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100 Jahre Hyperinflation

Als das Geld in Deutschland komplett seinen Wert verlor

Die Summen auf den Geldscheinen wurden immer größer, doch die Menschen konnten sich davon nichts mehr kaufen. Am Ende half nur ein radikaler Währungsschnitt.

Inflationsgeld aus dem Jahr 1923.
Geldscheine aus dem Inflationsjahr 1923. Aus Millionen wurden Milliarden und schließlich Billionen. Foto: Martin Ferber

Josef Weiskopf, seit dem 24. März 1905 Pfarrer der katholischen Pfarrei St. Paulus in Bruchsal, hatte ein großes Ziel. Eine neue Kirche wollte er bauen, größer als das kleine und schlichte Gotteshaus, das in dem stark wachsenden Städtchen am Rande des Kraichgaus aus allen Nähten platzte.

Da er es zum Prinzip erkoren hatte, für den Bau keinen Kredit aufzunehmen, gründete er einen eigenen Kirchenbauverein und warb unablässig um kleine und große Spenden.

Doch alle Bemühungen waren vergebens. Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 ließ das Projekt ins Stocken kommen. 1923 schließlich kam es zur Katastrophe.

Die Hyperinflation vernichtete innerhalb weniger Monate das gesamte Vermögen des Vereins, mit einem Schlag war das Geld komplett wertlos geworden. Pfarrer Josef Weiskopf stand mit leeren Händen da und musste wieder bei Null anfangen.

Vermögen lösten sich nicht nur in Bruchsal in Luft auf

Was sich vor hundert Jahren in Bruchsal abspielte, war kein Einzelfall. Millionen Menschen verloren 1923 ihr gesamtes Erspartes, Vermögen lösten sich in Luft auf, zahllose Firmen mussten Konkurs anmelden, am Ende stand der teilweise Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft.

Im Gegenzug konnte ein Spekulant wie der rheinische Industrielle Hugo Stinnes, der mit Schulden in Konkurs gegangene Firmen aufkaufte, innerhalb kurzer Zeit ein wahres Firmenimperium schaffen.

Nichts hat das deutsche Volk so hitlerreif gemacht wie die Inflation.
Stefan Zweig
Schriftsteller

Fünf Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Abdankung des Kaisers stand die junge Republik am Abgrund, rechte und linke Extremisten sowie Separatisten im Rheinland und in der Pfalz planten den Umsturz. „Kein Volk der Welt hat erlebt, was dem deutschen ,1923‘-Erlebnis entspricht“, schrieb einige Jahre später der Publizist Sebastian Haffner im englischen Exil.

Der Schriftsteller Stefan Zweig resümierte im Rückblick: „Nichts hat das deutsche Volk – dies muss immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“

Die Kosten des Kriegs sollte der besiegte Gegner bezahlen

Die Ursachen für die Hyperinflation des Jahres 1923 reichen weit zurück. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, finanzierte ihn das Deutsche Reich über die Ausgabe von Kriegsanleihen und Schatzanweisungen. Dem Reich Geld zu leihen, galt als patriotische Pflicht.

Getilgt werden sollten die Schulden vom besiegten Feind, hoffte die Regierung. Man halte an der Hoffnung fest, „die Rechnung für den uns aufgezwungenen Krieg beim Friedensschluss unseren Gegnern präsentieren zu können“, sagte der Staatssekretär im Reichsschatzamt, Karl Helfferich, im März 1915 vor dem Reichstag.

Die Explosion der Preise im Inflationsjahr 1923
Die Explosion der Preise im Inflationsjahr 1923 Foto: BNN-Infografik

Doch das Gegenteil war der Fall. Nicht als Sieger, sondern als Verlierer musste das Deutsche Reich im November 1918 den Waffenstillstand von Compiègne unterzeichnen.

Der Schuldenstand belief sich auf 155 Milliarden Mark, zudem hatten sich schon während des Kriegs die Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs stark verteuert. Einer um das Zehnfachen erhöhten Papiergeldmenge stand Ende 1918 ein im Gegenzug deutlich verringertes Warenangebot gegenüber.

Inflationsgeld aus dem Jahr 1923. Durch einen Stempelaufdruck wurden aus 100 Millionen Mark kurzerhand 500 Millionen Mark.
Statt neue Geldscheine zu drucken, wurde 1923 der neue Wert einfach auf den Schein gestempelt. So konnten aus 100 Millionen 500 Millionen Mark werden. Foto: Martin Ferber

Die junge Republik profitierte anfangs von der Inflation, mehr noch, um die niederliegende Wirtschaft anzukurbeln und die zurückkehrenden Soldaten in Lohn und Brot zu bringen, kurbelte die Regierung die Inflation weiter an.

Kurzfristig boomte die Wirtschaft, die Löhne stiegen, ebenso die Investitionen, denn auf dem Weltmarkt waren die deutschen Produkte unschlagbar günstig.

Als weiterer Inflationstreiber erwies sich die gewaltige Reparationslast, die die Siegermächte auf der Grundlage des Versailler Friedensvertrags im Jahr 1921 auf zunächst 226 Milliarden Goldmark, später auf 132 Milliarden festlegten, zusätzlich zu den Lieferungen von Kohle und Holz, Maschinen und Werkzeugen.

Um diese Summe aufzubringen, musste sich das Reich weiter verschulden. So nahm ab 1922 die Teuerung an Fahrt auf. Kostete ein Dollar zu Kriegsbeginn 1914 noch 4,10 Mark, waren es im August 1922 bereit 1.134,56 Mark.

Im Januar 1923 schließlich eskalierte die Lage. Weil Deutschland mit der Lieferung von Kohle und Holz an Frankreich und Belgien im Verzug war, besetzten französische Truppen das Rheinland und das Ruhrgebiet. Im Gegenzug rief die Regierung zum passiven Widerstand auf. Die Arbeiter stellten die Kohleförderung, die Stahlproduktion und den Eisenbahntransport ein.

Die Regierung übernahm die Kosten, zahlte aus der Staatskasse die Löhne und Gehälter für die Arbeiter und musste zudem für teures Geld Kohle aus England importieren – erneut mit Krediten. Allein zwischen Januar und Juli 1923 stieg die Staatsverschuldung um das 29-fache von zwei auf 58 Billionen Mark. Im August kostete ein Dollar 4,6 Millionen Mark.

So war im Sommer 1923 kein Halten mehr. Die Preise galoppierten davon, kletterten in astronomische Höhen. Immer mehr Nullen waren auf den Geldscheinen nötig. Aus Millionen wurden Milliarden und schließlich Billionen. Die Löhne hielten mit der Explosion der Preise nicht Schritt, obwohl manche Firmen dazu übergingen, diese täglich auszuzahlen.

ARCHIV - Geldscheine, die während der Inflation nur noch Makulatur waren, werden im Jahr 1923 abgewogen. Nicht nur Bürger und Unternehmen, auch Staaten können pleitegehen. Nationale Bankrotte kommen immer wieder vor, selbst in der Geschichte einst ruhmvoller Reiche. Wirtschaftswissenschaftlern sprechen vom Staatsbankrott, wenn die Regierung fällige Forderungen nicht mehr erfüllt. Foto: dpa (zu dpa-KORR: «Staatsbankrott - Präsident pleite, König in Konkurs» vom 25.06.2011) +++ dpa-Bildfunk +++
Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation im Herbst 1923 wurden die Geldscheine nicht mehr gezählt, sondern auf einer Waage gewogen. Foto: Archiv dpa

Im Herbst 1923 gab die Reichsbank in nur einer Woche 300.000 Billionen Reichsmark in Umlauf, im November waren es sogar 400 Trillionen! 30 Papierfabriken und 133 private Druckereien waren Tag und Nacht beschäftigt, neue Geldscheine herzustellen. Eine paradoxe Situation: Je größer die Zahlen auf den Scheinen wurden, desto weniger waren sie tatsächlich wert.

Wer ausländisches Geld wie Dollars oder Pfund, Peseten oder Francs besaß, war der König und konnte herrschaftlich leben. Wer dagegen nichts hatte, musste sich von seinen Sachwerten trennen und auf dem Schwarzmarkt gegen Lebensmittel tauschen. Es wurde gehamstert, getauscht, gehortet, es war die Stunde der Schieber und Spekulanten, der Devisenbesitzer und Großinvestoren.

Mit der Einführung der Rentenmark wurden zwölf Nullen gestrichen

Die Regierung, chronisch instabil, zögerte lange einzugreifen. Im September 1923 unternahm Reichskanzler Gustav Stresemann den ersten Schritt und beendete den Ruhrkampf, was ihm Anfeindungen von rechts wie links eintrug.

Im November 1923 kam es schließlich zum harten Währungsschnitt. Mit der Einführung der sogenannten Rentenmark wurden zwölf Nullen gestrichen, der Dollarkurs wurde erneut auf 4,20 Mark festgesetzt, wie vor dem Krieg.

Mit einem Schlag war der Spuk vorbei. Die Lage beruhigte sich. Die Bevölkerung fasste Vertrauen zur neuen Währung. Doch was die Hyperinflation vernichtet hatte, war unwiederbringlich verloren gegangen. Wie das Vermögen, das der Kirchenbauverein des Bruchsaler Pfarrers Josef Weiskopf in vielen Jahren mühsam angespart hatte.

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