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Mobbing im Sportunterricht

Bühler Sportlehrer Timo Ullrich: „Wählen kann durchaus erniedrigend sein“

Wie verbreitet ist Mobbing im Sportunterricht? Eine Umfrage sorgt für Diskussionen. Das sagt Timo Ullrich, Sportlehrer am Windeck-Gymnasium in Bühl.

Timo Ullrich
Timo Ullrich ist Oberstudienrat für Sport und Deutsch und Leiter des Sportprofils am Windeck-Gymnasium in Bühl. Foto: Ulrich Coenen

Eine Umfrage des Online-Portals „Krautreporter“ sorgt für Diskussionen. Von 6.000 Teilnehmern beklagen sich viele über Mobbing und unnötige Unfälle im Sportunterricht.

Timo Ullrich, Oberstudienrat und Leiter des Sportprofils am Windeck-Gymnasium, hält die Vorwürfe für nicht stichhaltig. Im Interview mit dieser Redaktion betont der 37-jährige Sportlehrer die Bedeutung des modernen Sportunterrichts.

Viele Menschen, vor allem auch Jugendliche, bewegen sich zu wenig. Kann der Sportunterricht das ändern?
Ullrich
Es ist nicht Aufgabe des Sportunterrichts, den Bewegungsmangel in der Gesellschaft auszugleichen. Dafür bräuchte man deutlich mehr Sport in der Schule, beispielsweise in Form einer täglichen Bewegungsstunde oder mehr verpflichtenden Wahlangeboten, beispielsweise in Form von AGs.
Können Sie also gar nichts tun?
Ullrich
Doch! Die zwei bis vier Schulstunden Sport sind bei vielen Kindern und Jugendlichen die einzigen Zeiträume innerhalb einer Woche, in denen sie sich intensiver bewegen. Der Sportunterricht hat die Aufgabe, zum lebenslangen Sporttreiben und zu einer gesunden Lebensweise zu animieren und so das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es eben nicht sinnvoll ist, acht Stunden täglich vor dem Bildschirm zu sitzen.
Kann der Sportunterricht Schüler für Vereinssport begeistern?
Ullrich
In Bühl sind wir im Hinblick auf Sportvereine sehr gut und breit aufgestellt. Durch eine große Vielfalt im Sportunterricht wollen wir das Interesse wecken. Es müssen aber nicht immer nur die klassischen vier Ballsportarten plus Turnen, Leichtathletik und Schwimmen sein. Sportlehrer können auch auf Trendsportarten eingehen oder mal aus der Sporthalle rausgehen. Wir waren im vergangenen Jahr zum Beispiel Skilanglaufen im Schwarzwald oder haben während der Corona-Pandemie eine Einheit zum Inline-Skaten erstellt, die die Schülerinnen und Schüler während des Homeschoolings durchführen konnten. Diese lässt sich auch im Präsenzunterricht umsetzen.

Sportunterricht birgt Risiken

Was halten Sie von den Umfrageergebnissen zum Mobbing und Unfällen im Sportunterricht?
Ullrich
Es stellt sich für mich die Frage, ob diese Umfrage repräsentativ ist. Wie viele Sportstunden wurden herangezogen? Wer meldet sich bei einer solch offenen Fragestellung? Prinzipiell ist natürlich jeder Unfall unnötig. Sportunterricht ist tendenziell der risikoreichste Unterricht, weil man sich sitzend im Klassenzimmer kaum verletzen kann. Daraus resultiert aber nicht, dass die Sicherheitsvorschriften im Sportunterricht nicht eingehalten werden. Sportunterricht ist vielmehr wichtig, um Verletzungen vorzubeugen.
Wie meinen Sie das?
Ullrich
Es geht um eine gute Prävention, beispielsweise im Sinne der Stärkung der Muskulatur oder einem guten Körpergefühl, das bei Stürzen jeder Art von Nutzen sein kann. Auch der Schwimmunterricht ist enorm wichtig. Es gibt immer mehr Nichtschwimmer, die bei uns an das Gymnasium kommen. Inzwischen fällt in der Grundschule wegen Bäderknappheit der Schwimmunterricht oft aus.
Schwarzwaldbad Hallenbad Bühl
Der Schwimmunterricht hat im Sportunterricht eine besondere Bedeutung. Das Foto zeigt das Hallenbad des Schwarzwaldbades in Bühl. Foto: Ulrich Coenen
Ist das Wählen von Mannschaften, bei denen immer dieselben körperlich schwächeren Schüler zurückbleiben, noch zeitgemäß?
Ullrich
Es gibt viele Möglichkeiten, Mannschaften zusammenzustellen, wählen gehört nicht dazu. Es kann für einzelne durchaus erniedrigend sein, deshalb würde ich darauf prinzipiell verzichten.
Wie bilden Sie Mannschaften?
Ullrich
Es gibt verschiedene gute Möglichkeiten, auf die in der Ausbildung auch hingewiesen wird. Als Lehrer kann ich die Mannschaften nach Leistungsstärke der Schüler selbst einteilen. Wenn es schnell gehen muss, kann man auch mal durchzählen, alternativ kann ich Karten ziehen lassen. Die Möglichkeiten sind zahlreich.
In einer Mannschaft gibt es dann aber dennoch gute und schwächere Fußballer. Was unternehmen Sie, damit auch die nicht so guten in zwei Sportstunden mal den Ball bekommen?
Ullrich
Wichtig ist, nicht Elf gegen Elf spielen zu lassen. Man sollte eher in Kleingruppen üben, damit der Einzelne zu mehr Ballkontakten kommt. Eine Regelverschärfung kann den sehr guten Fußballern erlauben, nur mit dem schwächeren Fuß zu spielen oder man begrenzt die Kontaktanzahl. Das nervt die natürlich manchmal, aber es ist auch eine Herausforderung. Sieg oder Niederlage stehen in unserem Unterricht nicht so sehr im Mittelpunkt, sondern vielmehr der persönliche Kompetenzerwerb. Fairness, ein gutes Miteinander, aber auch der Umgang mit Frust und Aggression sind vielmehr zentrale Aspekte.
Es gibt aber Kinder und Jugendliche, die haben Spaß am Sport, sind aber trotz großer Bemühungen in keiner Sportart wirklich gut. Bekommen die nur eine Vier?
Ullrich
Das ist pauschal so nicht zu beantworten. Der moderne Sportunterricht zeigt einen mehrperspektivischen Ansatz. Es geht darum, zu kooperieren, etwas zu wagen, ein Gesundheitsbewusstsein zu entwickeln und Bewegungserfahrungen zu sammeln und zu erweitern. Aber ja, es geht auch darum, etwas zu leisten. Es gibt auch Schüler, die 20 Stunden für eine Mathematikklausur lernen und „nur“ eine Vier bekommen.
Das Windeck-Gymnasium hat ein Sportprofil. Bringt das nur was für Supersportler, die in ihrer Freizeit in Sportvereinen aktiv sind?
Ullrich
Eine Kaderschmiede ist nicht unser Ansatz. Wir freuen uns natürlich, wenn wir tolle Sportler haben, da sie letztlich auch immer ein Aushängeschild für unsere Schule sind. Unser Ziel ist es aber eher, Allrounder auszubilden und Bewegung und Gesundheit zu fördern.
Hat sich die Ausbildung von Sportlehrern und damit auch der Sportunterricht in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Ullrich
Ganz sicher! Die Ausbildung orientiert sich am Bildungsplan, der etwa alle zehn Jahre erneuert wird. Der aktuelle Bildungsplan von 2016 zielt sehr stark auf Kompetenzen ab. Es geht um Erziehung im und durch den Sport. Sport bedeutet nicht nur, etwas zu leisten, sondern steht auch für Kooperieren und Sozialverhalten.
Wie sieht der moderne Sportunterricht aus?
Ullrich
Der Theorie-Praxis-Bezug ist eng. Wir gehen heute in die Sporthalle, nehmen ein iPad, haben einen Beamer vor Ort und machen eine kurze Bewegungsanalyse zum Einstieg. Das versuchen wir dann praktisch umzusetzen. Die Frage nach dem „Warum?“ ist deutlich stärker in den Mittelpunkt gerückt und es besteht bei den Schülerinnen und Schülern durchaus ein Interesse an Themen wie Fitness, Gesundheit, Ernährung oder auch Doping.
Wie beziehen Sie alle Schüler ein?
Ullrich
Wie in jedem Fach ist eine positive Lehrerpersönlichkeit von großer Bedeutung. Diese muss eine hohe Fach- und Sozialkompetenz besitzen. Der Lernprozess braucht eine klare Struktur. Die muss kommuniziert werden. Es ist sinnvoll, ein Schüler-Feedback einzuholen und darauf einzugehen. Im Sinne der Differenzierung gilt es einen Weg zu finden, sodass alle Schüler zur Bewegung motiviert und die sehr guten Schüler nicht unterfordert werden.
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