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ARCHIV - Ein Luchs schleicht in einem Waldgehege nahe der Rabenklippen bei Bad Harzburg (Archivfoto vom 30.04.2008). Die freilebenden Harzer Luchse haben auch in diesem Jahr wieder Nachwuchs. In zwei Fällen waren bereits Junge gesichtet worden. Neugeborene Raubkatzen wurden sowohl in der Nähe von Clausthal-Zellerfeld als auch bei Goslar beobachtet. Vermutlich hatten aber auch noch weitere Luchsinnen Nachwuchs bekommen. Seit dem Jahr 2000 wurden im Harz im Rahmen eines Wiederansiedlungsprojektes 24 Luchse ausgewildert. Foto: Holger Hollemann dpa/lni (zu lni 0220 vom 30.07.2009) +++ dpa-Bildfunk +++

Für mehr Raubtier-Nachwuchs

Schwarzwald-Luchse leiden unter Weibchen-Mangel: Das planen Forscher

Der Luchs ist ein Raubtier wie der Wolf – nur viel beliebter. Das katzenartige Wildtier soll im Schwarzwald gezielt vermehrt werden. Doch bislang scheitert es an den Weibchen.
von Stefan Jehle
5 Minuten
von Stefan Jehle
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Die Katze ist der Deutschen liebstes Haustier, anschmiegsam und verschmust. Und doch gehören die „Stubentiger“ von der genetischen Abstammung her zur Gattung „Raubtier“; auch Tiger, Leoparden und Löwen sind schließlich „katzenartige Raubtiere“, wie es die Fachsprache der Biologen festlegt.

Mit der bestehenden Nähe der Hauskatze zum Menschen dürfte sich die Faszination für den artverwandten Luchs begründen, dieser größten Wildkatze, die auf der Nordhalbkugel der Erde verbreitet ist. Und doch wurde der majestätische eurasische Luchs (Fachname: „Lynx lynx“) in vergangenen Jahrhunderten gnadenlos gejagt und galt seit Mitte des 19. Jahrhunderts auch im Südwesten als ausgestorben.

Im Schwarzwald wurde der letzte frei lebende Luchs 1770 erlegt.
Micha Herdtfelder
Biologe bei der FVA Freiburg

„Im Schwarzwald wurde der letzte frei lebende Luchs 1770 erlegt“, sagt Micha Herdtfelder – Biologe und ausgewiesener Experte für die Gattungen Luchs und Wolf bei der Forstlichen Versuchsanstalt (FVA) des Landes in Freiburg.

Schon in seiner Dissertation, die 2013 eine besondere Auszeichnung erhielt, befasste er sich mit der „Überlebenswahrscheinlichkeit des Luchses“. Darin ging es inhaltlich (auch) um die aus dem Schweizer Juragebiet „auf leisen Sohlen“ über die Grenze in den Südwesten eingewanderten Luchse – einzelne Männchen, die auch Kuder genannt werden. Und deren Fortbestand sich allenfalls durch wild ausgesetzte Weibchen sichern ließe.

Ein Luchs lässt es sich am 10.04.2017 im brandenburgischen Wildpark Schorfheide in seinem Gehege schmecken. Foto: Paul Zinken/dpa ++ +++ dpa-Bildfunk +++
Der Luchs frisst angeblich seltener Nutztiere des Menschen als der Wolf – deshalb sehen die Wildtierforscher keinen Grund für eine Ablehnung des Ansiedlungsprojektes in der Bevölkerung. Foto: Paul Zinken picture alliance / Paul Zinken/dpa

Inzuchtprobleme in der Schweiz, einsame Luchsmännchen im Schwarzwald

Dabei stehe fest, so sagt Herdtfelder, „dass die Schweizer Vorkommen teilweise unter erheblichen Inzuchtproblemen leiden“. Während die Männchen (Kuder) als Einzelgänger größere Reviere durchstreifen, lassen sich die Weibchen eher in überschaubaren Gebieten nieder, meist in der Nähe ihres Geburtsortes.

Der Luchs „Wilhelm“ etwa, seit 2015 im Hochschwarzwald rund um den Feldberg nachweisbar, oder auch Luchs „Toni“, der im Murgtal und im Gebiet des Nationalpark Schwarzwald streunt und erstmals 2019 nachgewiesen wurde, tun sich da mit der Weibchensuche und Paarung derzeit noch schwer.

Insgesamt fünf Kuder sind den FVA-Experten aktuell bekannt: auch etwa im Oberen Donautal oder am westlichen Bodensee. Von Luchs „Wilhelm“ und Luchs „Toni“ gibt es Aufnahmen jüngeren Datums aus Fotofallen.

Luchs Toni Murgtal
Luchs „Toni“ streift durchs Murgtal und den Nationalpark Schwarzwald. Wildtierforscher haben ihm vor Jahren ein Senderhalsband verpasst. Foto: FVA Baden-Württemberg

Auch auf Landesebene hat man längst erkannt, dass eine Bestandsstützung nur mit aktiver Wiederansiedlung funktionieren wird. Luchse gelten – wie der Wolf – als Beutegreifer an der Spitze der Nahrungskette.

Mit dem kleinen, aber bedeutenden Unterschied in der Art der Nahrungswahl: Luchse erbeuten hauptsächliche Rehe, wo hingegen der Wolf, neben Hirschen und Rehen, auch häufiger Nutztiere des Menschen erbeutet. Ein Grund, dem Luchs feindselig gegenüberzutreten, besteht damit eigentlich nicht.

Bundesweit leben nach Schätzungen nur etwa 65 der großen Wildkatzen

Die beeindruckend imposanten Raubtiere sind, so sieht es Experte Herdtfelder, für den Schwarzwald „ein natürlicher Teil des heimischen Ökosystems“. Sie haben einen großen Raumanspruch, sodass eine größere Population nur im Verbund der Vorkommen im Jura, den Vogesen, dem Pfälzer Wald und Schwarzwald möglich erscheint.

Bundesweit, so bilanziert es die „Deutsche Wildtierstiftung“, leben abseits der Gehege und Zoos gerade mal 65 Exemplare der größten Katze Europas.

Hauks Plan: Zehn weibliche Luchse sollen angesiedelt werden

Im vergangenen März kündigte Forstminister Peter Hauk (CDU) bei einer Veranstaltung im Haus des Waldes in Stuttgart-Degerloch an, die Auswilderung von Luchsen aktiv anzugehen. Baden-Württemberg werde Verantwortung übernehmen für die länderübergreifende Luchspopulation – und leiste dabei „einen wichtigen Beitrag für den Biotopverbund und die Biodiversität“. Das Thema werde seit Längerem in der AG „Luchs und Wolf BW“ intensiv und konstruktiv diskutiert, bestätigt auch FVA-Experte Herdtfelder. Hauk machte es selbst zuletzt zur Chefsache.

Ein Luchsbaby läuft im Eifelpark Gondorf durch das Gehege (Foto vom 08.06.2011). Erstmals hat es bei den Luchsen Nachwuchs gegeben.
Auf solch flauschigen Nachwuchs hoffen die Wegbereiter des baden-württembergischen Luchsansiedlungsprojekts. Die Aufnahme zeigt ein Luchsbaby eines Wildparks in der Eifel. Foto: Eifelpark Gmbh / dpa

Ort und genauer Termin werden wie Geheimnisse gehütet

In einem vier Jahre währenden Projekt sollen bis zu zehn, insbesondere weibliche Luchse bevorzugt im Schwarzwald ausgewildert werden. Baden-Württemberg biete mit seinem „hohen Anteil an naturnahen Waldflächen beste Voraussetzung“, sagt Minister Hauk. Zu einer ersten Auswilderung bereits im Herbst 2023, wie zunächst angedacht, wird es wohl nicht kommen. Vorab aber ist jetzt schon klar: Es wird keinen öffentlichen Pressetermin geben, und auch der Ort der Auswilderung wird nicht bekannt gemacht.

„Bis es zur ersten Aussetzung von Luchsen kommt, müssen auch die Akzeptanz der Akteure vor Ort und die Gehegefrage geklärt werden“, sagt ein Sprecher des Ministers. Nach Informationen dieser Zeitung sollen Jungtiere im Alter zwischen sechs und neun Monaten in einem abgelegenem Gehege „eingewöhnt werden“.

Zuchtstationen für Luchse, so verraten damit betraute Experten, gibt es in der Westpfalz und in Thüringen. Von dort wird das Land die Jungtiere wohl beziehen. „Importe“ aus Nachbarländern, etwa aus Tschechien, wird es nicht mehr geben.

Zur Frage, ob schon Jungtiere im Alter von bis zu neun Monaten bereitstehen, die für das Prozedere geeignet erscheinen, hüllen sich die Beteiligten in Schweigen. Die Hauptaktivitäten zur Wiederansiedlung, so sagt es FVA-Experte Herdtfelder, werden in den Jahren 2024 bis 2026 stattfinden.

Der Zoo Karlsruhe freut sich, sich als Kooperationspartner mit Know-how sowie tiermedizinischer Expertise einbringen zu dürfen.
Matthias Reinschmidt
Zoo-Direktor in Karlsruhe

Schon länger besteht zudem erkennbar Einvernehmen mit der Landesjägerschaft. „Biodiversität ist wichtig und richtig“, sagt Hans-Jürgen Schneider, Bezirksjägermeister im Regierungsbezirk Freiburg. Es sei aber wichtig, auch „mit dem Gamswild verantwortungsvoll umzugehen und von Luchsrissen Betroffene zu unterstützen“. Schon seit Anbeginn des Projektes ist der Zoo in Karlsruhe mit eingebunden, vor allem mit Blick auf fachliche Beratung.

„Der Zoo Karlsruhe freut sich, sich als Kooperationspartner mit Know-how sowie tiermedizinischer Expertise in das Projekt einbringen zu dürfen“, sagt Zoo-Direktor Matthias Reinschmidt. Im neu eröffneten Luchsgehege des Karlsruher Zoos befinden sich derzeit vier erwachsene Luchse, die dort verbleiben. Die voraussichtlich 2024 in die freie Wildbahn ausgesetzten Jung-Weibchen werden – so sie selbst trächtig werden – die meist zwei bis drei Tiere eines Wurfs alleine großziehen; das oder die Männchen gehen wieder ihrer eigenen Wege.

In der Hängematte macht es sich der Karpaten-Luchs im neuen Gehege des Karlsruher Zoos gemütlich.
In der Hängematte macht es sich der Karpaten-Luchs im Karlsruher Zoo gemütlich. Die Tiermediziner und Zuchtexperten des Tiergartens sind als Berater in das Ansiedlungsprojekt eingebunden. Foto: Stefan Jehle

Für Micha Herdtfelder, den Luchs-Experten aus Freiburg, ist klar: Eine Stützung des Bestands ist ohne neue weibliche Jungtiere nicht möglich. Im Laufe der vergangenen Jahre wurden im Südwesten insgesamt 17 verschiedene männliche Luchse (Kuder) identifiziert. „Aber nur ein weibliches Individuum, das auch nur wenige Monate lang grenznah zur Schweiz nachgewiesen werden konnte“, so der Biologe.

Pfalz und Bayern als Vorreiter

Schon von 2015 bis 2020 lief das Luchs-Projekt im Pfälzer Wald, bei dem 20 Tiere erfolgreich umgesiedelt wurden. Sachsen und Thüringen planen derzeit die Auswilderung. Ein sozusagen etabliertes Thema ist der Luchs im Nationalpark Bayerischer Wald, dem ältesten Schutzgebiet dieser Art in ganz Deutschland: dort gibt es eine beständige Population – auch im grenznahen „Austausch“ mit dem Šumava Nationalpark (Böhmerwald) in Tschechien. Schon in den 1980er-Jahren wurden auf tschechischer Seite 17 Luchse ganz offiziell im Rahmen eines Wiederansiedlungsprojekts freigelassen. In ganz Bayern konnten 2020 und 2021 insgesamt 51 selbstständige Luchse sowie 20 Jungtiere nachgewiesen werden. Die Gesamtzahl für die Luchspopulation im Böhmisch-Bayerisch-Österreichischen Dreiländereck liegt, laut WWF, aktuell bei 120 bis 140 Tieren.       

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