Skip to main content

Neckarwestheim II geht vom Netz

Abschied mit Kuchen und Tango: Kernkraft im Südwesten ist bald Geschichte

Der letzte aktive Atommeiler im Südwesten geht an diesem Samstag endgültig vom Netz. Der Betreiber EnBW nennt die Abschaltung von Neckarwestheim II einen „Standard-Prozess“.

Noch dampft er: An diesem Samstag soll Block 2 (rechts) des Kernkraftwerks Neckarwestheim bei Heilbronn abgeschaltet werden. Der erste Block (links) befindet sich bereits seit 2017 im Rückbau.
Noch dampft er: An diesem Samstag soll Block 2 (rechts) des Kernkraftwerks Neckarwestheim bei Heilbronn abgeschaltet werden. Der erste Block (links) befindet sich bereits seit 2017 im Rückbau. Foto: Marijan Murat /dpa

Sie haben ihr Ziel fast erreicht. Am historischen Tag des Abschieds von der Kernkraft in Baden-Württemberg planen mehrere Anti-Atom-Initiativen eine fröhliche Zusammenkunft auf einem Parkplatz vor der Einfahrt zum AKW Neckarwestheim in der Nähe von Heilbronn. Mit Kaffee, Kuchen, Saft und Tango.

Während 57 Prozent der Baden-Württemberger ihren Atommeilern nachtrauern (so eine aktuelle Umfrage), bejubeln deren erbitterte Gegner das finale Aus für die ungeliebte „Hochrisikotechnologie“. Im Vorfeld der letzten „Abschalt-Feier“ im Südwesten an diesem Samstag bemängelten deren Organisatoren angebliche Behinderung seitens des Kraftwerkbetreibers EnBW. Inzwischen sollen alle Hürden für die dreistündige Party mit Reden und „balkan-orientalisch bis afro-brasilianischer“ Livemusik aus dem Weg geräumt worden sein.

Letztes „Abschaltfest“ im Südwesten

Die Veranstalter der Kundgebung machen sich offenbar keine Sorgen, dass bei der endgültigen Abschaltung der 34 Jahre alten Atomanlage mit einer Leistung von 1.400 Megawatt etwas schief läuft und sie infolge einer Panne gesundheitliche Schäden davontragen könnten. Der Energiekonzern EnBW hat sich in der Hinsicht einen guten Ruf erarbeitet. So war zuletzt das AKW Philippsburg II am 31. Dezember 2019 anscheinend ohne jegliche Probleme vom Netz gegangen. Auch damals hat es ein „Abschaltfest“ gegeben.

Neckarwestheim II ist das jüngste aller Kernkraftwerke Deutschlands. Die Anlage wurde nach einer fünfjährigen Bauzeit am 3. Januar 1989 ans Netz angeschlossen und hat seitdem im Schnitt elf Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr produziert. Sie soll etwa ein Sechstel des Landesbedarfs abgedeckt haben.

Laufzeit wurde um drei Monate verlängert

Eigentlich hätte der Druckwasserreaktor mit der internen Bezeichnung GKN II am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden sollen. Angesichts des drohenden Energiemangels und der ausbleibenden russischen Gaslieferungen hatte die Bundesregierung kurz vor diesem Termin die Laufzeit um drei Monate verlängert. EnBW hadert spürbar mit dieser Entscheidung, weil sie angeblich einen großen Mehraufwand mit sich bringt und „massiv die vorhandenen Planungen für den Rückbau“ des Kraftwerkes berührt.

Um seit Jahresbeginn etwa 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom aus dem betagten Meiler zusätzlich herausquetschen zu können, hatte der Betreiber nach eigenen Angaben den Reaktorkern kurz anhalten müssen. Dabei wurden in rund 500 Arbeitsschritten alle Brennelemente neu positioniert. Am 19. Januar wurde dann die Atomanlage zum letzten Mal gestartet.

Wir werden nach Vollzug der Abschaltung die Uhrzeit nennen.
Sprecher des Energiekonzerns EnBW

Wie wird ihr letzter Betriebstag ablaufen? Und was geschieht danach? Wie im Fall Philippsburg II vor mehr als zwei Jahren sind aus der Zentrale des Energieversorgers im Vorfeld beruhigende Töne zu hören. „Die Blöcke der Kernkraftwerke sind sich soweit ähnlich, dass auch der Abschaltvorgang in Neckarwestheim vergleichbar ablaufen wird“, sagt ein EnBW-Sprecher unserer Redaktion. Demnach handelt es sich um einen „Standard-Prozess“, der gründlich eingeübt ist.

Wann genau er am Samstag starten wird, möchte das Unternehmen nicht verraten – vielleicht auch mit Blick auf die Feiernden vor den Toren des Kraftwerkgeländes. „Wir werden nach Vollzug der Abschaltung die Uhrzeit nennen, zu der die Anlage vom Netz ging“, lässt der Sprecher wissen.

Nach der Abschaltung bleibt es warm

Im Normalbetrieb ist für die Kettenreaktion in einem Reaktorkern erforderlich, dass bei der Spaltung von schweren Atomkernen mehr Neutronen entstehen als bei der Absorption verbraucht werden. Um ein AKW abzuschalten, muss daher der Reaktor in einen sogenannten dauerhaft unterkritischen Zustand gebracht werden. Wichtig ist, dass die dabei entstehende Wärme sicher abgeführt wird.

Das wird erreicht, indem zwischen die Brennelemente im Kern Steuerstäbe eingefahren werden. Sie fangen die erzeugten Neutronen ein und beenden die Kettenreaktion. Beim Druckwasserreaktor wird noch Wasser mit einem Borzusatz eingespeist. Die Folge ist die schnell sinkende Leistung des Kraftwerks.

x
x Foto: BNN-Infografik

So soll es auch bei GKN II ablaufen. Nach dem Absenken der Reaktorleistung werden die Techniker den Generator vom öffentlichen Stromnetz trennen. Danach wird der Reaktor komplett abgeschaltet. Im nächsten Schritt sollen alle Systeme in einen „kalten und drucklosen“ Zustand versetzt werden. Der Vorgang, der bei den Revisionsarbeiten oft eingeübt wurde, wird voraussichtlich wenige Stunden dauern.

Auch ein inaktiver Reaktor produziert viel Energie durch die entstehenden Spaltprodukte. Diese sogenannte nukleare Nachwärme könnte theoretisch die Temperatur bis über den Schmelzpunkt der Brennelemente ansteigen lassen. Deshalb werden sie in einem „Abklingbecken“ gelagert. Das Wasser darin schirmt die Strahlung größtenteils ab und nimmt die Wärme auf. Außerdem müssen die für die Kühlung und Lüftung benötigten Systeme in der abgeschalteten Atomanlage weiter betrieben und überwacht werden.

Nach Angaben des Bundesamts für kerntechnische Entsorgungssicherheit sinkt die Aktivität des benutzten Brennstoffs ziemlich schnell. Nach einem Jahr soll sie nur noch ein Hundertstel des ursprünglichen Niveaus betragen. In den folgenden Jahren klingt sie langsam weiter ab. So lange will die EnBW den Rückbau von Neckarwestheim II aber nicht hinauszögern. Laut Unternehmensangaben ist die Genehmigung dafür bereits beantragt, die Erlaubnis werde „in Kürze erwartet“.

Damit würde am Ufer des Neckar demnächst ein langwieriger und aufwendiger Prozess der Demontage und Dekontamination beginnen, der an 22 Standorten in der Bundesrepublik bereits im Gange ist. Einer der ersten Abbauschritte wird die Entfernung der Hauptkühlleitungen sein. Die Einbauten des Reaktordruckbehälters werden zerlegt, die Betonhülle des Sicherheitsbehälters wird abgetragen. Die abgekühlten Brennstäbe kommen später zur Zwischenlagerung in die sogenannten Castor-Behälter. Irgendwann in ferner Zukunft sollen sie in einem unterirdischen Endlager für eine Million Jahre sicher verwahrt werden.

nach oben Zurück zum Seitenanfang