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Spenden massiv zurückgegangen

Zehn Jahre Syrienhilfe Muggensturm: „Ich bin froh, dass es uns noch gibt“

Seit zehn Jahren gibt es in Muggensturm die Syrienhilfe. Aufgrund des massiven Spendenrückgangs müssen die Projekte vermutlich 2023 eingestellt werden.

Einfaches Essen, das satt macht: Helfer kochen in großen Behältern die traditionelle syrische Linsensuppe, die anschließend in Flüchtlingslagern verteilt wird.
Einfaches Essen, das satt macht: Helfer kochen in großen Behältern die traditionelle syrische Linsensuppe, die anschließend in Flüchtlingslagern verteilt wird. Foto: Syrienhilfe

Porträt von Karsten Malige, dem Gründer der Syrienhilfe Muggensturm.
Karsten Malige hat den Verein Syrienhilfe in Muggensturm gegründet. Foto: privat

Der Vermessungsingenieur Karsten Malige aus Muggensturm hat kurz nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien damit begonnen, mithilfe von Freunden und Bekannten betroffene Familien zu unterstützen. Im Dezember 2012 gründete er den Verein Syrienhilfe. Im Gespräch mit unserer Redaktion zieht er Bilanz.

Herr Malige, was hat Sie veranlasst, die Syrienhilfe zu gründen?
Malige

Ich wollte den Leuten in Syrien helfen und mit der Vereinsgründung zum einen die Sichtbarkeit der Hilfsprojekte erhöhen durch eine Präsenz bei Facebook und im Internet. Wobei damit auch die Sorge verbunden war, ob ich nicht dadurch mein Helfernetzwerk gefährde. Zum anderen ging es aber auch schlicht darum, Spendenbescheinigungen ausfüllen zu können.

Hat es Zeiten gegeben, in denen Sie mit dem Gedanken gespielt haben, aufzuhören?
Malige

Wir hatten Anfang 2021 riesige finanzielle Probleme: Nachdem Syrien aus den Schlagzeilen verschwunden war, nahm das Spendenaufkommen immer weiter ab, wir waren frustriert. Außerdem war bei mir und auch bei vielen Helfern der Schwung verloren gegangen. Ich denke aber, es ist völlig normal, dass man irgendwann an eine Grenze stößt. Wir haben dann ehrlich miteinander darüber gesprochen, wie es uns geht, und haben die Aufgaben teilweise neu verteilt. Ich habe mir bewusst gemacht, für wie viele Menschen die Syrienhilfe verantwortlich ist, und da wurde mir deutlich, dass ich diese Aufgabe auf gar keinen Fall beenden darf. Mit unseren Projekten erreichen wir mehrere Zehntausend hilfsbedürftige Menschen in Syrien. Allein durch unsere drei Schulen im Nordwesten des Landes verändern wir Lebenswege – nicht nur der Kinder, sondern auch ihres Umfelds. Hinzu kommt, dass unsere Lehrer in gewisser Weise Ersatzeltern sind, denn es gibt viele Waisen in Syrien.

Wie haben Sie die Projekte entwickelt? Haben Ihre Ansprechpartner vor Ort Ideen gehabt oder gab es Berater?
Malige

Im Prinzip sind alle Projekte aus dem Helfernetzwerk oder aus der Situation heraus entstanden, sie wurden nicht geplant. Die Idee zu unserem Schulzentrum hatte beispielsweise ein Lehrer. Unsere Schulen im türkischen Bursa und in Beirut werden ebenfalls von Lehrern geleitet. Ein Orthopädiemechaniker schlug vor, ein Hilfszentrum für Behinderte aufzubauen. Auf die Fluchtbewegungen innerhalb Syriens konnten wir gut reagieren, da wir ein großes Team an sehr flexiblen Helfern haben, die auf mehrere Dutzend Unterstützer zurückgreifen können.

Wie hat sich das Spendenaufkommen seit 2012 entwickelt? Wann gab es Hochs, wann Tiefs?
Malige

Im Jahr 2015 gab es definitiv ein Hoch. Die Leute haben von den Kriegsflüchtlingen Geschichten mitbekommen und waren bereit, dauerhaft mit Monatsbeiträgen zu spenden. Das hat dazu geführt, dass wir unsere bestehenden Hilfsprojekte weiter ausbauen konnten. Finanzielle Tiefs gab es immer wieder. Durch die Corona-Pandemie in den vergangenen Jahren und nun durch den Ukraine-Krieg wurde das Thema Syrien allerdings komplett überdeckt.

Sie haben im Vorjahr 16 Projekte betreut: Wie viele davon sind vom Spendenrückgang betroffen?
Malige

Nachdem wir alle Einsparmöglichkeiten ausgeschöpft hatten, war es 2021 absehbar, dass wir unsere Projekte nicht auf Dauer halten können. Ich habe dann in diesem Frühjahr alle Verantwortlichen vorgewarnt, dass wir im Laufe dieses Jahres unsere Hilfsprojekte in Syrien einstellen müssen. Dank einer unerwartet großen Einzelspende im Sommer können wir nun zum Glück weitermachen. Das Geld reicht aber nicht bis Ende nächsten Jahres. Momentan bin ich einfach nur froh, dass es uns noch gibt.

Wie ist aktuell die Situation in den Flüchtlingslagern im Nordwesten des Landes? Was wird dort am dringendsten gebraucht?
Malige

Im Nordwesten Syriens leben etwa vier Millionen Menschen in Lagern. Sie hausen zusammengedrängt in ganz einfachen Zelten, die meist nur aus Plastikplanen bestehen. Die Flüchtlinge benötigen dringend sauberes Trinkwasser, eine bessere Unterkunft, Lebensmittel, Heizmittel, Decken und Winterschuhe. Viele laufen auch im Winter mit Plastiksandalen herum, weil sie keine andere Schuhe haben. Wir haben rund 600 Familien mit Winterkleidung versorgen können, knapp 200 davon bekommen zusätzlich Heizmittel. Wir planen in diesem Winter, die Flüchtlinge mit 50.000 Portionen Linsensuppe zu versorgen, vielleicht schaffen wir es durch weitere Spenden noch, diese Zahl zu erhöhen.

Wie wird die anfallende Arbeit im Verein verteilt?
Malige

Ich habe von Anfang an Wert auf eine schlanke Verwaltung gelegt, um möglichst effizient sein zu können. Die Hauptarbeit liegt bei mir als Vorsitzendem. Ich investiere jeden Tag etwa zwei Stunden in den Verein. Daneben hat der Verein eine Syrerin als Projektmanagerin in Vollzeit angestellt, um unsere Hilfsangebote zu betreuen und zu dokumentieren. Die Arbeit für die Syrienhilfe hat mein Leben verändert und mir den Blick dafür geschärft, was wirklich wichtig ist. Ich bin dankbar für alles, denn ich habe so viel Tolles von den Menschen zurückbekommen. Beim Blick darauf, wie die Syrer ihr Leben meistern, verspüre ich Demut.

Das Gespräch führte Markus Koch.

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