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Jahrestag der Auschwitz-Befreiung

Virtuelles Gedenkbuch erinnert an Baden-Badener Opfer des NS-Regimes

Mehr als 800 Baden-Badener sind von den Nazis ausgegrenzt, gedemütigt, verfolgt oder ermordet worden. Im Gedenkbuch werden ihre Geschichten sichtbar.

Prof. Dr. Franz Lust.
Der jüdische Kinderarzt Franz Lust war nach seiner Inhaftierung im KZ Dachau so traumatisiert, dass er sich am 23. März 1939 in Baden-Baden das Leben nahm.  Foto: Stadtarchiv Baden-Baden

In Baden-Baden hat ein Redaktionsteam unter Federführung von Kurt Hochstuhl, Heike Kronenwett und Dagmar Rumpf in akribischer und mühsamer Arbeit ein virtuelles Gedenkbuch erstellt, das an die Opfer des NS-Regimes in der Kurstadt erinnert.

Der 27. Januar ist seit 1996 in Deutschland ein Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Dieses Datum bezieht sich auf den 27. Januar 1945, den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee.

An diesem Tag soll an die Opfer des verbrecherischen und totalitären NS-Regimes erinnert werden: Juden, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Homosexuelle, „Asoziale“, politisch Verfolgte und Gefangene, Kranke und Behinderte und auch an die, die Widerstand leisteten.

Mehr als 800 Baden-Badener wurden Opfer der Nazis

Das Baden-Badener Gedenkbuch ist den mehr als 800 Männern, Frauen und Kindern gewidmet, die in der Stadt geboren wurden oder gewohnt haben und während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ausgegrenzt, gedemütigt, verfolgt oder ermordet wurden – sei es aufgrund ihres Glaubens, ihrer Überzeugungen, ihrer Herkunft oder einer Erkrankung.

Die Urheber des Gedenkbuches betonen, dass die vorliegende Dokumentation keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, weder was die Zahl der darin aufgeführten Personen anbelangt, noch in Bezug auf die über sie aufgeführten biografischen Informationen.

Das virtuelle Gedenkbuch enthält zum Beispiel bis jetzt noch keine Angaben über die Kriegsgefangenen sowie Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Baden-Baden.

Die größte Opfergruppe waren die jüdischen Einwohner von Baden-Baden. Am 22. Oktober 1940 wurden 116 jüdische Frauen und Männer von Baden-Baden in das französische Lager Gurs in den Pyrenäen deportiert. Von ihnen starben 22 in französischen Lagern, mindestens 14 in Auschwitz und einer in Lublin (Maidanek).

Von den damals nicht Deportierten lebten 1941 noch 44 Juden in Baden-Baden, die nach und nach auch nach Lublin und Theresienstadt verschleppt wurden. Nur Gertrud Katz und Martha Wingenroth kehrten nach Baden-Baden zurück, alle übrigen wurden ermordet.

15 jüdische Personen setzten während der NS-Diktatur wegen der zunehmenden Demütigungen und Misshandlungen, der großen psychischen Belastungen und des ungewissen Schicksals einer Deportation ihrem Leben selbst ein Ende. Der jüdische Kinderarzt Franz Lust war nach seiner Inhaftierung im KZ Dachau so traumatisiert, dass er sich am 23. März 1939 in Baden-Baden das Leben nahm.

Nach dem 10. Oktober 1944 lebten nur noch 22 Juden in Baden-Baden, die durch ihren nichtjüdischen Ehepartner geschützt waren. 

Das älteste Baden-Badener „Euthanasie“-Opfer war 80 Jahre alt

Das „Euthanasieprogramm“ der Nazis beruhte auf einem Führererlass vom 1. September 1939. Er wirkte sich auch auf Bürger und Bürgerinnen von Baden-Baden aus. 118 Männer, Frauen und Kinder sind bekannt, die in Baden-Baden und den später eingemeindeten Ortsteilen geboren sind oder dort gewohnt haben und Opfer der NS-Krankenmorde wurden.

Das älteste Opfer war Frieda Schuster, die an ihrem 80. Geburtstag von der Kreispflegeanstalt Ottersweier-Hub nach Grafeneck deportiert wurde und am gleichen Tag dort ermordet wurde.

Die zehnjährige Maria Elisabeth Krattenmacher war das jüngste Opfer. Am 26. September 1940 wurde sie von der St.-Josef-Anstalt in Herten bei Rheinfelden zusammen mit 93 anderen Bewohnern nach Grafeneck deportiert und dort wohl noch am selben Tag in der Gaskammer ermordet.

Mindestens fünf Männer und Frauen aus Baden-Baden wurden in Hadamar durch Giftinjektionen und Überdosierung von Medikamenten ermordet. Eine Frau starb in der Zwischenanstalt Eichberg. Zwei Frauen kamen in Kaufbeuren, eine in Irsee und drei in den elsässischen Anstalten Hoerdt beziehungsweise Brumath ums Leben.

Das Gedenkbuch erinnert auch wegen ihrer politischen Meinung verfolgte Baden-Badener

Insgesamt starben zwischen 1942 und 1945 mindestens 16 Männer und Frauen aus Baden-Baden in psychiatrischen Kliniken vermutlich eines gewaltsamen Todes. Im Gedenkbuch werden auch 74 Personen aufgeführt, die wegen ihres abweichenden politischen Verhaltens – häufig verhandelt vor dem Sondergericht Mannheim – verfolgt wurden.

So wurde zum Beispiel der ehemalige sozialdemokratische Gewerkschaftssekretär Fritz Groß am 22. August 1944 von der Gestapo verhaftet und am 16. September 1944 in das KZ Mauthausen (Österreich) deportiert, wo er am 3. November 1944 starb. Der Leiter der illegalen KPD-Ortsgruppe Baden-Baden, Friedrich Maier, war seit dem 11. Juni 1938 im KZ Dachau inhaftiert, wo er am 14. April 1940 im Alter von 46 Jahren starb.

Die Zeugen Jehovas wurden als religiöse Minderheit schon früh von den Nationalsozialisten bekämpft, so wie Hermine König, eine von sieben verfolgten Zeugen Jehovas in Baden-Baden. Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern wurde am 18. Juli 1937 in die sogenannte „Schutzhaft“ genommen und im KZ Moringen inhaftiert. Am 27. März 1942 starb sie mit 48 Jahren im KZ Ravensbrück.

Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene sind noch nicht berücksichtigt worden

Bei der bis jetzt im Gedenkbuch noch nicht berücksichtigten Opfergruppe handelt es sich um Kriegsgefangene sowie Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die hauptsächlich aus der Sowjetunion und Polen stammten.

Die meisten von ihnen waren im Gefangenenlager „Stalag VC Malschbach“ inhaftiert, wie der Schüler Nikolaj Mjasnikow, der am 28. Juni 1942 gefangen genommen wurde und der am 30. Dezember 1944 im Alter von 20 Jahren im Lager Malschbach starb.

Die sowjetrussischen Opfer der Nazi-Herrschaft in Baden-Baden wurden auf dem Ehrenfriedhof in Lichtental beerdigt, wo ein Gedenkstein mit kyrillischer Aufschrift an die vermutlich 253 Gestorbenen erinnert.

Die Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes müsse auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen, sagte der frühere Bundespräsident Roman Herzog. Der 27. Januar ist dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gewidmet und soll gleichzeitig jeder Gefahr der Wiederholung entgegentreten.

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