Im Skandal um die per- und polyofluorierten Chemikalien (PFAS/PFC), die schätzungsweise 1.100 Hektar Boden und 170 Millionen Kubikmeter Grundwasser in Mittelbaden verseuchen (Stand Ende 2022), ist das letzte Kapitel noch lange nicht geschrieben. Die Folgen einer der größten Umweltkatastrophen im Südwesten beschäftigen seit Jahren Gerichte, Landwirte und Behörden, die verhindern möchten, dass die giftigen Substanzen Natur und Menschen gefährden.
Akute PFC-Belastungen gibt es aber nicht nur in unserer Region: Ähnliche Probleme wurden in Bayern und Nordrhein-Westfalen festgestellt, aber auch in Ländern wie Italien, den Niederlanden, Japan und den USA. Schließlich waren die vielseitig einsetzbaren und extrem stabilen Kunststoffe in der Industrie jahrzehntelang sehr beliebt, die Fluor-Polymere unter anderem in Kosmetika, Kochgeschirr und Textilien verarbeitet hat.
Chemische Substanzen mit großen Gesundheitsrisiken
Heute weiß man, dass PFC schwere und tödliche Krankheiten verursachen können. Krebs, Schilddrüsenerkrankungen und Leberschäden sind nur einige Beispiele. Hinzu kommt, dass die Stoffe in der Natur praktisch nicht abgebaut werden und somit ewig halten. Nach einer Schätzung der schwedischen Umweltorganisaton ChemSec könnte den betroffenen Ländern durch PFC-Gifte bis 2050 ein gesamtwirtschaftlicher Schaden von etwa 130 Billionen Euro entstehen.
Das ist nicht nur eine große Bürde für die Sozialversicherungssysteme. Auch für die Versicherungswirtschaft ist die zunehmende Zahl an Schadensersatz-Forderungen wegen PFC brisant. In einer neuen Studie warnt die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), dass der Branche in Zukunft womöglich der teuerste Versicherungsschaden ihrer Geschichte droht.
Die LBBW vergleicht die von den langlebigen Chemikalien ausgehenden gesundheitlichen und finanziellen Risiken mit den Erkrankungen durch Asbestbelastungen im Bau oder der Autoreifen-Industrie, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer Klageflut geführt und die Versicherer alleine in den USA mehr als 100 Milliarden Dollar gekostet haben.
„Das Risiko, dass PFAS höhere Versicherungsschäden verursacht als Asbest, scheint nicht unerheblich zu sein“, urteilt der Analyst von LBBW Research, Werner Schirmer. Ein anderer Vergleich, den der Experte in seiner Studie zieht, sind die Versicherungsschäden durch verheerende Naturkatastrophen wie den Hurrikan Katrina (2005): Nach seiner Einschätzung könnten sich die möglichen PFAS-Forderungen am Ende ähnlich hoch summieren.
Klagen wegen PFAS-Schäden könnten zunehmen
Inwiefern dadurch auch deutsche Versicherer betroffen sein könnten, lasse sich derzeit kaum vorhersagen, stellt die LBBW fest. Tendenziell dürfte aber das Risiko steigen. In Europa wurden bislang nur einige wenige Klagen wegen PFAS- oder PFC-Schäden erhoben und lediglich ein größerer Fall endete mit Schadenersatzzahlungen.
2022 hat der US-Konzern 3M einen Vergleich in Höhe von 571 Millionen Euro wegen der Kontamination durch eines seiner Werke in Belgien geschlossen. Der Vergleich umfasste die Sanierungskosten, aber nicht die noch ausstehende Entschädigung der Anwohner. In Baden haben unter anderem die Stadtwerke Rastatt und die Stadt Bühl wegen der Belastung des Grundwassers mit PFAS geklagt, die Verfahren sind noch anhängig.