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Pflegekraft mit einer Bewohnerin.

Hohe Abbruchquote

Nachwuchsmangel bleibt: Warum Menschen in Mittelbaden sich für die Pflege entscheiden

An der Bühler Fachschule ist die Zahl der Anmeldungen für eine Ausbildung hoch, ebenso aber die Abbruchquote. Aber warum entscheiden sich Menschen in Mittelbaden für die Pflege?
7 Minuten
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Seit 2020 gilt das Pflegeberufegesetz, das die drei Ausbildungen in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zu einem Ausbildungsberuf zusammenführt, die sogenannte Generalistik.

Dies bedeutete auch einschneidende Veränderungen bei der Caritas-Fachschule Sancta Maria, in der bisher neben der Altenpflege (drei Jahre) auch die Altenpflegehilfe (ein Jahr) ausgebildet wurde. Inzwischen greift die Generalistik; die Altenpflegehilfe wurde parallel erhalten.

Wie Schulleiter Manuel Benz sagt, gab es durchaus nachvollziehbare Gründe, die Ausbildung zu vereinheitlichen: „Man kann nach dem Abschluss in allen drei Bereichen arbeiten und er ist in allen EU-Staaten anerkannt.“ Ziel sei gewesen, den Beruf aufzuwerten und mehr Auszubildende zu rekrutieren.

Ein Stück weit, befindet er, sei das auch gelungen. „Die Zahlen in unserem Einzugsgebiet, also im Verbund Baden-Baden/Rastatt, gingen mit Einführung der Generalistik etwas in die Höhe. Allerdings hat sich inzwischen gezeigt, dass auch die Abbruchquote steigt. Die Hauptursache kann ich noch nicht genau benennen. Vielleicht, weil in den ersten zwei Lehrjahren kontinuierlich die Praxisorte gewechselt werden müssen“, sagt Benz.

Froh ist Benz, dass seine Schule weiterhin die Altenpflegehilfe ausbilden darf. „Auf dieser Ebene verzeichnen wir eine höhere Nachfrage als vorher. Sicher auch, weil für die Ausbildung zum Altenpflegehelfer ein Hauptschulabschluss ausreicht.

Azubis in Mittelbaden müssen in der Pflege „funktionieren“

Mit dem Abschluss der einjährigen Ausbildung können sogar Absolventen, die von der Hauptschule kommen, in die Generalistik einsteigen, für die ansonsten die Mittlere Reife Voraussetzung ist.“

Das sei auch deshalb sinnvoll, weil die Personallage in den Einrichtungen angespannt sei und durch Corona zusätzlich verschärft. „Momentan müssen Azubis recht schnell ‚funktionieren‘. Sie tragen das System von Beginn an ein Stück weit mit. Das ist nicht ideal. Insgesamt müssen noch viele Stellschrauben in Gesetzen und Rahmenbedingungen nachjustiert werden. Dafür müssen wir uns kritisch-konstruktiv mit der Politik in den Diskurs begeben und ‚laut‘ werden.“

Zudem wünscht sich Benz, dass es Flüchtlingen vereinfacht wird, in die Ausbildung einzusteigen. Die bestandene Deutschprüfung auf B2-Niveau meint er damit nicht, sondern: „Viele können ihre in der Heimat erfolgte Schul- oder Universitätsausbildung nicht nachweisen, weil sie die Dokumente gar nicht mitgebracht haben.

Sie im Nachgang zu organisieren, erweist sich oft als sehr schwierig.“ Er meint: „Man sollte diesen Menschen die Chance geben, sich in der Ausbildung zu bewähren. Darüber hinaus wäre es gut, wenn Anerkennungsverfahren bereits ausgebildeter ausländischer Fachkräfte schneller abgewickelt werden könnten.“

Interessant erscheint Benz, dass sich die Altersstruktur an seiner Schule gewandelt hat und viele Azubis dort bereits eine andere Ausbildung hinter sich haben. „Unsere aktuell älteste Auszubildende ist 59.“

Mit Blick auf das Gehalt sagt er, man habe im Zuge der Generalistik eine Anpassung vollzogen. Im ersten Ausbildungsjahr etwa erhalte ein Azubi im Schnitt 1.100 Euro pro Monat. „Das ist vergleichsweise viel.“

Als Eigenschaft, die ein Pfleger mitbringen sollte, nennt Benz vor allem Respekt im Umgang mit den Mitmenschen. „Gut ist es auch, wenn man vorher ein FSJ in der Pflege absolviert hat und weiß, was der Beruf mit sich bringt.“ Grundsätzlich wünscht er sich mehr Wertschätzung für den Beruf. Der sei in Zeiten demografischen Wandels „elementarer denn je zuvor“.

Armin Müller kam über Zivildienst zur Pflege

Ein Vierteljahrhundert ist der 48-jährige Armin Müller schon beim Pflege- und Betreuungszentrum Hub des Klinikums Mittelbaden beschäftigt – und geht jeden Tag mit Freude zur Arbeit. Zur Altenpflege fand der gelernte Maler erst auf dem zweiten Bildungsweg, konkret durch den Zivildienst bei den Werkstätten der Lebenshilfe.

„Die Arbeit mit Menschen erfüllte mich mehr.“ Er absolvierte die dreijährige Ausbildung zum Altenpfleger in der Hub und wurde dort fest übernommen. „Das ist genau meins“, sagt der verheiratete Vater von zwei Teenagern.

„Die Bewohner freuen sich spürbar, wenn ich komme. Die meisten von ihnen sind im Heim übrigens durchaus glücklich, zumal ja ihr Alltag über viele Betreuungsangebote ergänzt wird.“ Bestätigung erhalte er auch „von außen“: „Das Image der Pflege hat sich verbessert. Im persönlichen Umfeld erfahre ich große Anerkennung für meine Arbeit.“

Mann mittleren Alters an Baum
Der examinierte Altenpfleger Armin Müller empfindet den Umgang mit Menschen als sehr erfüllend. Foto: Katrin König-Derki

Die Schattenseiten seines Berufs resultieren, wie er sagt, vorrangig aus dem Fachkräftemangel. „Wir arbeiten personell am Minimum. Die physische und psychische Belastung ist hoch. Wenn zudem jemand krank wird, führt uns das noch stärker an unsere Grenzen.“

Er selbst, sagt er, fehle nur selten, obwohl er in wechselnden Schichten bis zu elf Tage am Stück arbeite. „Ich empfinde die Hub als meine zweite Heimat. Die Heimleitung kann sich auf mich verlassen und bringt mir entsprechende Wertschätzung entgegen. Außerdem habe ich das Glück, in einem gut funktionierenden Team und Umfeld zu arbeiten.“

Mit Blick auf den Nachwuchs sieht er den Gesetzgeber gefordert. „Es müsste mehr Anreize geben, damit junge Menschen freiwillige Dienste in der Pflege machen. Außerdem wünsche ich mir, dass die Länder ‚Springerpools‘ einrichten, aus denen jede Einrichtung je nach Größe bei Bedarf schöpfen kann.“

Darüber hinaus, sagt er, sollte der Personalschlüssel stärker auf den jeweiligen Pflegebedarf in einem Wohnbereich zugeschnitten sein. Und: „Sinnvoll wären flexible Ausbildungs- und Arbeitszeitmodelle etwa für alleinerziehende Mütter.“

Dass die Ausbildung für viele nur ein Sprungbrett ist, um zu studieren und ins Management oder an Schulen zu gehen, bedauert er. „Wir brauchen die Fachkräfte an der Basis.“

Der Mensch stehe bei der Altenpflege im Mittelpunkt: „Über die Jahre hinweg wachsen freundschaftliche Bindungen, man erzählt und scherzt auch miteinander.“ Wer gewisse Voraussetzungen habe, werde den Beruf gewiss sehr gerne ausüben. Wichtig erscheint ihm da an erster Stelle: „Nächstenliebe.“

Katrin Messner absolvierte Fachschule Sancta Maria in Bühl

Katrin Messner ist 41, dreifache Mutter und Altenpflegerin. Jüngst zählte sie zu den jahrgangsbesten Absolventen der Ausbildung an der Fachschule Sancta Maria Bühl – beim letzten Jahrgang der „reinen“ Altenpfleger.

So besiegelte sie ihre Arbeit für die Sozialstation St. Elisabeth noch mit einem hochqualifizierten Abschluss – weit über die Kurse hinaus, die sie einst absolviert hatte. Ursprünglich hat Messner Reiseverkehrskauffrau gelernt. Ihre Erfüllung fand sie dort nicht, wie sie erzählt.

Die Freude am Umgang mit Menschen, wohl auch ihr Talent dafür, entdeckte Messner als junge Frau, während sie als Betreuerin ohne pädagogische Ausbildung in einem Heim für kognitiv beeinträchtigte Menschen arbeitete. „Die Schichten waren herausfordernd, die Anfahrt lang“, erzählt sie. „Mir wurde damals alles zu viel.

Durch Zufall kam ich zu der Ausbildung im Reisebüro. Ich dachte: Okay, mit Menschen habe ich dort auch Kontakt. Aber nein, kein Vergleich zur Pflege!“ Sie ergriff den Beruf nie, zumal sie nach dem Abschluss der Lehre schwanger wurde. Einige Jahre später bat eine Nachbarin sie, vormittags eine demente Angehörige zu pflegen.

Frau mittleren Alters
Von der Reiseverkehrskauffrau zur Pflegerin: Katrin Messner hat erst in ihrem heutigen Beruf ihre Erfüllung gefunden. Foto: Katrin König-Derki

„Anfangs befürchtete ich, nicht mit Sterben und Tod umgehen zu können. Aber diese Dame und ich haben uns so ins Herz geschlossen, dass mir klar wurde: Ja, das ist meine Berufung.“ Nach einem Pflege- und Demenzbetreuungskurs bei der Sozialstation wurde sie dort übernommen, und zwar für ambulante Touren, die Pflege, Betreuung und Hauswirtschaft umfassten.

„Die Pflege machte mir am meisten Spaß. Erst hatte ich noch Sorge, in die Ausbildung zu gehen – auch, weil es nicht so einfach ist, nach so vielen Jahren wieder zu lernen. Aber irgendwann, als die Kinder größer wurden, überwog der Wunsch, mein Wissen zu vertiefen. Ich wollte meinen Job richtig gut machen. Man hat in der Pflege wohl nie ausgelernt, und doch habe ich jetzt ein anderes Fundament, zum Beispiel die Krankheitslehre betreffend.“

Sie könne, sagt Messner, ihren Beruf nur empfehlen. „Es ist ein Geben und Nehmen. Die Menschen sind so dankbar, dass du ihnen hilfst, ihnen Nähe schenkst. Zum Glück hat die Sozialstation genug Fachkräfte, um den alten Menschen mit Zeit begegnen zu können und Krankheitsausfälle zu kompensieren.“

Der Personalmangel und die damit einhergehende Hektik seien mancherorts ein riesiges Problem. „Zeitdruck macht die Angestellten genauso kaputt wie die alten Menschen, die gepflegt werden.“ Und auch, wenn ihre Arbeit ohne ein hohes Maß an Flexibilität nicht denkbar wäre, ist Messner überzeugt: „Ich tue das Richtige.“

Levente Gargya arbeitet bei Acherner Pflegedienst

2019, während ihrer Ausbildung zum Altenpfleger, haben Levente Gargya und ein Freund einen Rap geschrieben: „Die Pflege steht auf“. Knapp 48.000-mal wurde das Video aufgerufen. Noch immer brennt der heute 33-Jährige für seinen Beruf.

Er ist nun beim ambulanten Pflegedienst Christliches Zentrum Achern tätig und beschreibt den Alltag als manchmal anstrengend, etwa, wenn wie an diesem Tag ein Notfall „alles ins Rutschen brachte“.

„Aber ich weiß, dass ich den Menschen helfe – vor allem, indem ich mir Zeit für sie nehme, ihnen zuhöre. Manche Menschen sind sehr einsam.“ Gargya stammt aus Pecs in Ungarn, wo er Physik und Sport auf Lehramt studierte. „Ich sah dort keine Perspektive, auch wegen des geringen Gehalts.“ Zufällig las er eine Stellenausschreibung in der Zeitung.

„Die Villa Antica Achern suchte Personal. Ich hatte schon als Schüler Deutsch gelernt und dachte: Das mache ich, vertiefe meine Sprachkenntnisse, verdiene Geld und kehre wieder zurück.“ Der Heimleiter sei großzügig gewesen und habe ihn auf jeder Ebene unterstützt. „Ich bekam für die ersten Monate ein Zimmer im Heim, außerdem motivierte er mich, in die Ausbildung zu gehen.“

junger Mann
Levente Gargya arbeitet in Achern. Für seinen Beruf konnte er auch seinen jüngeren Bruder begeistern. Foto: Katrin König-Derki

Einige Dinge – Waschen, Einlagen wechseln, die Gerüche – schockierten ihn zu Beginn, wie er sagt. „Nach der ersten Überwindung war das normal. Und bald begriff ich, dass mir der Beruf gut tat.“ Zumal die Senioren, mit denen er aß und Fernsehen schaute, ihn „einfach so aufnahmen“. Es sei auch oft lustig zugegangen.

„Einmal fragte ich eine Dame, was ich ihr zum Essen bringen sollte, sie sagte: Das ist mir Wurst! Ich brachte ihr Wurst.“ Gargya baute persönliche Beziehungen auf, freute sich seinerseits über die Freude, die die Menschen über sein „Da-Sein“ zeigten.

„Nach meiner Ausbildung hatte ich direkt eine leitende Position. Das passiert häufig, ist aber mit ein Grund, warum so viele Pfleger im Burnout landen. Wenn man nicht gelernt hat, diese Verantwortung zu tragen und dem Druck standzuhalten, kann man schnell daran zerbrechen.“

Eine Weiterbildung zum Pflegedienstleiter half ihm: „Ich lernte, mit physischen und psychischen Herausforderungen umzugehen. Jetzt schaffe ich auch den Spagat zwischen Empathie und Professionalität besser.“ Gern möchte er mehr junge Menschen für seinen Beruf begeistern. Sein jüngerer Bruder ist tatsächlich auch Altenpfleger geworden.

In puncto Arbeitsbedingungen und Nachwuchswerbung sieht er vor allem die Politik gefordert. „Ich wünsche mir, dass sie sich endlich ernsthaft mit dem Pflegenotstand beschäftigt und nach Lösungen sucht. Beifall klatschen allein reicht nicht.“

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