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Experimente auch in Baden-Baden

Mit VR-Brille ins Theatererlebnis: Immer mehr Bühnen erobern virtuelle Räume

Die Bühne erweitert sich ins Digitale: Schon vor den Theaterschließungen wegen Corona haben Aufführungen mit „Virtual Reality“ experimentiert – ein Trend, der sich durch die Pandemie verstärkt hat.

Szene mit Patrick Schadenberg in "Der goldne Topf"am Theater Baden-Baden.
Künstliche Welt als Teil der Geschichte: In der Abi-Lektüre "Der goldne Topf“ geht es um die Flucht in Fantasiewelten, was am Theater Baden-Baden inszenatorisch durch VR-Technik umgesetzt wird. Foto: Jochen Klenk

Was hat der romantische Dichter E.T.A. Hoffmann mit „virtual reality“ zu tun? Mehr, als man auf den ersten Blick meinen würde, beweist die Bühnenfassung seines Märchens „Der goldne Topf“ am Theater Baden-Baden. „Die Geschichte dreht sich ja darum, dass der Student Anselmus eine Fantasiwelt kennenlernt, die ihm vollkommen real erscheint“, sagt Intendantin Nicola May.

Als sie das Stück 2018 auf die Bühne brachte, hatte sie kurz zuvor das Kollektiv CyberRäuber kennengelernt, das sich mit dem Einsatz neuer Medien im Theater befasst. Als Kooperation entstand eine Aufführung, die auch Szenen mit VR-Brillen enthält. „Das vermittelt den Zuschauern, wie real der Hauptfigur eine völlig irreale Welt vorkommt“, erklärt May.

Das vermittelt den Zuschauern, wie real der Hauptfigur eine irreale Welt vorkommt.
Nicola May, Intendantin Theater Baden-Baden

Im Februar erlebt „Der goldne Topf“ nun seine Wiederaufnahme. Anlass ist das Festival „Fit fürs Abi in 5 Tagen“, bei dem das Theater Baden-Baden die Prüfungsstoffe im Fach Deutsch auf der Bühne präsentiert.

Und fast dreieinhalb Jahre nach der Premiere ist die Produktion hinsichtlich der Technik mehr am Puls der Zeit denn je. Denn immer mehr Theater in Deutschland loten künstlerisch die Möglichkeiten des Digitalen aus.

„Virtual Freischütz“ im Karlsruher Foyer schon vor Corona

Dabei geht es nicht einfach darum, konventionelle Produktionen im Internet zu streamen. Bereits vor Beginn der Corona-Pandemie wurden Aufführungen speziell fürs Digitale geschaffen und neue Erzählweisen ausprobiert. So gab es in der Saison 2018/19 auch am Staatstheater Karlsruhe eine Kooperation mit den CyberRäubern: Im Frühjahr 2019 wurde dort das Projekt „Virtual Freischütz“ präsentiert.

In einer hierfür eingerichteten Sitzecke im Zwischenfoyer konnten Besucher per VR-Brille aus vier jeweils rund 15-minütigen Episoden aus der Oper „Der Freischütz“ wählen. Hierbei begegnete man Figuren aus der Oper, die von Ensemblemitgliedern des Theaters dargestellt wurden, in virtuellen Räumen – mal im Weltall, mal in einem Irrgarten, mal in einer Gebirgslandschaft.

Corona-Pandemie wirkt wie ein Katalysator für die Digitalisierung am Theater

Das Inszenieren mit digitalen Mitteln habe einen unglaublichen Schub bekommen, konstatiert der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, Carsten Brosda. Die Corona-Pandemie habe wie ein Katalysator gewirkt. Die Digitalisierung schaffe neue Möglichkeiten, das Publikum zu erreichen und anzusprechen, ist der Hamburger Kultursenator überzeugt. „Zum anderen entstehen auch neue künstlerische Ausdrucksformen.“ Das digitale Theater könne das klassische Theater ergänzen, aber auch ein ganz neues Theatererlebnis schaffen.

So gibt es beispielsweise hybride Produktionen, bei denen neben dem Geschehen auf der Bühne die Zuschauer im Saal für einzelne Szenen VR-Brillen aufsetzen wie in der Oper „Orfeo ed Euridice“ des Staatstheaters Augsburg. Ballette, Konzerte und Theaterstücke werden aber auch komplett virtuell in 360-Grad-Perspektive geboten wie beim Zwickauer „Erlkönig“.

Mit einer VR-Brille, die mit dem Ticket leihweise per Post bestellt werden kann, können sich die Zuschauer die Stücke zu Hause ansehen oder im Unterricht in der Schule. Andere Geschichten werden live im Internet erzählt wie bei der viel beachteten Adaption von Goethes „Werther“ des Kollektivs „punktlive“ um die Regisseurin Cosmea Spelleken, Absolventin der Karlsruher Hochschule für Gestaltung.

Auch interaktive Formate werden auf den Bühnen erprobt

Erprobt werden aber auch interaktive Formate, bei denen Zuschauer auf den Fortgang des Geschehens Einfluss nehmen können. Oder Publikum und Schauspieler begegnen sich gänzlich im kollektiven virtuellen Raum, dem sogenannten Metaversum, wie beim Elektrotheater.

Das Staatstheater Augsburg bietet bereits mehrere VR-Produktionen an – vor allem Ballett und Schauspiel. Das Theater hat dazu eine eigene Digital-Sparte ins Leben gerufen. Am Nationaltheater Mannheim wurde 2021 das Institut für Digitaldramatik gegründet. Es soll erforschen, „wie Texte für neue digitale Bühnen entstehen können“. Einblicke dazu gibt es auf der bei Jugendlichen beliebten Plattform TikTok.

Alle Theater werden sich der digitalen Transformation stellen müssen.
Marcus Lobbes, Akademie Theater und Digitalität

„Alle Theater werden sich der digitalen Transformation stellen müssen“, betont der Direktor der Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität Marcus Lobbes. Diese Entwicklung habe schon vor der Corona-Pandemie begonnen, doch die Schließungen hätten als Booster gewirkt. Die Dortmunder Akademie versteht sich als Labor für das Theater der Zukunft. Lobbes: „Wir werden seit zwei Jahren von Anfragen überrannt.“

Theater vernetzen sich für den digitalen Wandel

Erst voriges Jahr hat sich das Theaternetzwerk „Digital“ gegründet, dem Bühnen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz angehören. „Wir wollen den digitalen Wandel aktiv und mit den Mitteln der Kunst gestalten; wir möchten uns neue Spiel- und Handlungsräume erschließen, wollen den physischen Bühnenraum ins Digitale erweitern und neue Formen der Zusammenarbeit testen“, heißt es dort. Auch der Deutsche Bühnenverein bereitet die Gründung einer Arbeitsgruppe „Digitales“ vor, um Erfahrungen zu bündeln.

Wir wollen das Theater nicht als physischen Versammlungsort abschaffen.
André Bücker, Intendant Theater Augsburg

Das Publikum stehe solchen neuen Formaten offener gegenüber als oft angenommen, berichten Lobbes und der Augsburger Intendant André Bücker. „Wir wollen das Theater nicht als physischen Versammlungsort abschaffen“, stellt Bücker klar. „Es wird neben analogen Bühnen künftig aber verstärkt auch digitale Bühnen geben. Und es geht darum, die Räume für darstellende Kunst und für Erzählungen zu erweitern.“

Allerdings wäre es wohl ein Trugschluss, beim Werben um junges Publikum ausschließlich auf neue Technik zu setzen. Das legt jedenfalls die Erfahrung von Nicola May nahe. „Mehr noch als von den VR-Brillen ist das junge Publikum bei uns davon fasziniert, dass es sich den Raum mit den Schauspielern teilt und diese mit ihm interagieren“, sagt die Baden-Badener Intendantin. „Das analoge Eintauchen in das Bühnenspiel ist offenbar immer noch etwas Besonderes.“

„Der goldne Topf“ in Baden-Baden

„Der goldne Topf“ am Theater Baden-Baden: 16., 17., 18., 21., Februar, jeweils 10.00 und 18.15 Uhr; 22. Februar, 10 Uhr. www.theater.baden-baden.de.

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