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Sorgenkind Mittelbaden

Der Allgemeinheit drohen hohe Kosten durch PFC

„Im Rechtsstaat gilt das Verursacherprinzip“, so zeigte sich Franz Untersteller, Umweltminister des Landes Baden-Württemberg, noch 2016 zuversichtlich, als es um die Kosten des PFC-Skandals ging. Diese Hoffnungen haben sich mit dem aktuellen Urteil des Verwaltungsgerichtes in Mannheim nur teilweise erfüllt.

Vor allem für die Landwirtschaft in der Region sind die mit PFC belasteten Böden ein Problem.
Vor allem für die Landwirtschaft in der Region sind die mit PFC belasteten Böden ein Problem. Foto: Pleul/dpa

„Im Rechtsstaat gilt das Verursacherprinzip“, so zeigte sich Franz Untersteller, Umweltminister des Landes Baden-Württemberg, noch 2016 zuversichtlich, als es um die Kosten des PFC-Skandals ging. Diese Hoffnungen haben sich mit dem aktuellen Urteil des Verwaltungsgerichtes in Mannheim (die BNN berichteten) nur teilweise erfüllt.

Von unserer Mitarbeiterin Patricia Klatt

Denn die Kosten der PFC-Belastung trägt letztendlich auch jeder Einzelne, sei es über den Wasserpreis, private Aufwendungen oder als Steuerzahler. Damit steht Mittelbaden allerdings nicht alleine da, denn die Belastungen mit fluorierten Chemikalien und die daraus resultierenden Folgekosten sind auf der ganzen Welt ein Problem.

200 Seiten Bericht

Im März hat der Nordic Council of Ministers – ein Forum, das sich mit der Zusammenarbeit der nordischen Länder befasst – einen knapp 200-seitigen Bericht zu diesem Thema herausgebracht. Dort ist auch der „Rastatt-Case“ aufgeführt, erklärt Reiner Söhlmann von der PFC-Geschäftsstelle im Landratsamt. Der Bericht geht der Frage nach, mit welchen Beträgen die Allgemeinheit bei PFC-Belastungen rechnen muss, sei es nun in unserer Region oder in den Niederlanden, Italien, Frankreich, Belgien oder England.

Ich gehe mittlerweile von 1000 bis 5000 Kilogramm aus.

In ganz Mittelbaden sind mittlerweile an die 1000 Hektar mit diversen PFC und ihren Vorstufen belastet, ebenfalls betroffen ist mit dem Oberrhein-Aquifer einer der größten Unterwasserflüsse in Europa, der unterhalb des Gebietes fließt. „Die Gesamtmenge an PFC, die in die Umwelt gelangt ist, ist schwer einzuschätzen, ich gehe mittlerweile von 1000 bis 5000 Kilogramm aus“, so Söhlmann desillusioniert. Die Wasserwerke Rastatt haben alleine bis Ende 2017 Kosten in Höhe von 3,6 Millionen Euro gehabt, bis 2020 gehe man von weiteren 6,2 Millionen aus.

Regierung wartet ab

Auch der hiesige Streit darum, wer die Gelder letztendlich zahlen müsse und wie die weiteren Schritte aussehen könnten, wird in dem internationalen Bericht aufgegriffen. Obwohl die Wasserwerke sofortige Maßnahmen gefordert hätten, um eine Verschlechterung der Situation zu verhindern, habe es die Regierung vorgezogen, bis zum Jahr 2021 zunächst – entsprechend der Altlastenverordnung – die Wissensbasis zu verbessern und weitere Maßnahmen bis dahin abzuwarten.

Das ist nicht machbar.

Bislang wurden in der Region 5,6 Millionen Euro aus staatlichen Mitteln und knapp zwei Millionen Euro aus kommunalen Geldern für die Bearbeitung und Erforschung der PFC-Kontamination verwendet. Wie viel da noch kommt, ist nicht bekannt. Der Bericht geht von 3,5 Milliarden alleine für eine Sanierung der Böden aus, die allerdings auf der gesamten Fläche unrealistisch sein dürfte, wie auch Söhlmann bestätigte: „Das ist nicht machbar.“

Nicht nur in Mittelbaden PFC

Da ist es auch kein besonderer Trost, dass Mittelbaden nicht alleine betroffen ist. Auch die Flughäfen Schiphol und Düsseldorf haben hohe PFC-Sanierungskosten und in Europa und den USA wurden bereits Hunderte Millionen Euro für die Trinkwasseraufbereitung und die Sanierung PFC-kontaminierter Böden aufgewendet.

Wenn alle bekannten PFC-Gebiete behandelt werden müssten, würden die Kosten für derartige Aktivitäten allein für den Europäischen Wirtschaftsraum zwischen 17 bis 171 Milliarden Euro liegen, so der Bericht des Nordic Council of Ministers

Drei Fragen zur PFC-Problematik

Über die Ergebnisse des neuen Berichts, den das Nordic Council veröffentlichte, spricht Reiner Söhlmann, PFC-Beauftragter des Landratsamtes Rastatt.

Reiner Söhlmann, PFC-Beauftragter des Landratsamtes Rastatt.
Reiner Söhlmann, PFC-Beauftragter des Landratsamtes Rastatt. Foto: Klatt

Der hiesige PFC-Skandal in einem internationalen Bericht – ist das nicht eine zweifelhafte Berühmtheit der Region?

Söhlmann: Nun, wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass Mittelbaden einen größeren PFC-Schadensfall hat. Durch unsere offene und transparente Kommunikation ist es natürlich klar, dass auch internationale Organisationen auf den Schadensfall aufmerksam werden – zum Beispiel. Über die Homepage der Stabsstelle. Für die Aufarbeitung und auch für die Prävention der PFC-Problematik, die ja nicht nur Mittelbaden betrifft, sind wir auch gerne bereit, unsere Erkenntnisse und Erfahrungen zur Verfügung zu stellen. Insofern handelt es sich nicht um eine zweifelhafte Berühmtheit, sondern leider um eine Betroffenheit im internationalen Kontext, die wir mit anderen teilen.

Halten Sie die dort angegebenen Kosten von 3,5 Milliarden Euro für realistisch oder wären die nicht noch viel höher, weil der Bericht sich „nur“ auf die Bodensanierung bezieht? Die Trinkwasseraufbereitung geht ja sowieso zu Lasten der Wasserversorger, sprich also zu Lasten der Wasserkunden und vom Grundwasser ist gar keine Rede, ebenso wenig von den Kosten für die Städte, Privatleute oder für die Schäden an der Fauna...

Söhlmann: Wir werden häufig nach den Kosten gefragt, können diese Frage aber so nicht beantworten. Es ist eben nicht so einfach wie bei einem Kfz-Schaden, bei dem ein Gutachter feststellt, das Fahrzeug ist ohne Reparatur fahrtüchtig, aber es gibt eine Wertminderung. Ob das Fahrzeug repariert wird oder nicht, ist dabei egal. Übertragen auf den Schadensfall Mittelbaden bedeutet dies, eine Nutzung als Ackerfläche ist nach wie vor möglich. Für die Bezifferung der Wertminderung (Weizenanbau oder Mais) fehlen entsprechende Bewertungen. Hinzu kommt, dass bei der Berechnung der Sanierungskosten der Wert der Bodenfunktionen nicht berücksichtig ist. Das heißt, sollte bei einer Sanierung sämtlicher Boden abgetragen und einer Verbrennung zugeführt werden, ist damit ein erheblicher Verlust an Bodenfunktionen verbunden, der einen erheblichen ökologischen Schaden anrichtet. Insofern sind Kostenschätzungen hypothetischer Natur. Als Anhaltspunkt für den gesamtwirtschaftlichen Schaden aber durchaus hilfreich. Ob auf dieser Grundlage einer groben Abschätzung der Sanierungskosten von drei Milliarden Euro für Bodensanierungen oder 3,5 Milliarden inklusive aller Kosten von direkt (Wasserversorger, Kommunen und so weiter) und indirekt (Grundstückseigentümer, Landwirte) Betroffenen für die Berechnung zugrunde gelegt werden, spielt für die Dimension des Schadens keine Rolle. Für den einzelnen Betroffenen aber durchaus.

Würden Sie sagen, das Verursacherprinzip ist auf den Kopf gestellt?

Söhlmann: In unseren Staat gilt das Verursacherprinzip und kann nicht auf den Kopf gestellt werden. Das Urteil des VGH bestätigt die Einhaltung dieses Prinzips.

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