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Seebach

Altes Brauchtum vertreibt an Silvester die „bösen Geister“

Die Achertäler Böllerfreunde pflegen ein altes Brauchtum zum Jahreswechsel und wollen böse Geister mit dem Neujahrsböllern verjagen.

Seebach: Die Achertäler Böllerfreunde pflegen altes Brauchtum zu Silvester und wollen böse Geister mit dem Neujahrsböllern verjagen
Die bösen Geister verließen fluchtartig das hintere Achertal, als die Böllerfreunde am Silvestertag trotz Regen und Wind ein besonderes Brauchtum zum Jahreswechsel pflegten, die zwölf Monate des alten Jahres verabschiedeten und die zwölf neuen begrüßten. Foto: Roland Spether

Die „bösen Geister“ in den Waldungen rings um die Hornisgrinde mussten wohl geahnt haben, dass die Böllerfreunde Achertal ihnen am Silvestertag nach alter Brauchtumspflege mit „Zwölfer-Wumms“ kräftig einheizen und sie über alle sieben Berge vertreiben wollten. Denn Regen, Wind und Kälte zogen in das hintere Achertal.

Die Zuschauer kehrten um und verzogen sich wieder in ihre warmen Stuben. Die Böllerfreunde um ihre „Chefkanoniere“ Roland Haas und Michael Bohnert bibberten mit klammen Händen dem 12-Uhr-Schlag der Seebacher Kirchturmuhr entgegen. Denn das war das Signal, dass sie zwölf Böller von der „Sommerseite“ oberhalb des Bohnertshofes aus in das Achertal feuern wollten.

So ein Wetter hatten wir in den letzten 20 Jahren noch nie.
Roland Haas
Böllerfreunde Achertal

„Es gab schon Schnee und Wärme wie im Frühling, aber so ein Wetter hatten wir in den letzten 20 Jahren noch nie“, meinte Roland Haas, der mit seinen Kameraden vor allem mit Blick auf die Sicherheit alles bestens vorbereitet. Doch ausgerechnet, als der Zeiger der Kirchturmuhr sich zwölf Uhr näherte, zogen dunkle Wolken von Ottenhöfen her.

Heftiger Regen setzte ein und die badische Fahne der Kanoniere flatterte wie wild umher. In diesem Moment gab es keinen, der das „liedrige“ Wetter nicht den Geistern, Dämonen und Hexen in die Schuhe schob. Nach alten Geschichten treiben die sich vor allem in den Raunächten zwischen Weihnachten und Dreikönig gerne in den abgelegenen Tälern herum und ärgern die Leute.

Gleich bei erster Kanone versagt die Zündung

Deshalb kam, was kommen musste. Die Böllerfreunde standen in Reih und Glied hinter den Nachbauten von Schiffskanonen des 16. und 17. Jahrhunderts, hielten in gebührenden Abstand die Zugleinen in Händen und warteten auf das Kommando des Leitenden Roland Haas. Gleich bei der ersten Kanone versagte die Zündung. Auch bei der nächsten Kanone war Ruhe und Frieden und es wurde schnell nachgeladen.

Die „bösen Geister“ zwischen dem Grimmerswald und Hinterseebach frohlockten schon, dass es diesmal mit ihrer Vertreibung nichts wird und sie weiter ihr Unwesen treiben können. Doch da hatten sie die Rechnung ohne die Böllerfreunde gemacht, die nach den Fehlzündungen schnell nachluden, tatsächlich zwölf kräftige Böller abfeuerten und somit die „bösen Geister“ nach altem Silvesterbrauch über die Hornisgrinde auf hoffentlich Nimmerwiedersehen verjagten.

Auf Sicherheit wird größter Wert gelegt

„Wir schießen für 2024 das Gute herbei und wehren das Böse ab“, so das Motto der Böllerfreunde. Bürgermeister Reinhard Schmälzle übermittelte beste Neujahrsgrüße und freute sich sehr, dass die Böllerfreunde seit über 20 Jahren dieses alte Brauchtum pflegen. Dabei wurde gemäß dem Sprengstoffgesetz größten Wert auf das Thema Sicherheit gelegt, der Bereich war abgesperrt und die Kanonen wurden im vorgeschriebenen Zeitraum vom Bayerischen Beschussamt geprüft, sodass alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt waren.

Auch der Kameradschaftsbund Oberachern brachte am Neujahrstag am Rebbergweg seine historische Kanone von 1920 in Stellung, um mit Martin Braun das neue Jahr 2024 mit zwölf Böllern in der Hoffnung zu begrüßen, dass es ein gutes Jahr wird. Dies hoffen auch die „Kappler“, die zwei farbenprächtige Großfeuerwerke genießen durften.

Böllern hat Ursprung in dunkler Vorzeit

Das Böllern an Silvester hat seinen Ursprung in dunkler Vorzeit, als sich die Menschen in den langen Winterwochen vor Hexen, Dämonen und Geistern fürchteten und eine Heidenangst hatten, dass Krankheiten und Pandemien über sie hereinbrechen und sie quälen. Deshalb zogen sie in den zwölf Raunächten mit Rasseln, Peitschen, Dreschflegeln und Lärmgerät umher, um die bösen Geister in der Silvesternacht von ihren Dörfern und Häusern zu verjagen.

Das Böse soll sich von Menschen und Tieren fernhalten

Die Wohnungen und Ställe wurden mit wundersamen Kräutern ausgeräuchert und damit allem Bösen signalisiert, dass es sich gefälligst von Menschen und Tieren fernhalten soll. Denn schon die germanischen Ureinwohner in den hiesigen Tälern glaubten, dass in den rauen Winternächten das Geisterreich sperrangelweit offen steht, Gott Wotan mit den Toten zu einer wilden Hatz aufbricht und allerlei Dämonen freien Ausgang zur Welt der Lebenden haben. Dagegen setzten sich die Menschen mit Lärm in allen Variationen entgegen.

Dieser Brauch wird bis heute mit Knallfröschen, Raketen und Feuerwerken gepflegt. Andere blicken in die Glaskugel, befragen die Zukunft und verschenken Glücksbringer. Die Raunächte enden in der Nacht zum Dreikönigstag, in der die Narren aus dem Winterschlaf erwachen, ihr Häs aus der Kommode holen, es kräftig für die neue Kampagne abstauben und um das Raunachtsfeuer der Sasbacher „Lochmatt Druden“ tanzen. 

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