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Besondere Nachrufe

„s’Dieloch-Becke Erika“ aus Ottenau – fast ein ganzes Jahrhundert erlebt

Das Leben von Erika Haitz aus Ottenau, es umfasste fast ein ganzes Jahrhundert. Als sie Anfang Juni 2023 starb, im Alter von 93 Jahren, ging mit ihr nicht nur ein Stück Alt-Ottenau, sondern auch ein Teil der Murgtäler Heimatgeschichte.

Vier Menschen in traditioneller Kleidung mit Kopftuch während eines Umzugs.
Erika Haitz (links) mit Lina Bleier beim großen Umzug zur 750-Jahr-Feier in Ottenau. Hinter ihnen gehen Senta Krieg und Karl Schmitt. Foto: Alexander Haitz/Archiv

Wenn man wie Erika Haitz im Jahr 1929 geboren wurde, dann hat man das zwanzigste Jahrhundert mit fast all dem ausgekostet, was es an dramatischen Umwälzungen mit sich brachte: Zweiter Weltkrieg, Wirtschaftswunder, digitale Revolution. Der Erste Weltkrieg war im Jahr ihrer Geburt bereits vorbei; die große Wirtschaftskrise hat sie nicht bewusst erlebt. Aber dass es nach all den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts noch einmal Krieg in Europa geben würde, das ist Erika Haitz im hohen Alter nicht erspart geblieben.  

Als „s’Dieloch-Becke Erika“ in eine traditionsreiche Bäckerfamilie hineingeboren

Es war gleichwohl das, was man ein erfülltes Leben zu nennen pflegt: Als „s’Dieloch-Becke Erika“ wurde sie in eine traditionsreiche Ottenauer Bäckerfamilie an der Lindenbrücke hineingeboren. Das „Dieloch“: Es erinnert an die große Tradition der Murgtalflößerei. Denn in eben diesem „Dieloch“ vor dem Haus der Familie wurden in der aufgestauten Murg bis gegen 1900 Flöße eingebunden.

Die Menschen damals, im ausgehenden 19. Jahrhundert, sie hatten weniger Geld als heutzutage, weniger Wohlstand – doch es gab im Ort mehr Wirtshäuser als heute und auch mehr Bäckereien. Zur Unterscheidung hatte deshalb jeder der vielen Ottenauer Bäcker damals seinen Spitznamen.

Die junge Erika Haitz vor der Lindenbrücke und dem Dieloch in Ottenau.
Die junge Erika Haitz vor der Lindenbrücke und dem Dieloch in Ottenau. Foto: Archiv Alexander Haitz

Und so kam es, dass Erika Haitz, geborene Bindnagel, als „s’Dieloch-Becke Erika“ schon früh im elterlichen Betrieb hart mitarbeiten musste. Doch wurde ihr auch eine hauswirtschaftliche Ausbildung an der Klosterschule in Gengenbach zuteil. Sie übernahm anschließend die Leitung der Filiale der Bäckerei ihres Vaters an der Ecke Mozart- und Friedrichstraße. Wer sie kannte, der erinnert sich gerne, dass ihr der tägliche Kontakt zu den Kunden sichtlich Freude bereitete.

Die Arbeit, so scheint es, war ein wichtiger Teil ihres Lebens. Denn als ob sie nicht genug Tagewerk gehabt hätte, ließ sie es sich nicht nehmen, für die Familie Kuchen und Torten selbst zu backen. Und wenn sich die Vereine für ihre zahlreichen Feste nach Kuchenspenden erkundigten, mussten sie bei Erika nicht umsonst nachfragen. Auch bei den Festen selbst stand sie gerne hinter der Theke und verwöhnte die Gäste.

Erika Haitz (links) mit ihrem ersten Auto – ein VW-Käfer mit Faltdach. Der Bub ist ihr Sohn, Alexander Haitz.
Erika Haitz (links) mit ihrem ersten Auto – ein VW-Käfer mit Faltdach. Der Bub ist ihr Sohn, Alexander Haitz. Foto: Alexander Haitz/Archiv

1954 heiratete sie ihren Ehemann Reinhold. Die Familie stand für sie von da an im Mittelpunkt. Gegenseitige Besuche der Eltern, Schwiegereltern, Geschwister und der beiden Söhne Hans-Peter und Alexander mit deren Anhang standen regelmäßig auf dem Programm. Liebevoll kümmerte sie sich um ihre beiden Enkel.

Sie legte stets Wert auf ein gepflegtes Äußeres, ein wohnliches Heim und umgab sich gerne mit Blumen aus dem eigenen Garten. Mit ihrem Ehemann und meist mit Verwandten oder Freunden machte sie viele Reisen ins benachbarte Ausland oder auch nur an den Bodensee oder in den Schwarzwald.

Eine ihrer Lieblingstätigkeiten war das Marksklößchen drehen bei der Metzgerei Krug.
Alexander Haitz
Einer der beiden Söhne von Erika Haitz

Arbeit, das war neben der Familie das zentrale Element in ihrem Leben. Und Erika Haitz hat gerne gearbeitet. „Eine ihrer Lieblingstätigkeiten war das Marksklößchen drehen bei der Metzgerei Krug“, erinnert sich ihr Sohn Alexander Haitz.

Erika Haitz (links) beim Marksklößchen drehen in der Metzgerei Krug in Ottenau.
Erika Haitz (links) beim Marksklößchen drehen in der Metzgerei Krug in Ottenau. Foto: Archiv Alexander Haitz.

Es passte sehr gut, dass ihr Ehemann Reinhold nicht nur viele Jahre die Sängervereinigung Ottenau und auch die von ihm initiierten Saubergspatzen leitete, sondern auch noch Vorsitzender der örtlichen Vereine wurde: Denn Erika liebte es, zu feiern. Schließlich war sie gerne unter Menschen und immer sichtlich voller Begeisterung auch selbst Gastgeberin für ihren großen Freundeskreis.

So beispielsweise regelmäßig nach den Fremdensitzungen der GroKaGe in ihrem Partykeller. Dann gab es den Mitternachtskuchen und ihre beliebte Sauerkrautsuppe. „Gastfreundschaft war für meine Mutter selbstverständlich“, erzählt Alexander Haitz. So beherbergte die Familie beispielsweise Praktikanten aus aller Welt, die im nahen Benzwerk berufliche Erfahrungen sammelten. „Sie wurden, ob sie wollten oder nicht, von meiner Mutter mit Frühstück und teilweise auch mit Abendessen versorgt – natürlich ohne Mieterhöhung.“

Bis 90 noch am Lenkrad

Ein schmerzhafter Einschnitt in ihrem Leben war 2010 der Tod ihres Mannes. Und von vielen Verwandten und Bekannten musste sie in der Folgezeit Abschied nehmen, was sie sehr bedrückte. Mit 90 Jahren nahm sie auf Drängen ihrer Söhne Hanspeter und Alexander auch Abschied vom eigenen Autofahren, was ihr sehr schwerfiel. Denn Mobilität, das ist in heutiger Zeit auch Teilhabe.

Leider waren ihre letzten beiden Jahre geprägt durch Krankheit und gesundheitliche Einschränkungen. Statt des regelmäßigen sonntäglichen Kirchgangs verfolgte sie den Gottesdienst im Fernsehen. Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Bergfriedhof in Ottenau.

Besondere Nachrufe

Nachrufe sind meist eine Gratwanderung. Und einseitig. In der Regel finden Verstorbene in der Zeitung eine Würdigung, die es zu Lebzeiten zu lokal-regionaler Prominenz gebracht haben. Wir wollen mit einer neuen Serie „Nachrufe“ einen anderen Weg gehen. Verstorbenen in der Zeitung Raum geben, die keinen Promi-Status haben mussten. Über die nach den üblichen Kriterien wegen ihres Todes eigentlich keine Zeile geschrieben worden wäre. Die aber einen Lebensweg zurückgelegt haben, der aus den unterschiedlichsten Gründen ungewöhnlich war – holprig, aufregend, traurig, spannend, kurios oder ermutigend. Alles in allem: bewegend. Die Redaktion ist für Hinweise dankbar: nachrufe@bnn.de

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