Skip to main content

Gratwanderung durch zerrissene Welt

Ukrainische Frauen berichten in Baden-Baden von Krieg, Flucht und Neubeginn

Vier ukrainische Frauen schildern im Gemeindehaus St. Bonifatius ihre Flucht. Und viel mehr als das: Sie geben den Blick auf ihr Leben preis – vor und nach Kriegsbeginn.

vier Frauen
Sie wirkten beim neuen Gesprächsformat „Talk About“ im Gemeindehaus mit: Olena Kuriachenko, Anna Miuller, Iryna Root und Elina Panina (von links). Foto: Katrin König-Derki

Nur wenige Besucher erschienen jetzt zum neuen Gesprächsformat „Talk About“ des Bildungswerks der Seelsorgeeinheit Baden-Baden im Gemeindehaus St. Bonifatius.

„Ukrainische Frauen in Baden-Baden“ ist die Erstauflage überschrieben. Der geradezu intime Rahmen passt aber recht gut zum Ziel der Reihe. Das definiert der Leiter, Joachim Weggler, wie folgt: „Ins Gespräch kommen, mehr voneinander wissen, Verständnis aufbauen.“

Frauen geben in Baden-Baden Blick auf ihr Leben preis

Vier Frauen sind es, die an diesem Abend ihre Flucht schildern. Und viel mehr als das: Sie geben den Blick auf ihr Leben preis – vor und nach Kriegsbeginn. Das kostet sie ganz offensichtlich nicht nur Mut, sondern auch viel Kraft. Ihr Schmerz ist greifbar. Immer wieder fließen Tränen; dann streicheln sich die Frauen die Hände.

Diese Schatten können freilich auch plötzlich wieder in den Hintergrund treten. Eigentlich lachen Iryna Root, Anna Miuller, Olena Kuriachenko und Elina Panina nämlich sehr gern – ihr Humor durchbricht die traurigen Momente dann wie eine Befreiung. „Ihr seid starke Frauen“, wird Weggler am Ende bewundernd sagen, und Iryna wird darauf erwidern: „Krieg und Flucht haben uns stark gemacht. Wir hatten keine andere Wahl.“ Doch auch wenn die jungen Mütter aus der Gegend von Charkiw, Kiew, Butscha und Odessa ein Fluchtschicksal teilen: Jede Geschichte ist eine völlig andere.

Auch die Art der Frauen, mit dem neuen Leben in Baden-Baden umzugehen, ist sehr unterschiedlich. Das hängt wohl mit ihrem Wesen zusammen, entscheidend aber auch mit der jeweiligen Familiensituation, den in der Ukraine verbliebenen Angehörigen etwa. Das Alter ihrer Kinder spielt dabei ebenfalls eine Rolle. Olena erklärt: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Kleinen und auch die Älteren sich recht gut in Deutschland einfinden. Aber jene, die mit 13 oder 14 Jahren gerade mitten in der Pubertät stecken, verweigern sich häufig der Integration.

Das Wort „Sehnsucht“ taucht mehrfach auf

Olena und ihr Mann führten in ihrer Heimat eine Firma, Elina war Friseurin, Anna ist Mutter von fünf Kindern, Iryna arbeitete für ein deutsches Unternehmen. Sie beschreiben Fassungslosigkeit und Ängste, die sie seit Kriegsbeginn erlebten. Eine dafür beispielhafte Szene schildert Olena: Einer ihrer Söhne schlief in den Tagen bis zur Flucht nur noch mit Schuhen im Bett, um schnell vor den Bomben wegrennen zu können.

Anna musste ihre kranke Mutter in der Ukraine zurücklassen. Sie starb wenig später. Elina konnte lange keine Verbindung mehr zu ihren Eltern in Mariupol herstellen. Das Wort „Sehnsucht“ taucht mehrfach auf: Nach Ehemännern und Vätern, Freunden, dem eigenen Haus, dem alten Leben.

Sogar Olenas traditionell-ukrainische Bluse, von ihrem Mann per Post geschickt, hat mit Sehnsucht zu tun: Sie erklärt das Motiv als „Lebensbaum“ ihrer Familie. Auf der anderen Seite der Neubeginn in Baden-Baden: Das Erlernen der Sprache. Das Bemühen, Struktur in den Alltag zu bringen, oft über Schule, Kindergarten und Hobbys. Das bewegende Gefühl, hier willkommen zu sein.

Iryna etwa dankt Weggler und seiner Frau für ihr offenes Haus: Aus einer Freundschaft, die schon vor dem Krieg bestand, wurde ihr zufolge „Familie“. Das seien „gelebte christliche Werte“, sagt sie unter Tränen. Ähnliches berichten auch ihre Freundinnen. Elina hat zum Thema Dankbarkeit eigens ein paar Zeilen gedichtet, die sie am Ende vorliest. Aus dem Ukrainischen übersetzt heißt es darin: „Als die Welt auseinander zu reißen schien/Und die Angst mich fesselte von Kopf bis Fuß/Reichte uns das ruhige und grüne Baden-Baden/Mit Liebe eine helfende Hand.“

nach oben Zurück zum Seitenanfang