und mit Musik. Die Kundgebung beginnt um 18.30 Uhr mit der ukrainischen Hymne und dauert auch während des Konzertes an. Foto: Bernhard Margull

Wirbel ist immer garantiert, wenn die Netrebko kommt. Das gilt auch und besonders für Baden-Baden, wo die russische Star-Sopranistin schon 2001 erste Kostproben ihrer atemberaubenden Kunst gab und ihr Charisma platzierte. Zu einem Zeitpunkt also, als von ihrem späteren Weltruhm allenfalls Kenner ahnten. Valery Gergiev hatte das Talent der Sängerin aus seinem Ensemble am Mariinski-Theater in St. Petersburg gewittert und sie in die große Welt gebracht.

Die große Welt ist Gergiev heute versperrt. Auch in Baden-Baden ist der Dirigent und Putin-Freund nicht mehr erwünscht. Für Anna Netrebko gilt das nicht. Zumindest nicht überall. Zwar hat sie sich nicht gegen den Kreml-Chef positioniert, aber eben auch nicht explizit für ihn.

Deshalb gibt auch Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa der russischen Sopranistin eine Bühne. Er empfängt die seit dem Krieg in der Ukraine umstrittene Sängerin zum ersten Mal in seiner Amtszeit in Baden-Baden. Dort hatte sie zuletzt 2019 zum Abschied von Stampas Amtsvorgänger Andreas Mölich-Zebhauser gesungen.

Das Konzert soll nicht gestört werden.
Denis Zipa
Bürgerinitiative „Information Front Activists“

Jetzt ist sie zurück. Mit allem, was sie künstlerisch ausmacht. Und mit lautstarkem Protest. Aber nur vor dem Festspielhaus. „Das Konzert“, betont Denis Zipa von der Bürgerinitiative „Information Front Activists“ (Infra), die zur Kundgebung aufrief, im Gespräch mit dieser Redaktion am Freitagvormittag, „soll nicht gestört werden“.

Drinnen keine Spur von Protest. Die Stimmung im Foyer ist gelöst. Das Konzert mit Arien aus Opern von Giuseppe Verdi beginnt fulminant. Netrebko steigt selbstbewusst ein mit herausfordernden Passagen aus dem ersten Akt der Oper „Macbeth“ (ausführliche Konzertkritik folgt). Das Festspielhaus ist begeistert – und ausverkauft.

Polizisten beim Protest Baden-Baden vor dem Festspielhaus Baden-Baden gegen den Auftrit von Anna Netrebko.
Polizei bewacht den Protest vor dem Festspielhaus Baden-Baden gegen den Auftritt von Anna Netrebko. Foto: Bernhard Margull

Eine perfekte Bühne auch für all jene, die nicht damit einverstanden sind, dass Putins Vorzeige-Künstler in Europa überhaupt noch einreisen und auftreten dürfen. Mit Plakaten und Reden protestieren sie vor dem Alten Bahnhof. Wer das Konzert besucht, kommt nicht an ihnen vorbei, muss sogar ausweichen.

Protest mit Musik: Forderung nach EU-Einreiseverbot für Künstler

Die Hauptpforte bleibt geschlossen, Zutritt gibt es nur über die Seiteneingänge und nach ausführlichen Kontrollen. Auch nach dem Konzert warten Demonstranten auf die Heimkehrenden. „Wir wollen die Besucher zum Nachdenken anregen“, sagt Zipa. Ihm ist wichtig, dass die vom Kreml verbreitete Propaganda in Europa keinen Anklang findet.

Der Protest selbst verläuft friedlich – und mit Musik. Die Kundgebung beginnt um 18.30 Uhr mit der ukrainischen Hymne und dauert auch während des Konzertes an. Zwischen den Reden der Initiatoren singt Kostiantyn Andreiev, ein Opernsänger aus Odessa. Immer wieder skandieren die Demonstranten. „Schande Netrebko!“, rufen sie, „Russland ist ein Terrorstaat!“ und „Putin tötet unsere Kinder!“.

„Dass wir uns das gefallen lassen müssen“, sagt ein Konzertbesucher auf dem Weg vorbei an der Demo und schubst eine unbeteiligte Passantin zur Seite. Weiter hinten haben sich Anhänger der Sopranistin positioniert und heißen sie mit Plakaten willkommen. „Musik ist Liebe und frei von Hass!“ und „Herzlich willkommen, Anna Netrebko!“.

Die Demonstranten kommen aus ganz Deutschland. Ihre Forderung: ein Einreise- und Auftrittsverbot in die EU für alle Künstler, die seit der Annexion auf der Krim aufgetreten sind und das Putin-Regime öffentlich unterstützt und damit Propaganda für dieses Regime gemacht haben.

Anna Netrebko bei ihrem Auftritt im Festspielhaus Baden-Baden.
Anna Netrebko bei ihrem Auftritt im Festspielhaus Baden-Baden. Foto: Manolo Press/ Michael Bode.

Netrebko, die auch österreichische Staatsbürgerin ist und in Wien lebt, wurde immer wieder Nähe zum Kreml vorgeworfen. Ihr Management streitet dies ab. Es sei falsch, die Sopranistin mit einer Regierung oder dem Krieg in der Ukraine in Verbindung zu bringen. Momentan tritt Netrebko nicht in Russland auf. Tatsächlich hat sich die Künstlerin von dem Konflikt distanziert und betont, sie sei „unpolitisch“, jedoch nie Stellung gegen Kreml-Chef Wladimir Putin bezogen.

Das werfen ihr die Demonstranten in Baden-Baden vor. Mehr noch: „Netrebko verbreitet die Kreml-nahe Narrative“, heißt es in der Einladung zur Kundgebung gegen Netrebkos Auftritt. „So warb sie während Putins Wahlkampf für ihn und war seine Vertrauensperson“, erinnern die Gegner.

Kritik ohne Vorurteile: Protest gegen kremlnahe Kultur und für mehr Mut

Zugleich betonen die Initiatoren, „dass unsere Proteste nicht gegen die Nationalität oder die Bürgerschaft der Sängerin und nicht gegen die allgemeine russische Kultur gerichtet sind, sondern gegen die Kreml-nahe Kultur, die den Zielen der Propaganda mitwirkt, und gegen die Künstler, die sich von Putin nicht distanziert haben“.

Angst vor dem Regime lässt Denis Zipa nicht gelten: „Wir sehen ja, was aus Angst resultiert. Jetzt ist der Zeitpunkt, wo man entscheiden muss, wie man mit Angst umgeht.“

Baden-Baden: Optimaler Schauplatz für Protest gegen Netrebko und russische Beziehungen

Für ihre Anklagepunkte ist Baden-Baden die optimale Bühne. Die Demonstranten können hier mit einer starken Resonanz rechnen. In Russland ist die Stadt genauso bekannt wie Berlin.

Die besonderen Beziehungen zwischen der Kurstadt an der Oos und dem einstigen Zarenreich haben ihre Wurzeln in der Hochzeit von Zar Alexander I. und Luise von Baden im Jahr 1793 in St. Petersburg. Schriftsteller wie Fjodor Dostojewski verbrachten ihre Zeit im Kasino und russische Wohlhabende besitzen prächtige Villen entlang der Hänge dieser Kurstadt.

Protest vor dem Festspielhaus Baden-Baden gegen den Auftritt von Anna Netrebko.
Protest vor dem Festspielhaus Baden-Baden gegen den Auftritt von Anna Netrebko. Foto: Bernhard Margull

Der Ukraine-Krieg hat das einst russlandfreundliche Klima in der Stadt stark getrübt. Zum Beispiel war ein ukrainischer Kellner des „Rizzi“-Restaurants durch eine anti-russische Wutrede viral gegangen. Der Protest gegen die Netrebko vor dem weltweit renommierten Festspielhaus als Ort künstlerischer Elite trifft Baden-Baden also ins Herz. 

Geht es nach der Bürgerinitiative Infra, soll sie auch in Baden-Baden nicht singen. Nicht, solange neben Verdi nicht auch ein klares Nein gegen Putin über ihre Lippen kommt.

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