Skip to main content

Angrenzer-Anhörung fällt weg

Änderung der Landesbauordnung: Gaggenaus OB ist nicht begeistert von der Regel

Gesetzesänderungen sind oft langweilig. Die Änderung der Landesbauordnung dagegen nicht. Sie könnte den Nachbarschaftsfrieden gefährden, fürchtet die Stadt Gaggenau.

zwei Häuser, eins davon ist im Rohbau, das andere fertig
Nachbarn von Baustellen werden künftig nur noch in Ausnahmefällen über das anstehende Bauprojekt informiert. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Mehr Bürgerbeteiligung heißt es eigentlich in der Politik. Im Baurecht ist jetzt genau das Gegenteil passiert: Wo es früher Pflicht war, Nachbarn von Bauvorhaben über die Pläne zu informieren, ist das jetzt nur noch in Ausnahmefällen vorgesehen. „Wir sind nicht gerade begeistert von der Regel“, sagt dazu Gaggenaus Oberbürgermeister Michael Pfeiffer (parteilos). „Aber das sind die gesetzlichen Vorgaben.“

Doch warum haben sich die Vorgaben geändert? Und was bedeutet das konkret? Im Folgenden beantworten wir die wichtigsten Fragen rund um die Änderung der Landesbauordnung (LBO).

Die Regel wird jetzt zur Ausnahme

Was genau hat sich geändert?
Konkret geht es um Paragraf 55 der Landesbauordnung. Darin geht es um die „Benachrichtigung der Nachbarn und Beteiligung der Öffentlichkeit“. Bisher wurden in jedem Baugenehmigungsverfahren alle direkt angrenzenden Grundstückseigentümer angehört. Bei größeren Vorhaben wurden sogar auch Nachbarn, die etwas weiter weg liegen, beteiligt (sogenannte „sonstige Nachbarn“). Sie alle konnte vier Wochen lang die Planunterlagen einsehen und Einwendungen vorbringen. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Mit der Gesetzesänderung werden weder sonstige Nachbarn noch die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke informiert. In einer Information der Verwaltung an den Gemeinderat heißt es: „Die Angrenzer erhalten daher keine Informationen mehr durch die Baurechtsbehörde, wenn auf dem Nachbargrundstück eine Bebauung geplant oder beantragt wird.“
Wieso wurde dieser Paragraf geändert?
Die Landesbauordnung wurde auch in anderen Teilen geändert. Wie das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen auf Nachfrage erklärt, war das Ziel insbesondere, die LBO „fit für das digitale Zeitalter zu machen und das Virtuelle Bauamt – rechtlich – zu ermöglichen und das Verfahren zu beschleunigen“.
In welchen Fällen gibt es noch eine sogenannte Angrenzeranhörung?
Seit der Änderung dürfen Angrenzer nur noch dann gehört werden, wenn es um Ausnahmen, Abweichungen oder Befreiungen von Vorschriften geht, die sich auf die Nachbarschaft auswirken. Ein Beispiel dafür wäre laut Baurechtsabteilung der Stadt Gaggenau, wenn ein Bauprojekt die vorgeschriebenen Abstände zu den benachbarten Grundstücken nicht einhalten würde.

Änderung gilt bereits seit Ende November 2023

Geht es dabei nur um „kleine“ Bauprojekte wie das private Einfamilienhaus oder auch um „große“ Bauvorhaben wie am Gaggenauer Bahnhof?
Ganz klar um alle. Das sagt die Leiterin der Baurechtsabteilung der Stadt, Nina Friedrich. „Von den Änderungen sind alle baurechtlichen Verfahren betroffen, unabhängig von der Größe der Vorhaben.“
Wie wirkt sich die Änderung auf laufende Baugenehmigungsverfahren aus?
Das hängt davon ab, seit wann das Verfahren läuft. Wurde es noch vor der Änderung beantragt (die seit dem 25. November gültig ist), dann läuft es nach der alten Fassung der LBO, also noch mit Angrenzeranhörung. Verfahren, die ab dem 25. November beantragt wurden, fallen dagegen unter die neue Regelung.
Die Änderung ist bereits Ende November in Kraft getreten. Wieso informiert die Stadt Gaggenau erst jetzt darüber?
Die Landesbauordnung wird immer mal wieder geändert. Oft in Bereichen, die für die Öffentlichkeit wenig interessant sind. „Da die Änderung vom November 2023 nun in der Praxis doch erhebliche Auswirkungen hat, haben wir entschieden, den Gemeinderat nun darüber zu informieren, um danach auch die Bürger zu informieren“, erklärt Nina Friedrich. Auch Antragsteller erhalten seit der Gesetzesänderung entsprechende Informationen zu der Änderung.

Gaggenau ist mit seiner Kritik nicht alleine

Die Stadt kritisiert die Änderung. Wieso?
Das stimmt. Nina Friedrich von der Baurechtsabteilung der Stadt begründet das auch damit, dass die Information der Angrenzer auch zum „Nachbarschaftsfrieden“ beitrage. Seit der Gesetzesänderung appelliert die Stadt daher an künftige Bauherren, ihre Nachbarn selbstständig über geplante Baumaßnahmen zu informieren. Dass sich die Verfahren durch den Wegfall der Anhörung beschleunigt hätten, wie vom Ministerium argumentiert wird, sieht Friedrich nicht. Die Angrenzer seien immer parallel zu den Fachbehörden, also beispielsweise den Stadtwerken, dem Stadtplanungsamt oder der Naturschutzbehörde, angehört worden. „Die Fachbehörden werden auch weiterhin beteiligt. Daher verkürzt sich die Verfahrensdauer nicht.“ Auch der Eigentümerverband „Haus und Grund“ Baden-Württemberg hat die Änderung bei der Angrenzer-Beteiligung kritisiert.
Wie ist die Haltung des Ministeriums?
Es beruft sich zum einen darauf, dass die sogenannte Musterbauordnung auch lediglich dann eine Anhörung vorsieht, wenn Nachbarn unmittelbar von einem Bauprojekt betroffen sind. So würden es auch „nahezu alle“ Bundesländer handhaben. Bauministerin Nicole Razavi hat damals im Landtag gesagt: „Wir nehmen niemandem etwas weg und beschneiden auch keine Rechte.“ Weiter erklärte sie, dass die Entscheidung der Baurechtsbehörden am Ende auch jenen Angrenzern zugestellt werde, die nicht am Verfahren beteiligt waren. „Damit stellen wir sicher, dass sie rechtzeitig von dem Vorhaben erfahren.“
Und was sagen Experten dazu?
Die sehen die Änderung durchaus kritisch. Der Karlsruher Rechtsanwalt Christian Thome erklärt auf anwalt.de: „Die Gesetzesänderung führt durchaus zu einer Einschränkung der Position der Nachbarn.“ Allein deshalb, weil bei Bauvorhaben nur selten die „nachbarschützenden Vorschriften“ betroffen sind. Er fürchtet daher, dass „baurechtliche Nachbarstreitigkeiten lediglich in das nachfolgende Widerspruchsverfahren gegen die erteilte Baugenehmigung ,verlagert’ werden“ könnten.
nach oben Zurück zum Seitenanfang