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Stadt wird urbaner

Bebauung des Lörch-Geländes in Bühl polarisiert – eine Architekturkritik 

Die Bebauung des Lörch-Geländes in Bühl hat viele Jahre lang polarisiert. Dem Streit mit einem Schweizer Investor folgte ein Prozess vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit einem Nachbarn. Jetzt ist die Wohnbebauung auf dem letzten Filetstück der Innenstadt fertig gestellt. Eine Architekturkritik.

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Die Villa Walchner (Mitte) wurde saniert. Zwei Reihenhäuser sind in den Baulücken links und rechts entstanden und fügen sich gut in den Verlauf der durch eine Erhaltungssatzung geschützten Eisenbahnstraße. Foto: Ulrich Coenen

Bühl ist urbaner geworden. Die drei neuen Punkthäuser nach einem Entwurf von Planum Architekten auf dem Lörch-Gelände geben dem Platz Vilafranca endlich eine Fassung und bilden mit Mediathek und Carl-Netter-Realschule ein harmonisches Ensemble. Letztere sind bereits im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends als Wettbewerbserfolge von Wurm und Wurm gebaut worden. Wegen des fehlenden Konzepts für die Industriebrache auf dem Gelände der früheren Schnapsfabrik wartete der neu entstandene Platz an der Südseite viele Jahre auf seine Vollendung.

Endloser Ärger endet vor Gericht

Nach dem endlosen Ärger mit einem Schweizer Investor, der die spätklassizistische Villa Walchner in der Eisenbahnstraße abreißen und das Areal komplett neu bebauen wollte sowie dem folgenden Rechtsstreit mit einem Anwohner, der die Wohnbebauung in ihrer jetzigen Form verhindern wollte , ist das Ergebnis überaus erfreulich. Planum Architekten haben die Innenstadt maßvoll nachverdichtet und zugleich prägende Neubauten geschaffen, die sich selbstbewusst einfügen.

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Der Platz Vilaranca hat eine Fassung erhalten. Die drei neuen Punkthäuser, die Realschule (rechts) und die Mediathek, von deren Loggia aus das Foto aufgenommen wurde, bilden ein schönes Ensemble. Foto: Ulrich Coenen

In den drei viergeschossigen Punkthäusern und den beiden Reihenhäusern in der Eisenbahnstraße sind über einer Tiefgarage 39 Wohnungen mit 60 bis 145 Quadratmeter entstanden. In die sanierte Villa Walchner, die von den neuen Reihenhäusern flankiert wird, zieht eine Zahnarztpraxis ein.

Beinahe zierlich

Die drei viergeschossigen kubischen Punkthäuser, die im Grund- und Aufriss analog gestaltet sind, wirken trotz ihrer beachtlichen Abmessungen von 20 mal 16 Metern und einer Traufhöhe von bis zu 12,5 Metern zierlich. Das hängt damit zusammen, dass sie die zum Teil gewaltige Höhenentwicklung der geneigten Dächer in der Umgebung nicht erreichen, aber auch mit der geschickten Fassadengestaltung.

Planum Architekten ordnen die Fenster nicht in Achsen an, sondern lassen sie „springen“. Es ist keineswegs neu, dass Architekten die klassische Lochfassade auf eine andere Weise rhythmisieren und statt des regelmäßigen Rasters Fenster und Loggien mit abweichenden Formaten in jedem Geschoss verschieden anordnen. Die „springenden Fenster“ der Lörch-Punkthäuser sind aber besonders elegant. Bodentief sitzen sie in schwarzen Gewänden, die im bewussten Kontrast zur weißen Fassade stehen.

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Wohnung im Dachgeschoss eines Punkthauses Foto: Ulrich Coenen

Die innenliegenden Treppenhäuser mit ihren grauen Feinsteinfliesen sind betont schlicht. Die Wohnungen mit einem Vinylbelag in jeweils unterschiedlicher Holzoptik sind trotz der für eine Innenstadt typischen relativ engen Bebauung hell. Die großen Fenster und vor allem die tief in die Kuben eingeschnittenen Loggien erlauben überraschende Ausblicke in und über die Stadt. Im Wohnbereich verzichten die Architekten auf eine Addition der Räume. Wohnzimmer, Küche und Diele fließen ineinander.

Wohnen am „Tor zur Welt”

Die Bebauung des Lörch-Geländes war eine janusköpfige Aufgabe. Die beiden Reihenhäuser in der Eisenbahnstraße, die seit 2015 durch Bühls erste Erhaltungssatzung geschützt wird, müssen sich in die Bühler Prachtstraße, die im 19. Jahrhundert als „Tor zu Welt“ in Richtung Bahnhof von fortschrittsgläubigen Bürgern mit Villen bebaut wurde, einfügen.

Planum Architekten haben die beiden neuen Reihenhäuser analog gestaltet, was angesichts die vielfältigen Formensprache des Historismus in der Eisenbahnstraße nicht nötig gewesen wäre.

Das westliche Reihenhaus schließt unmittelbar an den Brandgiebel der Villa Bernhard Wertheimer (heute Bella Musica) an, der Neubau im Osten steht völlig frei zwischen der Villa Walchner und der Villa Mittenmaier (heute Lerntreff). Sockel, Trauf- und Firsthöhe der Neubauten orientieren sich an den Bestandsgebäuden. Aus gestalterischen und praktischen Gründen haben die Architekten den Typus der Villa in der Eisenbahnstraße aber völlig neu interpretiert.

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Die Wohnungen im Dachgeschoss der Reihenhäuser in der Eisenbahnstraße besitzen große Zwerghäuser. Foto: Ulrich Coenen

Weil Wohnraum in der Innenstadt ebenso begehrt wie knapp ist, gibt es drei Wohnungen pro Reihenhaus, eine auf jeder Ebene. Das ist nur möglich durch große Zwerghäuser im Satteldach.

Schwarz ist gewöhnungsbedürftig

Die Neubauten haben wie die alten Villen regelmäßige Lochfassaden, unterscheiden sich aber durch die bodentiefen und eng beieinanderliegenden Fenster deutlich vom Bestand. Die Loggien an den Ecken haben die Architekten geschickt und unauffällig integriert.

Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist die schwarze Farbgebung der Fassaden. Klinker oder ein weißer Putz wie bei den unmittelbaren Nachbargebäuden wäre naheliegender gewesen.

Dennoch fügen sich die neuen Reihenhäuser gut in die Abfolge der Eisenbahnstraße ein, die die Baugeschichte vom Spätklassizismus bis zum Späthistorismus erzählt. Die vom Abriss bedrohte Villa Walchner in ihrer Mitte wurde aufwendig saniert. Die Eisenbahnstraße darf Bühls Prachtstraße bleiben.

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