Skip to main content

Beispiele aus der Region

Bier von Dr. Oetker und Schuhe von der EnBW? Die Geschichte der Mischkonzerne

Wo Dr. Oetker draufsteht, kann durchaus Bier drin sein. Die EnbW hat schließlich auch mal Schuhe verkauft. Und Tui war einst ein Stahlkocher. Ein kleiner Streifzug durch die Geschichte der Mischkonzerne.

Diverse Vileda-Putzhilfen auf einer Küchenspüle
Mehr als nur Putzhilfen: Der Laie kennt die Vileda-Produkte der Weinheimer Freudenberg-Gruppe. Doch der Mischkonzern stellt weitaus mehr her. Foto: dpa

Lurchi trifft Yello: Das waren noch Zeiten, als im Foyer des Karlsruher Stromkonzerns EnBW Aktionsware von Salamander verkauft wurde.

Unter Ex-EnBW-Chef Gerhard Goll gehörte die Salamander AG zum Konzern, wie die Stromtochter Yello, der Entsorgungsspezialist U-Plus oder die Müllverbrennungsanlage Thermoselect, um nur einige Beispiele für den damaligen Mischkonzern zu nennen. Übrigens: Auch Salamander selbst setzte auf Misch-Masch, stellte beispielsweise Kunststoffprofile für Fenster her.

Kritiker bezeichnen Mischkonzerne despektierlich als Gemischtwarenladen. Die verzettelten sich nur – Reibungsverluste statt Synergieeffekten seien die Folge. Befürworter von Multikonzernen schwärmen, dass diese nicht von einzelnen Branchen abhängig seien – sogenannte Klumpenrisiken ließen sich so vermeiden.

Und wer hat nun Recht? Das ist schwer zu beantworten, weil es weit über 100 Jahre alte Mischkonzerne gibt, die etliche Wirtschaftskrisen überstanden haben.

Aber es sind auch schon viele Konglomerate – so ein weiterer Fachbegriff – in der Versenkung verschwunden. Nur so viel: In Asien halten familienkontrollierte Multi-Konzerne an ihrer Strategie fest, breit aufgestellt zu sein. Hyundai und Samsung sind nur zwei Beispiele. In Europa geht seit zwei Jahrzehnten der Trend weg vom Mischkonzern.

„Ich bin ein Fan von sehr spezialisierten Unternehmen“, sagt Korbinian Eichner, Professor an der Hochschule Pforzheim. „Je größer ein Unternehmen wird, desto schwieriger wird es, es zu kontrollieren“, so seine Argumentation.

Maquet gehörte einst zu RWE

Neben der EnBW gibt es weitere Beispiele, die Bezug zur Region haben. Zum RWE-Konzern gehörte beispielsweise indirekt der Rastatter OP-Ausstatter Maquet.

Daimler hatte unter dem seinerzeitigen Vorstandschef Edzard Reuter nicht nur die Mercedes-Benz-Werke, das klassische Kerngeschäft der Marke mit dem Stern also.

Nein, Reuter war im Kaufrausch, wollte aus Daimler einen integrierten Technologiekonzern schaffen: mit dem Triebwerksspezialisten MTU, Flugzeugbauer Dornier, Elektrogerätehersteller AEG, dem Raumfahrtkonzern MBB, dem Systemhaus Cap Gemini und, und, und.

Nokia war auch ein Mischkonzern – mit Bezug zu Pforzheim

Oder Nokia. Die Finnen stellten einst Reifen, Fahrräder, Gummistiefel oder Papier her und erzeugten Strom. Videorekorder, Verstärker, Fernseher gab es von ihnen unter der Marke „ITT Nokia“ – mit Hauptstandort Pforzheim.

Dann konzentrierten sich die Finnen auf Mobiltelefone, wurden Weltmarktführer. Doch obwohl sie mit dem Modell „Communicator“ Mitte der 1990er-Jahre gute Chancen für den Umstieg aufs Smartphone gehabt hätten, scheiterten sie. Die Mobilfunksparte wurde an Microsoft verscherbelt, die Finnen sind nun vor allem Netzwerkspezialisten.

Noch ein Beispiel? Als Siemens noch abertausende Mitarbeiter in Karlsruhe beschäftigte, konnten diese im werkseigenen Shop rabattierte Hifi-Anlagen, Mobiltelefone, Waschmaschinen und Staubsauger kaufen. Siemens war einst Pionier im Geschäft mit Weißer Ware, zum Beispiel 1906 mit dem Siemens-Staubsauger. Heute hat der Konzern mit Endverbrauchern nichts mehr am Hut.

Die BSH-Beteiligung wurde komplett an Bosch verkauft – auf deren Haushaltsgeräten prangt nun neben Bosch, Neff, Gaggenau und Constructa nur noch der Markenname Siemens.

Der Mischkonzern schlechthin

Dennoch ist Siemens ein Mischkonzern geblieben. Er baut ICE-Züge, Computertomografen, Generatoren, Turbinen und in Karlsruhe Industrierechner, um nur einige Beispiele zu nennen. Mit einer einfacheren und schlankeren Konzernstruktur sehen die Siemens-Strategen die Chance auf beschleunigtes Wachstum.

Gegenüber dem traditionellen großen Wettbewerber, dem amerikanischen GE-Konzern, behaupten sich die Deutschen. GE ist der Mischkonzern schlechthin, hat sich aber ebenfalls von Geschäftsbereichen verabschiedet, so von seiner Hausgeräte-Sparte. Die gingen an die chinesische Haier-Gruppe.

Übrigens: Bei den Amerikanern mischt auch US-Präsident Donald Trump bei Mischkonzernen mit. Dessen Firmenkonglomerat besteht aus rund 500 Firmen.

Aus einem Stahlkocher wurde die TUI

Radikal gewandelt hat sich die einstige Preussag. Einst stand sie für Bergbau, Stahl und später für Tourismus – auch ein Gemischtwarenladen also. Der langjährige Chef Michael Frenzel räumte auf. 2002 wurde aus Preussag die TUI. Es ist nicht nur der größte Touristikkonzern der Welt, sondern bis zur Corona-Krise auch ein überaus erfolgreicher.

Einen Namenswechsel gab es zudem bei der Hussel-Holding in Hagen. Als mit Parfüm weitaus mehr Umsatz als mit Pralinen gemacht wurde, wurde in die Douglas-Holding umfirmiert.

Die Confiserien, die Parfümketten, der Buchhändler Thalia, der Juwelier Christ und der Damenmode-Spezialist AppelrathCüpper gehörten zu diesem Mischkonzern – der aber Geschichte ist. Der einstige Familienkonzern geriet ins Trudeln.

Dr. Oetker und Bier?

Anders sieht dies bei einem Konzern in Familienhand aus: Bei Dr. Oetker denkt jeder Laie an Backpulver, Pizza und anderes Essbares, das auch im Werk Ettlingen hergestellt wird. Die Bielefelder haben mit der Radeberger-Gruppe aber auch die größte private Brauereigruppe in ihrem Konglomerat.

Ihre Henkell-Freixenet-Sparte ist gar der weltweit größte Schaumweinhersteller. Luxushotels inklusive Brenners Park Hotel & Spa in Baden-Baden? Alles Dr. Oetker. Bis vor wenigen Jahren gehörte dem Familienunternehmen zudem die Reederei Hamburg Süd und bis vor kurzem das Bankhaus Lampe.

Eine der größten Kommanditgesellschaften Deutschlands ist die Weinheimer Freudenberg-Gruppe, ein 1849 gegründetes Familienunternehmen. Als Gerberei ging es los, dann leitete der Simmering die Diversifizierung ein.

Dichtungs- und Schwingungstechnik, Vliesstoffe und Filter, Chemie – Freudenberg-Produkte bringen Autos zum Fahren, dank ihnen sitzen Anzüge perfekt, funktionieren medizinische Anwendungen, können Skifahrer ins Tal sausen.

Auch Haushaltsprodukte der Marke Vileda kommen von Freudenberg. Dass man so breit aufgestellt ist, sieht das Freudenberg-Management als einen Erfolgsgaranten. Das wurde auch bei der Bilanzvorlage dieser Tage deutlich gemacht.

Die „Heuschrecken“ und die Mischkonzerne

Empirisch lasse sich nicht belegen, dass familiengeführte Mischkonzerne erfolgreicher sind als börsennotierte Konglomerate, sagt Experte Eichner. „Börsennotierte Mischkonzerne sind aber ganz klar im Fokus von aktivistischen Investoren.“ Sie beteiligen sich mit einem relativ kleinen Aktienanteil, hätten oft einen Sitz im Aufsichtsrat – und verfolgten dann Abspaltungsstrategien.

Das Ziel: Schnell eine gute Rendite erzielen. „Die kann man schon als Heuschrecken bezeichnen“, so Eichner. Anders ausgedrückt: Sie mischen Mischkonzerne massiv auf.

nach oben Zurück zum Seitenanfang