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Studie des Mediendienstes Integration

Rassismus und Polizei: ein ungelöstes Problem

Arbeit von Beauftragten auf dem Prüfstand: Wie geht Baden-Württemberg mit Vorwürfen zu Gewalt, Antisemitismus und Rassismus bei den Polizeikräften um? 

Teilnehmer einer linken Demonstration gehen mit Transparenten und Fahnen durch die Stadt. Anlass ist der 19. Todestag des Asylbewerbers Oury Jalloh, der am 07. Januar 2005 in einer Polizeizelle ums Leben kam.
Am Todestag des Asylbewerbers Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle ums Leben kam, üben Teilnehmer einer linken Demonstration in Dessau-Roßlau scharfe Kritik an der Polizei in Deutschland. Foto: Sebastian Willnow /dpa

Einmal jährlich befragen die Forsa-Meinungsforscher die Deutschen, wem sie am meisten vertrauen würden. Im diesjährigen Ranking der Institutionen rangieren Kirchen und Parteien weit hinten. Platz eins teilen sich die Ärzte mit der Polizei. Auch im internationalen Vergleich genießt Deutschlands Polizei bislang einen guten Ruf.

Doch dieses Vertrauen wird auf den Prüfstand gestellt, seit sich die Berichte über fremdenfeindliche und gewalttätige Übergriffe durch Polizeibeamte mehren. Die Beteuerungen der Behörden, es handele sich um Einzelfälle, werden in den sozialen Medien als nicht plausibel abgetan. Durch das Bekanntwerden zahlreicher rassistischer Chats innerhalb der deutschen Polizei hat das Thema zuletzt eine große politische Brisanz bekommen.

Mängel bei Erfassung von Beschwerden

Können sich die Bürger auf die freundlichen Ordnungshüter in Uniform nicht mehr uneingeschränkt verlassen? Um diesen Verdacht zu entkräften, wurden in acht von 16 Bundesländern unabhängige Polizei-Beschwerdestellen eingerichtet. Seit einigen Wochen gibt es zudem einen Beauftragten für die Bundespolizei. Doch diese Maßnahmen reichen nicht aus: Zu diesem Schluss kommt jetzt eine umfangreiche Recherche des Mediendienstes Integration.

Ihre zentralen Erkenntnisse lauten: Rassistische und antisemitische Verdachtsfälle unter Polizisten und Polizistinnen würden nicht einheitlich erfasst. Es gebe kaum wissenschaftliche Studien zu Rassismus bei der Polizei. Eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten hätten nur elf Bundesländer. Schließlich seien die Befugnisse der Beschwerdestellen zu gering, und viele Betroffene wüssten gar nicht, dass es diese Stellen gibt.

In Baden-Württemberg arbeitet seit sieben Jahren eine unabhängige Bürgerbeauftragte, die unter anderem Beschwerden über die Polizei entgegennimmt und ihnen nachgeht: die gebürtige Baden-Badenerin Beate Böhlen, die früher den Petitionsausschuss des Landtags geleitet hat. Die Möglichkeiten der 57-jährigen Grünen-Politikerin sind jedoch relativ begrenzt.

So hat sie nach Angaben des Mediendienstes weder Akteneinsicht bei Polizei und Staatsanwaltschaft noch kann sie eigene Ermittlungen einleiten, solange offiziell ermittelt wird. Böhlen selbst beschreibt ihr Vorgehen als einen „unbürokratischen Ansatz“:

Das aus sieben Personen bestehende Team arbeite mit Stellungnahmen und verlange Auskünfte vom Innenministerium und Polizeipräsidien. In ihrer Rolle als Konfliktmanagerin gebe sie dann Empfehlungen an zuständige Stellen ab, wie man die Polizeiarbeit verbessern könnte.

Bürgerbeauftragte Beate Böhlen kritisiert Fehlverhalten

Dass bei der Polizei nicht alles rund läuft, bestätigte Böhlen im März in einem WDR-Interview. Sie sprach dort von Fehlverhalten, „Tendenzen, übermäßig Gewalt auszuüben“ und Racial Profiling, also gezielten (und diskriminierenden) Kontrollen ethnischer Minderheiten durch Polizeibeamte. Laut dem jüngsten Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten gab es im Jahr 2022 insgesamt 142 Anliegen, die die Landespolizei betroffen haben. Darunter seien 130 Beschwerden über polizeiliche Maßnahme gewesen. 

Nach Angaben Böhlens gab es in Baden-Württemberg im Berichtsjahr und den zwei Jahren zuvor 47 Verdachtsfälle von Polizeigewalt, 67 Fälle von möglichem Amtsmissbrauch, sieben Beschwerden wegen Racial Profiling und 20 Beschwerden wegen ethischer Diskriminierung und Rassismus. Zahlreiche Verdachtsfälle könnten nicht geklärt werden, räumte die Beauftragte ein.

Die Polizei in Baden-Württemberg hat kein strukturelles Rassismus- oder Diskriminierungsproblem.
Thomas Strobl
Landesinnenminister

Nach den am Dienstag veröffentlichten Informationen des Mediendienstes Integration gab es bei der Polizei in Baden-Württemberg zwischen 2021 und 2023 (bis September) insgesamt 54 rassistische und antisemitische Verdachtsfälle mit 140 Beteiligten. Sie hätten 55 strafrechtliche Ermittlungserfahren und 87 Disziplinarverfahren nach sich gezogen. Zwei Dutzend weitere Verfahren seien in Prüfung oder Vorbereitung.

Nach Überzeugung von Landesinnenminister Thomas Strobl hat die Polizei in Baden-Württemberg „kein strukturelles Rassismus- oder Diskriminierungsproblem“. In seinem Auftrag habe der Inspekteur der Polizei die Disziplinarstatistik der zurückliegenden fünf Jahre „gründlich durchleuchtet“, teilte der CDU-Politiker im Sommer 2020 mit.

„Lediglich in rund fünf Prozent der eingereichten Beschwerden hat sich der Verdacht auf eine diskriminierende Verhaltensweise der Landespolizei bestätigt“, erklärte Strobl. Betroffen seien nur 0,1 Prozent der rund 24.500 Polizeibeamtinnen und -beamten. Der Minister räumte aber auch Erfassungsdefizite ein: „So, wie die Disziplinarstatistik bislang geführt wird, ist eine Auswertung auf Rassismus- und Diskriminierungsvorwürfe nicht ohne Weiteres möglich.“

Forschungsprojekt zu Werten von Polizisten

Gegen die Empfehlung des Innenministers hatte die Landespolizei die bundesweite Studie der Deutschen Hochschule für Polizei in Münster boykottiert, die sich mit „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten“ beschäftigt hat.

Das führte zum Unmut in der Landesspitze, die eine Studie zur „Werteentwicklung“ für angehende Polizeibeamten initiiert hat. Das Forschungsprojekt an der Landesschule der Polizei wird frühestens Ende 2026 seine Ergebnisse präsentieren.

Einer wissenschaftlichen Untersuchung zufolge erlebt jeder zweite schwarze Mensch in Deutschland Rassismus. Vor allem Muslime machen oft Diskriminierungserfahrungen in Behörden sowie mit der Polizei, berichtete Ende 2023 das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) in Berlin. Mehr als ein Drittel der muslimischen Männer (39 Prozent) hätten von Diskriminierung und Rassismus bei der Polizei berichtet, schrieb Dezim.

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