Skip to main content

Junge Karlsruher auf Spurensuche

Jüdisches Leben in Karlsruhe: Aus Erinnerung entsteht Begegnen

Wie setzen sich junge Menschen in ihrer Freizeit mit der Geschichte und der Gegenwart jüdischer Menschen in Karlsruhe und anderswo auseinander? Und wieso? In Durlach gibt es Antworten. 

Zwei Frauen schauen in einer Schulbibliothek gemeinsam in ein Buch.
Erinnern und Verstehen: Im Markgrafen-Gymnasium Durlach stehen Susanne Augenstein (links) und Katja Steinmetz vor Regalen der Schulbibliothek. Foto: Jörg Donecker

G wie Gegenwart, G wie Geschichte. Das übermannsgroße Regal in der Mediathek des Markgrafen-Gymnasiums (MGG) in Durlach überragt die Ecke mit Titeln, die innehalten lassen. Der Junge im gestreiften Pyjama. – Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. – Karlsruhe 1945. Unter Hakenkreuz, Trikolore und Sternenbanner. „Daran sieht man unseren Schwerpunkt ganz gut“, sagt Katja Steinmetz, die Leiterin der Fachschaft Geschichte an der traditionsreichen Schule im Osten Karlsruhes.

Die Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Menschen in Karlsruhe und der Region in der Zeit des Nationalsozialismus hat eine lange und intensive Tradition in der Schule. Das Engagement reicht weit über das große historische Gebäude und den Schulhof hinaus.

In Karlsruhes Stadtteil mit den meisten Einwohnern sind die Gedenkgänge bekannt, die um den 22. Oktober an die Deportation der Durlacher Juden nach Gurs erinnern. Betreut wird das durch die MGG-Lehrerin Marie-Christine Haas. Seit gut zehn Jahren gibt es die „Stolpersteine“-Patenschaft und jährlich einen Gedenkabend zum 27. Januar. Und all dies gestalten junge Menschen mit, speziell die Mitglieder einer Theater-AG und der Kurse „Literatur und Theater“.

Junge Leute engagieren sich intensiv und auf Dauer

Bei der Beschäftigung mit der Geschichte und der Gegenwart jüdischer Menschen in Karlsruhe und anderswo entwickeln manche der jungen Menschen großes Engagement, auch in ihrer Freizeit. Die 15-jährige Ida zum Beispiel ist seit der fünften Klasse kontinuierlich dabei. Inzwischen leitet sie zusammen mit einer Freundin die Theater-AG am MGG für die Kinder aus den fünften bis siebten Klassen. „Da bekommt man ein Gefühl dafür“, sagt die Schülerin.

Zur Bedeutung des Themas an der Schule passt die große Fachschaft Geschichte am Markgrafen-Gymnasium mit aktuell 17 Lehrerinnen und Lehrern. Susanne Augenstein ist eine von ihnen. Sie ist seit 18 Jahren dabei, ihren ersten Stolperstein-Rundgang absolvierte sie mit dem Durlacher Historiker Peter Güss. Warum sie gemeinsam mit der Schülerschaft Außerordentliches auf die Beine stellen will, erklärt Augenstein so: „Jüngere jüdische Autorinnen und Autoren wie Max Czollek oder Deborah Feldmann mahnen eine neue Form der Erinnerungskultur in Deutschland an.“

Schule sucht neue Formate – offenbar mit Erfolg

Weg von versteiften Ritualen, kein „Versöhnungstheater“, wie es Czollek formuliert habe, stattdessen „Begegnungen mit den jüdischen Menschen, die hier und jetzt in Deutschland leben“ und „Interesse dafür, was jüdische Menschen heute bewegt“.

Für den Holocaust-Gedenkabend in diesem Jahr wurde deshalb ein neues Format ausprobiert, das nach dem Eindruck der Organisatoren aufgegangen ist: ein Abend für Eltern, Jugendliche, Lehrer und Ehemalige, von allen Gruppen gut besucht, dabei keine Pflichtveranstaltung, die Schülerinnen und Schüler kamen freiwillig.

Vergangenheit macht etwas mit uns.
Katja Steinmetz
Geschichtslehrerin

Katja Steinmetz saß am Nachbargymnasium in Pfinztal-Berghausen in der Ludwig-Marum-Preiskommission. Mit Ludwig Marums 2023 gestorbener Enkelin Andrée Fischer-Marum verband sie Freundschaft. „Vergangenheit macht etwas mit uns“, sagt die Fachschaftsvorsitzende am MGG. Es gehe um Verständnis dafür, wie stark Erlebtes prägt, ob darüber erzählt oder geschwiegen werde in der Familie: „Flucht, Krieg und Leid: Das hat alles ganz aktuelle Bezüge.“

Gegen Rassismus: Aussteiger erzählen

So ist es nur konsequent, dass zum Profil des MGG auch das Konzept „Schule ohne Rassismus“ gehört. Aussteiger aus der rechten Szene kommen und erzählen, für den 27. Oktober 2024 angekündigt ist Philip Schlaffer. Die Teilnahme an den Karlsruher Wochen gegen Rassismus organisiert Sandra Melbert, und für die Oberstufe werden Zeitzeugen in die Karlsburg eingeladen: Sally Perell, Naftali Fürst, Theodor Michael, Paul Niedermann.

Ich bin sehr dankbar für das große Engagement aller beteiligten Menschen in dieser Sache.
Joachim Inhoff
Leiter des Markgrafen-Gymnasiums

Der Schulleiter Joachim Inhoff hat eine klare Haltung zu diesem thematischen Schwerpunkt: „Ich bin sehr dankbar für das große Engagement aller beteiligten Menschen in dieser Sache.“

Auch andere Karlsruher Schulen durchleuchten intensiv die lokale Geschichte, wie am Kant-Gymnasium 2021, wo eine Projektgruppe das Leben eines von den Nazis ermordeten jüdischen Ehepaars aus Karlsruhe nachzeichnete.

Die Mahnwache am 9. November am Platz der ehemaligen Karlsruher Synagoge in der Kronenstraße übernahmen 2023 Zehntklässler der Drais-Gemeinschaftsschule. Und als Teil des bundesweiten Bildungsprojekts „Lebensmelodien“ für Erinnerungskultur und gegen Antisemitismus widmete eine Klasse des Helmholtz-Gymnasiums erst vor wenigen Tagen ein Konzert jüdischen Melodien, die in der Zeit von 1933 bis 1945 komponiert und gesungen wurden.

Korrektur

Im Bericht über eine Veranstaltung des MGG anlässlich des Holocaust-Gedenktags hatten wir fälschlicherweise geschrieben, dass sich durch den Abend die Sichtweise der Zehntklässlerin Ida auf das Thema entscheidend geändert habe. Das ist falsch. Die 15-Jährige engagiert sich im Gegenteil schon seit Jahren intensiv in der Erinnerungskultur der Schule und war auch deshalb eingeladen zur Gedenkveranstaltung im Konzerthaus Karlsruhe mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras. 

nach oben Zurück zum Seitenanfang