Skip to main content

Puzzleteile einer Kneipennacht

Von sexuellen Vorlieben und zerstörten Handys: Brisante Details im Polizei-Prozess

Darf ein Vorgesetzter einer Untergebenen sagen, dass sie attraktiv ist? Warum vernichten sowohl der vermeintliche Täter als auch sein mutmaßliches Opfer Handy-Daten? Der Polizei-Prozess geht ins Detail.

Der ranghöchste Polizist des Landes soll im November 2021 eine damals 32 Jahre alte Polizistin vor einer Kneipe sexuell genötigt haben
Der ranghöchste Polizist des Landes soll im November 2021 eine damals 32 Jahre alte Polizistin vor einer Kneipe sexuell genötigt haben Foto: Bernd Weißbrod /dpa

Anzügliche Bemerkungen, Zärtlichkeiten zwischen Kollegen: Der Prozess gegen den höchstrangigen Polizisten des Landes offenbart, dass der angeklagte Inspekteur nicht nur mit seinem mutmaßlichen Opfer eher weniger dienstliche Kontakte pflegte. Die Zeugenbefragung am Dienstag brachte brisante Details ans Licht.

Demnach bandelte der Inspekteur immer wieder mit Kolleginnen an, unter anderem mit einer Polizistin auf den Weg in den höheren Dienst, die bis zu ihrer Verlobung mit ihm Zärtlichkeiten austauschte. Eine Verwaltungsbeamtin des Innenministeriums berichtete laut Zeugen von sexuell unangemessenen Bemerkungen. Der Inspekteur habe ihr deutlich gemacht, dass er mit ihr Sex haben wolle – und seine Ehe dem nicht entgegenstehe.

Der ranghöchste Polizist des Landes steht seit einer Woche vor Gericht. Er soll im November 2021 eine damals 32 Jahre alte Polizistin vor einer Kneipe sexuell genötigt haben. Davor trafen sich die beiden in seinem Dienstzimmer, dabei sprachen sie über ihre Karriere, tranken Sekt. Kollegen kamen und gingen. Im Polizei-Prozess zeichnen Zeugen am Dienstag den Ablauf des Abends nach. Es sind Puzzleteile einer verhängnisvollen Kneipennacht.

Die Polizeidirektorin

Sie, 45, kurz vor der Beförderung zur Leiterin der Kripo Böblingen, wird am 12. November 2021 von der Kommissarin ins Dienstzimmer des Inspekteurs geholt, trinkt mit den beiden Sekt.

Sie erzählt, wie die Polizistin den Inspekteur zu einem Selfie vor der Schrankwand im Dienstzimmer überredet – ausgerechnet vor Plakaten der Wertekampagne, die der Inspekteur damals verantwortete. Slogan: „Diskriminierung? Nicht bei uns“.

Die beiden wirken fröhlich auf dem Foto. „Mich hat das verwundert“, kommentierte die Zeugin die Foto-Aktion. Die Polizeidirektorin nimmt weder „alkoholbedingte Ausfallerscheinungen“ wahrgenommen noch anzügliche Sprüche wahr – geht aber auch früher nach Hause als die anderen.

Der Kollege

Der Polizeibeamte aus Laichingen trinkt noch weiter mit dem Inspekteur und der jungen Polizistin. Der Zeuge spricht von einer „sehr kollegialen Stimmung“. Um 22 Uhr kommt die Idee auf, noch einen Absacker zu trinken.

In der Bar dann, erzählt der Zeuge, berichtet sie dem Inspekteur, dass sie immer ein heißes Ohr bekomme, wenn sie Alkohol trinke. Der Inspekteur hänselt sie wegen eines Pickels. Sie erzählt ihm von ihren misslungenen Beziehungen, dass sie immer an falsche Männer gerate. Er sagt, er könne sich das gar nicht vorstellen, sie sei doch attraktiv. „Sie saßen recht nah beieinander, ich habe das als irritierend empfunden“, sagt der Zeuge. Als er nach Hause geht, ziehen die beiden zu zweit weiter nach Bad Cannstatt.

Die Bedienung

Die 43-Jährige kennt den Inspekteur, er ist Stammgast in der Eckkneipe. Sie arbeitet seit 20 Jahren dort und bedient ihn regelmäßig. Meist habe er sonntags in der Kneipe Fußball geschaut und Zeitung gelesen, erzählt sie. Sie nennt ihn beim Vornamen. In besagter Nacht bringt sie der Polizistin Rum-Cola und ihm ein Weizen – „wie immer“, erzählt sie.

Die beiden hätten sich unterhalten, umarmt, geküsst. „Ich hatte zu keiner Zeit den Eindruck, dass das nicht freiwillig ist.“ Als sie vor Gericht die Kameraaufnahmen aus der Kneipe sieht, räumt sie ein, dass die Frau entgegen ihrer Erinnerung richtig betrunken wirke. Interessant: Die Bedienung berichtet von mehreren Damen, die den Inspekteur in die Kneipe begleitet hätten. Auch mit ihnen habe er Zärtlichkeiten ausgetauscht.

Schließlich gehen die Polizistin und der Angeklagte für knapp fünf Minuten vor die Tür – und hier soll die sexuelle Nötigung geschehen sein, die allerdings keine Kamera aufzeichnet. Die Polizistin hat das Glied des Inspekteurs in der Hand, während er uriniert. Das räumen beide ein. Ob das aber von ihr ausging oder er sie dazu gedrängt hat, darüber muss das Gericht entscheiden. Aussage steht gegen Aussage.

Der Taxifahrer

Die beiden gehen wieder in die Kneipe, trinken und küssen sich weiter. Die Bedienung ruft ihnen schließlich ein Taxi. Der 68-jährige Fahrer berichtet, die Polizistin habe sich nach einer Sitzheizung erkundigt und vorne Platz genommen. Der Inspekteur sitzt hinten im Fahrzeug. Nach kurzer Fahrt sind sie bei ihm, steigen beide aus, verabschieden sich. Wie lange das dauert, kann der Taxifahrer nicht mehr sagen.

Auch sonst kann er inhaltlich wenige Erkenntnisse beisteuern. „Ich belausche nicht die Gespräche meiner Fahrgäste.“ Er fährt sie nach Hause. Die letzten paar Hundert Meter will sie seinen Angaben zufolge zu Fuß laufen, um eine Zigarette zu rauchen – obwohl er Bedenken anmeldet und sie zur Haustür bringen will. Aber sie habe ihm gesagt, sie sei eine starke Frau. Sie habe weder schlecht gelaunt gewirkt noch sehr betrunken, so der Taxifahrer.

Der Ermittler

Er vernimmt die Polizistin zweieinhalb Wochen nach der Kneipennacht. „Sie hat sehr viel geweint“, erzählt der Sachbearbeiter. „Es war ihr anzumerken, dass sie das sehr mitnimmt.“ Es sei ihr sogar schwer gefallen, bei der Vernehmung den Namen des Inspekteurs zu nennen, sie habe immer nur „er“ gesagt.

In der Kneipe habe er plötzlich von seinen sexuellen Vorlieben gesprochen, habe ihr geschildert, dass er auf pinkelnde Frauen stehe. In dem Moment sei ihr bewusst geworden, dass das Gespräch aus dem Ruder laufe, sagt sie aus. Sie sei geschockt und angeekelt gewesen, habe sich ausgenutzt gefühlt.

Sie habe vorgeschoben, dass sie betrunken sei, um der Situation zu entkommen. Als die Ermittler später ihr Handy konfiszieren wollen, rennt sie den Aussagen zufolge noch auf Toilette und löscht den Chatverlauf mit ihrem Liebhaber. Er zerstört sein komplettes Handy vor der Durchsuchung.

Stuttgarter Polizei-Prozess: Wird heimlich aufgezeichnetes Telefonat zugelassen?

Welche Version der Wahrheit entspricht, muss das Gericht entscheiden. Am Freitag sollen weitere Zeugen vernommen werden – und erneut die Anzeigeerstatterin, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Es geht auch um ein von ihr heimlich aufgezeichnetes Telefonat mit dem Inspekteur und die Frage, ob es als Beweismittel im Verfahren abgespielt werden darf. Die Verteidigerin des Inspekteurs pochte hingegen auf ein sogenanntes Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot. Die Polizistin habe sich mit dem Mitschnitt strafbar gemacht.

nach oben Zurück zum Seitenanfang