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LKA und Staatsanwaltschaft ermitteln

Legendärer Roadster in phantasiegelb beschäftigt Ermittler und die Oldtimer-Szene

Der Betrugsvorwurf gegen den renommierten Oldtimer-Experten Klaus Kienle hat die Branche in Aufruhr versetzt. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, gefälschte Nobel-Oldies vermarktet zu haben. Kienle bestreitet das.

Ralph Grieser mit seinem Mercedes 300SL, den er in der Schweiz erworben hat. Von diesem Auto soll eine Doublette existieren, weshalb er die Behörden in Marsch gesetzt hat.
Ralph Grieser mit seinem Mercedes 300SL, den er in der Schweiz erworben hat. Von diesem Auto soll eine Doublette existieren, weshalb er die Behörden in Marsch gesetzt hat. Foto: Eibner/Imago

An den Oktober im vergangenen Jahr hat Ralph Grieser eigentlich gute Erinnerungen. Auf der Suche nach einem begehrten und authentischen 300 SL Roadster der Baureihe W198 erfährt er von einem entsprechenden Auto. Das Fahrzeug von 1961 solle in der Schweiz stehen, ein Termin ist schnell vereinbart. Der 53-jährige Geschäftsführer seines Oldtimer-Zentrums Depot3 ist bei der Besichtigung hocherfreut und gibt ein Angebot ab.

Das Geschäft kommt nach ein paar Tagen zustande. Der bisher in einem Stall und mit einem davor stehenden Traktor gesicherte 300 SL Roadster tritt im geschlossenen Anhänger die Reise von der Schweiz zurück nach Deutschland an. 

Der historische Sportwagen mit der langen Haube und dem charakteristischen runden Heck soll vor 62 Jahren auf dem Genfer Automobilsalon ausgestellt gewesen sein; damals allerdings nicht in seiner heutigen roten Lackierung, sondern in „phantasiegelb“. Einer Originalfarbe, in der das Sportwagenmodell keine zehnmal ausgeliefert wurde. 

Jetzt, acht Monate nach dem Erwerb, sitzt Grieser im Showroom seines Unternehmens. Drei Oldtimer-Experten flankieren den Unternehmer. Der Gegenstand des Informationsgesprächs steht ebenfalls parat: der rot lackierte Mercedes 300 SL Roadster aus der Schweiz.

Experten und Journalisten sind aber nicht etwa wegen des Charmes des millionenschweren Cabrios hier versammelt. Eher hat sie ein ziemlich uncharmanter Aspekt zusammengeführt: Es existieren zwei Exemplare dieses seltenen Automobils – mit derselben Fahrzeug-Identifikationsnummer. Doch nur eines kann das Original sein. Das andere ist wohl nachgefertigt.

Mercedes 300 SL Roadster der Baureihe W198: das rollende Phantom

Als Ralph Grieser seine millionenschwere Neuerwerbung beim zuständigen Straßenverkehrsamt zulassen will, wird die Geschichte mit der zweifachen Identität offenbar: Von 2012 bis 2017 ist ein Auto mit exakt dieser Identifikationsnummer in Deutschland zugelassen – während Griesers Wagen nachweislich noch in der Schweiz vor sich hindämmerte. 

Was hat es also auf sich mit dem anderen Wagen, dem rollenden Phantom? Existiert tatsächlich eine Doublette von Griesers Roadster? Oder müsste man nicht zunächst die Frage stellen, welcher der beiden Wagen überhaupt der echte ist?

Die Spur des möglicherweise „gefälschten“ 300 SL führt zu Klaus Kienle, einem renommierten Fachbetrieb vor den Toren von Stuttgart, der auf Restauration von und Handel mit historischen Mercedes spezialisiert ist. Zu Kienles Kundenstamm zählen millionenschwere Sammler auf der ganzen Welt, gekrönte Häupter, Industrielle, Showgrößen. Kienle gilt in der Branche als gute Adresse, als teuer, aber auch bodenständig. 

Firma Kienle Automobiltechnik hat keinen Anlass zur Beanstandung

Der geheimnisvolle Wagen in „phantasiegelb“ war 2019 von der Firma Kienle Automobiltechnik „im Auftrag des vorherigen Eigentümers in Kommission vermittelt worden“. So steht es in einer Pressemitteilung des Unternehmens. Es habe „keinerlei Anhaltspunkte“ gegeben, dass dieses Auto nicht das Original sei. Keinen Grund zur Beanstandung boten laut Kienle die „ausführlichen Dokumente und Unterlagen“. 

Einen Auftrag, die Echtheit des Wagens mit einer entsprechenden Expertise zu prüfen, hatte Kienle demnach nicht. Sämtliche Betrugsvorwürfe gegen ihn seien haltlos, betont seither der 75-Jährige. Er distanziert sich ausdrücklich von „Fälschungen jeder Art“. Zum Gespräch steht Kienle nicht bereit.

Vom Mercedes 300 SL Roadster des Typs W 198 II wurden nur knapp 1.900 Exemplare hergestellt.
Vom Mercedes 300 SL Roadster des Typs W 198 II wurden knapp 1.900 Exemplare hergestellt. Nur ganz wenige davon bekamen ab Werk die Farbe „Phantasiegelb“. Foto: Wolfgang Voigt

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft erkennt den „Verdacht des gewerbsmäßigen Betrugs mit dem Verkauf von gefälschten Oldtimern“, wie Erster Staatsanwalt Aniello Ambrosio gegenüber dieser Redaktion betont. Zusammen mit dem Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg verbreitete die Anklagebehörde eine ungewöhnlich umfassende Pressemitteilung zum Thema. 

Diese Ausführlichkeit begründet der Sprecher der Staatsanwaltschaft auch mit dem Umstand, dass einzelne Journalisten bereits zuvor von der Sache Wind bekommen hätten. Man habe mit der Verlautbarung Waffengleichheit herstellen wollen. Klaus Kienle spricht von einer „rufschädigenden Vorverurteilung“ und erkennt einen „Reputationsschaden“ für sich und sein Unternehmen. Den Stein ins Rollen gebracht hatte Ralph Grieser. 

Ermittler beschlagnahmen zwei Mercedes 300 SL

Am Morgen des Tages, da die Pressemitteilung die Runde macht, fahren mehrere zivile Polizeiautos bei Kienle vor. Beamte steigen aus und sichern die Ein- und Ausgänge. 

Dann marschieren sie hinein und kommen mit Akten und Speichermedien wieder heraus. Auch zwei Mercedes 300 SL, einen passenden Sechszylindermotor, ein Chassis und einen Gitterrohrrahmen beschlagnahmen sie. Seither werten die Ermittler die möglichen Beweismittel aus. 

Mit einem standesgemäßen 300 SL Roadster fährt Lewis Hamilton vor dem Grand Prix von Belgien über die Rennstrecke.
Mit einem standesgemäßen 300 SL Roadster fährt Lewis Hamilton vor dem Grand Prix von Belgien über die Rennstrecke. Foto: Benoit Doppagne picture alliance/dpa/BELGA

Dass sich mit gefälschten Oldtimern viel Geld verdienen lässt, ist unter Experten unstrittig. Sebastian Hoffmann ist als Sachverständiger und Marktbeobachter für klassische Fahrzeuge beim Tochterunternehmen FSP des TÜV-Rheinland tätig. 

Er schätzt, dass die für die Neuherstellung eines 300 SL Roadster nötigen Teile für weniger als 850.000 Euro zu haben sind. Der Marktwert eines originalen Exemplars bewegt sich etwa beim Doppelten. „Und die Teile sind alle verfügbar“, betont der Spezialist. 

Keine Frage ist für Hoffmann, dass sich Fälschungen grundsätzlich aufdecken lassen. Er selbst ist immer wieder mit entsprechenden forensischen Untersuchungen befasst. 

So ließen sich mit magneto-optischen Resonanzverfahren etwa Manipulationen an Fahrgestellnummern nachweisen, erklärt er. Mit Röntgenstrahlen könne man Zinn oder Spachtelmasse detektieren und mittels Spektralanalyse Stahlqualitäten feststellen. Spätestens, wenn man so in die Tiefe geht, fliegt auch die beste Fälschung auf. 

Atemberaubende Preisentwicklung

Ein Oldtimerhändler, der ungenannt bleiben will, sieht in der teils atemberaubenden Wertentwicklung manches Modells den Hauptgrund für Fälschungen. Ein Porsche Carrera Coupé mit 2,7 Litern Hubraum aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre kostete neu rund 38.000 Mark. Heute werden gepflegte Exemplare für 150.000 Euro gehandelt. Bei einem Mercedes 300 SL aus den 1950ern ist der Abstand noch extremer.

Unter den Experten, die im Showroom von Oldtimerhändler Ralph Grieser Platz genommen haben, ist auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller. Er leitet den „Parlamentskreis Automobiles Kulturgut“.

Julia Klöckner und ihr Mann Ralph Grieser
Julia Klöckner und ihr Mann Ralph Grieser nach ihrer Hochzeit im April 2019. Foto: CDU Rheinland-Pfalz/dpa

Der Politiker kennt den Oldtimerhändler gut, vor allem aber dessen Ehefrau: die vormalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Sie ist auch Mitglied des CDU-Bundesvorstands. 

Baden-Württembergs Vize-Ministerpräsident Thomas Strobl bekleidete bis zum vergangenen Jahr als einer der fünf stellvertretenden CDU-Vorsitzenden ebenfalls eine exponierte Parteifunktion. Als Innenminister ist er unter anderem für das Landeskriminalamt zuständig. Das im Oldtimer-Fall ermittelt.

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