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Ausstellung „Munitionsfabrik“

Waffenbau und Zwangsarbeit: Karlsruher Hochschule dokumentiert die unrühmliche Geschichte ihres Gebäudes

Heute ein Kulturzentrum - einst die größte Munitionsfabrik der Welt: Der gigantische Hallenbau in Karlsruhe hat eine bewegte und oft sehr düstere Geschichte. Die dort angesiedelte Hochschule für Gestaltung (HfG) hat sie in einer Ausstellung dokumentiert.

Die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik in Karlsruhe, dargestellt in einem 1939 erschienenen Buch zum 50-jährigen Bestehen der Firma.
Historisches Dokument: So wurde die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik in Karlsruhe für ein 1939 erschienenes Buch zum 50-jährigen Bestehen der Firma fotografiert. Foto: Paul Wolff

Für Waffen gab es offenbar schon immer schnell Geld. Beziehungsweise für deren Produktion.

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde der „Blitzarchitekt“ Philipp Jakob Manz (1861 bis 1936) beauftragt, die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik in Karlsruhe um einen großen Hallenbau zu erweitern.

„Blitzarchitekt“ schuf gigantischen Hallenbau

Seinen Beinamen hatte Manz für seine Fähigkeit, zügig und effizient zu liefern. Und sein 1918 vollendeter Bau wurde dann schon während der Planungsphase größer dimensioniert als ursprünglich vorgesehen, mit zehn statt der zunächst angedachten acht Hallenhöfe.

Dieses Gebäude ist länger als die Titanic.
Thomas Rustemeyer, Hochschule für Gestaltung Karlsruhe

„Dieses Gebäude ist länger als die Titanic“, bringt Thomas Rustemeyer die Dimension auf den Punkt. Rustemeyer arbeitet in dem Hallenbau, der 318 Meter misst – der 1912 gesunkene Überseedampfer kam auf 269 Meter.

Untergebracht sind in dem Gebäude heute die Städtische Galerie, das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) und die Hochschule für Gestaltung (HfG).

An der HfG lehrt Thomas Rustemeyer Ausstellungsdesign und Szenografie. Er hat mit Studierenden drei Semester lang zur Geschichte des Gebäudes recherchiert. Hierbei wurden historische Dokumente aus dem Stadt- und dem Generallandesarchiv ausgewertet, aber auch bis in die Gegenwart reichende Spuren der einstigen Waffenschmiede recherchiert.

Ausstellung entstand zum 30-jährigen Bestehen der Hochschule

Die bemerkenswerten Ergebnisse dieses Seminars bilden nun die Ausstellung „Munitionsfabrik“, mit der die HfG eine Reihe an Veranstaltungen zu ihrem 30-jährigen Bestehen eröffnet.

„Ausstellung zur Geschichte eines ungeheuren Raumes“ lautet der Untertitel der Schau. Möglich wäre aber auch: „Ausstellung zur ungeheuren Geschichte eines Raumes“.

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Kunst statt Kugeln: Seit 1992 ist in der ehemaligen Munitionsfabrik unter anderem die Hochschule für Gestaltung untergebracht. Foto: Evi Künstle

Denn die Schau behandelt zwar auch die Entwicklung des Hallenbaus zum Kulturzentrum, von der Zwischennutzung durch freie Künstler in den 1980er Jahren bis zur HfG-Eröffnung 1992. Doch vor allem die Dokumente zur Zeit der DWM haben es in sich.

Das ganze Areal diente der Waffenproduktion

So dokumentieren die ausgestellten Lagepläne aus der Planungsphase des Hallenbaus, wie umfassend seinerzeit das gesamte Areal der bereits 1872 begonnenen Waffenproduktion diente. Wo heute das Arbeitsamt an der Brauerstraße steht, wurden Geschützhülsen produziert. Auf dem Gelände der heutigen Bundesanwaltschaft war unter anderem die Rohrzieherei angesiedelt.

Eine Rolle spielte der Hallenbau im Ersten Weltkrieg nicht mehr, um so mehr aber im Zweiten. Dieser wurde unter anderem in Karlsruhe vorbereitet, wo unter Bruch des Versailler Vertrags ab 1936 wieder Waffen gebaut wurden.

Und ein Foto in der Ausstellung lässt erahnen, warum diese gigantische Waffenfabrik nie bombardiert worden ist: Während des Krieges war das Dach fleckig angemalt, so dass der große Bau von oben wie eine Ansammlung der benachbarten Stadthäuser wirkte.

Ausbeutung und Zwangsprostitution in der NS-Zeit

Ganz besonders unrühmlich war in dieser Zeit das Kapitel der Zwangsarbeit tausender Menschen vor allem aus Osteuropa während der NS-Herrschaft. Zur Ausbeutung kam noch die Zwangsprostitution: Um den Kontakt zwischen den „Ostarbeitern“ und deutschen Prostituierten zu unterbinden, wurden Bordelle mit osteuropäischen Zwangsprostituierten eingerichtet.

Einer in der Ausstellung gezeigten Anordnung ist zu entnehmen, dass die „Anwerbung“ für jeweils sechs Monate „ausschließlich durch das Reichskriminalpolizeiamt“ erfolgen durfte und „der Bedarf mindestens 3 Monate vorher anzumelden“ war.

Nach dem Krieg ging es weiter - mit Nähmaschinen

Mit dem Krieg endete 1945 auch die Waffenproduktion auf dem Gelände. Die Waffen- und Munitionsfabrik, seit 1928 in Besitz des Industriellen Günther Quandt, firmierte nun als Industriewerke Karlsruhe-Augsburg (IWKA) und stellte unter anderem Nähmaschinen her, bis zur Aufgabe des Betriebs Ende der 1970er Jahre.

Foto aus dem 1939 erschienenen Buch „50 Jahre Deutsche Waffen und Munitionsfabriken“.
Schweres Gerät: Die Arbeit mit Kurbelpressen dokumentiert dieses Foto aus dem 1939 erschienenen Buch „50 Jahre Deutsche Waffen und Munitionsfabriken“. Im Hintergrund ist die charakteristische Lichthof-Architektur zu erkennen. Foto: Paul Wolff

Die Folgen der Waffenproduktion reichen aber bis in die Gegenwart. Studierende aus Rustemeyers Seminar haben in Online-Auktionshäusern etliche Einträge ausfindig gemacht, wo etwa Arbeitsgerät aus jener Zeit angeboten wird – oder tatsächlich Munition. Eine Schachtel mit Patronen (22 Hornet) wurde erworben und wird nun ausgestellt. „Der eigentliche Kostenfaktor dabei war, die Patronen für rund 70 Euro entschärfen zu lassen“, erklärt Rustemeyer.

Mit der oft düsteren Vorgeschichte ihres Domizils hat sich die HfG schon mehrfach befasst. 1998 veröffentlichte Sebastian Drost, Absolvent des ersten Jahrgangs an der 1992 gegründeten Hochschule, den Dokumentarfilm „Patronenwald“ über die Zwangsarbeit in der „einst größten Munitionsfabrik der Welt“, wie der ZKM- und HfG-Gründer Heinrich Klotz im Vorwort einer Broschüre zu Drosts Film schreibt.

Hartnäckige Legende um eine Torpedo-Teststation im Keller

Der Film wird in der Ausstellung ebenso präsentiert wie Exemplare der ebenfalls 1998 gegründeten Hochschulzeitschrift „Munitionsfabrik“.

Deren Ausgabe von 2019 mit dem Titel „Im Keller“ war dem Untergeschoss des gigantischen Baus gewidmet, um das sich teils sehr abenteuerliche Legenden ranken, wie Rustemeyer weiß: „Lange hielt sich das Gerücht, es habe dort eine Torpedo-Teststation gegeben.“

Service

„Munitionsfabrik – Ausstellung zur Geschichte eines ungeheuren Raumes“ bis 11. September im Lichthof der Karlsruher Hochschule für Gestaltung, Lorenzstraße 15. www.hfg-karlsruhe.de

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