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Gedenken aus Perspektive der Jugendlichen

Gernsbacher Schüler erinnern an das Schicksal deportierter Juden

Gemeinsam mit dem Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach haben Schülerinnen und Schüler der Gernsbacher Schulen eine Broschüre über den 22. Oktober 1940 erstellt.

Der Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach, Schülerinnen und Schüler der Realschule und des Gernsbacher Gymnasiums zusammen mit BM Christ auf dem Gernsbacher Wochenmarkt
Der Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach, Schülerinnen und Schüler der Realschule und des Gernsbacher Gymnasiums zusammen mit BM Christ auf dem Gernsbacher Wochenmarkt. Foto: Dagmar Uebel

Der Arbeitskreis Stadtgeschichte Gernsbach hatte am Freitagvormittag auf dem Gernsbacher Salmenplatz einen Verkaufsstand aufgebaut, der sich durch Gestaltung und Angebot von Ständen eines üblichen Wochenmarkts unterschied. Statt bunter Markisen wehten schwarz-weiße Fotos ehemaliger Gernsbacher Bürger im frühlingshaften Wind.

Statt Lebensmitteln machten Broschüren Marktbesucher neugierig. „Wir sind froh, dass wir Menschen, die hier einst ihren Lebensmittelpunkt hatten, ein Gesicht geben können“, sagte Regina Meier vom Gernsbacher Arbeitskreis. „22. Oktober Gernsbach“ ist der Titel, der auf dem schmalrückigen Büchlein zu lesen ist. Darunter erklärend in drei Zeilen: „Jugendliche erinnern an die deportierten Jüdinnen und Juden“.

In der Broschüre erinnern die Gernsbacher Jugendlichen an deportierte Juden

Den Inhalt gestalteten Gernsbacher Schülerinnen und Schüler der zehnten Klassen der Realschule, des Albert-Schweitzer-Gymnasium und der Kursstufe 2 mit ihren Gedanken und Gefühlen zum 22. Oktober 1940: Dem Tag, als „Polizeibeamte und Gestapoleute in Baden, dem Saargebiet und der Pfalz in der ersten großen Deportationswelle (…) rund 6.500 Mitbürgerinnen und Mitbürger, die jüdischen Glaubens waren, aus ihren Häusern und Wohnungen holten“, ist in Meiers Vorwort zu lesen.

Deren Schicksale sind größtenteils bekannt: Für zwei Drittel von ihnen bedeutete die Deportation in die Pyrenäen den Tod. In der Broschüre wird einleitend an den in Mannheim tätigen Mediziner Eugen Neter, der seine jüdischen Gemeindemitglieder in die Deportation begleitete, und an den evangelischen Theologen Herrmann Maas, der sich zeitlebens für den deutsch-jüdischen Dialog einsetzte, erinnert. Der Kinderarzt und der Theologe haben beide Gernsbacher Wurzeln: „Beide Freunde, beide Vorbilder in einer dunklen Zeit“.

Es bereitet mir noch immer jedes Mal Gänsehaut, wenn ich an den Mauern unserer Stadt emporschaue. 
Evelyn Okulov
Schülerin

Lange her, das Ganze. Doch niemals lange genug, um vergessen zu werden, meinen die Gernsbacher Jugendlichen. In ihrem Gedankenkaleidoskop kommen 15 Gymnasiasten zu Wort.

Der Satz „Es ist mir ein Rätsel, wie es passieren konnte, dass Millionen Menschen, darunter auch Gernsbacher, wegen ihres Glaubens (…) verfolgt und brutal ermordet wurden“, stammt von Leonie Offermanns: „Es bereitet mir noch immer jedes Mal Gänsehaut, wenn ich an den Mauern unserer Stadt emporschaue. Es sind dieselben Steine wie damals“, schreibt Evelyn Okulov.

Wichtig für Jannis Heursen ist die Feststellung: „Die letzten Generationen, die diese Zeiten tatsächlich noch bezeugen können, sterben langsam aus und mit ihnen die Erinnerungen.“

Regina Meier antwortet auf die Frage nach den ersten Plänen, ein ganzes Büchlein mit Gedanken und Meinungen heutiger Teenager zu füllen: „Im Oktober 2023 wirkten Jugendliche aus Gernsbacher Schulen an einer Gedenkveranstaltung anlässlich der Verlegung von Stolpersteinen vor dem Kornhaus mit. Damit gaben sie ein Beispiel für engagierte Jugendliche, die sich bewusst mit den Ereignissen der Vergangenheit und den Chancen für die Zukunft auseinandersetzen.“

Und weiter: „Sie bewiesen mit ihren Texten ihre intensive Beschäftigung mit dem Thema Holocaust, Ausgrenzung von Andersdenkenden und den Gefahren durch menschenverachtende Geisteshaltungen.“

Nur Schulstoff oder Verinnerlichung? Nach ihren Beweggründen für die Beteiligung am Buchprojekt gefragt, stimmten sie alle darin überein, dass sie in ihren Beiträgen versucht haben, Geschichte auf ihre eigene, jugendliche Weise erlebbar zu machen. Die Frage „Was sind sechs Millionen? Das ist viel, aber unser Kopf kann sich das ganze Ausmaß (…) schwer vorstellen“, beantworteten die Realschüler auf besonders originelle Weise.

Sie hatten die Idee, ihre eigenen Gedanken mit der Geschichte eines Opfers zu verbinden. Sie traten mit Eva Stern in „Briefkontakt“, indem sie fiktive Briefe an sie, damals ebenso jung wie sie jetzt, verfassten, sie somit zu ihrer Mitschülerin, Freundin oder Nachbarin machten. „Liebe Eva“, schreibt Lorenz aus der 10b: „Dein Schicksal ist mir nicht egal“. Franzi denkt an Menschen, „die ein Problem mit Menschen haben, die anders aussehen oder anders sind“. Chiara: „Im Inneren sind wir alle gleich“.

Bürgermeister Julian Christ (parteilos) bedankte sich bei den am Inhalt beteiligten Schülerinnen und Schülern, den Mitgliedern des Arbeitskreises Stadtgeschichte und für die kreative, inhaltliche Gestaltung, die sich durch die persönlichen Sichtweisen der Teenager von inhaltlich ähnlich gelagerten Druckwerken abhebt.

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