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Auf dem Gelände der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl schweißt ein Mitarbeiter am Bohrkopfschild einer Tunnelbohrmaschine.

Remanufacturing im Trend

Aus Alt mach’ Neu: In Kehl werden Tunnelbohrer auseinander gepuzzelt

Es spart Energie, CO2 und Zeit: Firmen verwerten ihre Geräte gerne wieder. Dafür werden sie auseinander gebaut, das ist die Aufgabe der Tunnelbohrmaschinenbauer von Herrenknecht.
von Marco Krefting (dpa)
3 Minuten
von Marco Krefting (dpa)
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Auf den ersten Blick sieht es für den Laien aus wie ein großer Schrottplatz. Aber schnell fällt auf, dass die Teile mit System gelagert werden: Hier jede Menge Förderschnecken, dort aufgereiht zig Druckluftschleusen. Mittendrin schweißt ein Mann am Bohrkopfschild einer sogenannten Gripper-Tunnelbohrmaschine.

Auf mehr als 100 000 Quadratmetern hat der Tunnelbohrmaschinenbauer Herrenknecht in Kehl ein Remanufacturing-Werk, in dem die riesigen Maschinen nach ihrem Einsatz in ihre Einzelteile zerlegt werden. Die Mitarbeiter bereiten diese auf. Anschließend werden die Komponenten erneut in die überdimensionalen Vortriebsmaschinen eingebaut oder als Ersatzteile verwendet.

Selbst Weihnachten oder Silvester könne von irgendwo auf der Welt ein Anruf kommen, dass dringend eine bestimmte Komponente gebraucht werde, sagt Werksleiter Olaf Kortz. Dann handele der Notdienst pragmatisch: „Erstmal geht es darum, das Problem zu lösen. Der Papierkram wird später geregelt.“ Denn jeder Stillstand auf einer Baustelle koste sofort viel Geld. Auch auf dem Gelände in Kehl liegen Millionenwerte – aufgrund ihres Gewichts ziemlich diebstahlsicher.

Neuer Trend: Remanufacturing

Remanufacturing – auf Deutsch Remanufaktur oder auch Refabrikation – bezeichnet die industrielle Aufarbeitung von Altteilen. So können Material- und Energieaufwand sowie Treibhausemissionen gesenkt werden. „Durch das Remanufacturing wird die ursprüngliche Wertschöpfung auf hoher Stufe erhalten und die Importabhängigkeit kritischer Rohstoffe verringert“, erläutert das Zentrum Ressourceneffizienz (ZRE) des Vereins Deutscher Ingenieure. Als Schlüsselkomponente einer Kreislaufwirtschaft werden die Teile dabei nicht so weit zerlegt wie beim klassischen Recycling.

Auf dem Gelände der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl stehen Druckluftschleusen für Personen.
Auf dem Gelände der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl stehen Druckluftschleusen für Personen. Foto: Benedikt Spether Benedikt Spether/dpa

Ein weiterer Vorteil des Remanufacturings: „Wenn Produkte zurückgenommen und aufgearbeitet werden, sinkt die Abhängigkeit von (oftmals global vernetzten) Lieferketten, da ein großer Teil der Bauteile und Komponenten weiter genutzt werden kann“, heißt es in einer ZRE-Studie aus dem vergangenen Jahr. Dies könne die Lage bei Schwierigkeiten im internationalen Handel – etwa infolge von Zöllen, Preisschwankungen, Umweltkatastrophen oder Pandemie – entspannen.

Olaf Kortz (l) und Dominic Schultze stehen auf dem Gelände der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl an einem begehbaren Schneidrad.
Olaf Kortz (l) und Dominic Schultze stehen auf dem Gelände der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl an einem begehbaren Schneidrad. Foto: Benedikt Spether Benedikt Spether/dpa

Daher überrascht es nicht, dass zahlreiche Unternehmen auf dem Gebiet aktiv sind. So hat der Bagger- und Kranhersteller Liebherr aus Biberach ähnlich wie Herrenknecht ein eigenes „Reman-Programm“ unter dem Motto „Was sich bewährt hat, wirft man nicht einfach weg“. Der Autozulieferer ZF vom Bodensee spricht von „Premium-Recycling“, mit dem vor allem neun Zehntel der Energie gespart werde, die sonst für eine Produktion benötigt wird. Der US-Baumaschinenhersteller Caterpillar betont auf seiner Homepage, dass Kunden keine minderwertigen Produkte zu fürchten brauchen: Eine vollständige Aufarbeitung beinhalte mehr als 350 Prüfungen und Untersuchungen.

Heutzutage kommt fast keine Maschine mehr ohne Reman-Teile aus.
Olaf Kortz, Werksleiter Herrenknecht

„Mindestens so gut wie neu“ lautet das Motto bei Herrenknecht. Es gebe keine Unterschiede bei Gewährleistung und Garantie, sagt Kortz. „Im Berg- und Tunnelbau steht Sicherheit an oberster Stelle, da darf man keine Kompromisse machen.“ Gerade bei wiederaufbereiteten Teilen werde genau hingeschaut. Da dürfe nichts schiefgehen. „Heutzutage kommt fast keine Maschine mehr ohne Reman-Teile aus“, erklärt er. Nur noch einige wenige Länder hätten hierfür Importbeschränkungen.

Die Mitarbeiter der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl, Patrick Decouval (l) und Dominic Schultze, betrachten Antriebsritzel eines Schneidradantriebes.
Die Mitarbeiter der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl, Patrick Decouval (l) und Dominic Schultze, betrachten Antriebsritzel eines Schneidradantriebes. Foto: Benedikt Spether Benedikt Spether/dpa

In Kehl wurde beispielsweise die Tunnelbohrmaschine auseinander geschraubt, die unterm Bosporus im Einsatz war. Jedes einzelne Teil wird penibel geprüft. UV-Licht etwa entlarvt feinste Risse im Metall. Nicht alles macht das Team des Rebuild Services selbst. Große Elektromotoren etwa werden auf einem externen Prüfstand untersucht.

Auf der Freifläche und in meterhohen Regallagern mit Platz für mehr als 4500 Europaletten bleiben die Teile so lange aufbewahrt, bis sie erneut eingesetzt werden können. Für die Wiederaufbereitung schleifen und schweißen die Mitarbeiter. Mit Edelstahlkügelchen, Glasperlen oder Trockeneis behandeln sie die Komponenten. Fürs Lackieren stehen verschiedene Techniken und 174 Farben zur Verfügung, wie Kortz sagt.

Die Mitarbeiter der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl, gehen durch ein Verschiebelager mit mehr als 4000 Palettenplätzen.
Die Mitarbeiter der Herrenknecht AG Rebuild Services in Kehl, gehen durch ein Verschiebelager mit mehr als 4000 Palettenplätzen. Foto: Benedikt Spether Benedikt Spether/dpa

Am Ende sind die Ritzel, Zylinder oder Pumpen wie neu. Der Rebuild Services liefert seit 2009 Reman-Komponenten für Tunnelbohrmaschinen. In den meisten der 1400 Maschinen, die am Stammsitz in Schwanau montiert wurden, sind den Angaben nach auch solche Teile verbaut.

Remanufacturing ist laut den Fachleuten vom ZRE an sich nichts Neues, sondern erfuhr schon im Zweiten Weltkrieg einen rasanten Aufschwung: „Sinkende Fertigungskapazitäten zugunsten der Militärproduktion führten zur Aufarbeitung gebrauchter Güter“, schreiben sie.

Wachstumspotenzial für Markt enorm

Heutzutage liegen die Umsätze auf dem Remanufacturing-Markt den ZRE-Angaben nach im zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich. Und das Wachstumspotenzial in Deutschland sei sehr groß – etwa in den Branchen Automobil, Luftfahrt, Elektronik und Medizintechnik. Auch im Schienenverkehr, Schiffsbau und in der Möbelindustrie spiele das Thema eine Rolle. Damit verbunden: steigende Mitarbeiterzahlen.

Manchmal mangelt es nach Angaben der Fachleute an der Wertwahrnehmung in der Öffentlichkeit: „Viele Produkte werden als Statussymbol gesehen. Aufgearbeiteten Produkten kann der Reiz des Neuen und damit auch die Symbolträchtigkeit fehlen.“ Hemmschuhe könnten zudem Personalmangel, niedrige Kosten für die Herstellung von Neuware sowie fehlende Lagermöglichkeiten für zurückgenommene Produkte sein.

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