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Abiturstoff für die Bühne

Theater in Baden-Baden und Pforzheim zeigen: So viel hat Abi-Lektüre „Felix Krull“ mit Selbstdarstellung zu tun

Was hat ein vor 70 Jahren veröffentlichter Roman mit dem Leben junger Menschen von heute zu tun? Eine ganze Menge, wollen zwei Theater mit „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ zeigen.

Szenenfoto „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ am Theater Baden-Baden, Premiere 23.09.2022
Jeder ist sich selbst der Schönste in Thomas Manns Roman über den Hochstapler Felix Krull, der unter anderem vom Theater Baden-Baden auf die Bühne gebracht wird. Foto: Jochen Klenk

Der Roman ist fast 70 Jahre alt. Genau genommen sogar rund 110 Jahre. Denn schon von 1910 bis 1913 schrieb Thomas Mann an seinem Buch „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, das er dann letzlich zwischen 1950 und 1954 fertigstellte. Und das soll ein zeitgemäßer Stoff für Abiturienten von heute sein?

Abi-Themen sind wichtiger Spielplan-Posten geworden

Durchaus, befinden Theatermacher landauf und landab. Wie seit einiger Zeit üblich sind die Lektürestoffe für das Deutsch-Abitur ein wichtiger Posten in den Spielplänen. So manche „Faust“- oder „Danton“-Inszenierung der vergangenen Jahre verdankte ihre hohe Aufführungszahl weniger dem Abendspielplan als den Vormittagsvorstellungen für Deutsch-Leistungskurse.

Der aktuelle Abi-Jahrgang darf sich nun durch rund 400 Seiten „Felix Krull“ lesen – und den Stoff auf der Bühne erleben. Gleich zu Spielzeitbeginn stehen Premieren in Baden-Baden (23. September) und in Pforzheim (30. September) auf den Spielplänen.

„Felix Krull“: Amüsante Geschichte eines virtuosen Schwindlers

Die gute Nachricht vorab: Das kann alles durchaus sehr unterhaltsam werden. Denn „Felix Krull“ ist ein Schelmenroman – die amüsante Geschichte eines virtuosen Schwindlers, der seiner Umgebung stets das vorgaukelt, was sie sehen und hören will und es damit vom mittellosen Hotelpagen bis zum Adelstitel bringt.

Nun könnte man einwenden, dass die Welt der Hotelpagen und Adelstitel heute eine weitaus weniger relevante Rolle spielt als vor 70 Jahren. Die Theatermacher hingegen sehen in dem Stoff sehr viele Zeitbezüge, gerade für ein junges Publikum. Denn der inhaltsleere Oberflächenglanz, über den sich Thomas Mann mit übertrieben galanter Sprache lustig machte, betrifft längst nicht mehr nur die Selbstdarstellung der Reichen und Schönen.

Was steckt hinter der Selbstdarstellung des eigenen Erfolgs?

„Erfolg zu haben und der Welt davon zu erzählen – das ist ein ganz wichtiger Punkt für sehr viele Menschen geworden“, glaubt Regisseur Daniel Foerster, der die Geschichte in Baden-Baden auf die Bühne bringt. „Das Eintauchen in die Welt und in den Aufstieg von Felix Krull macht viel Spaß. Aber wir wollen diese Darstellung des Funktionierens auch hinterfragen.“

Das Prinzip von Felix Krull sei, immer weiter und immer höher zu kommen, ohne dass ein echtes Ziel erkennbar werde. „Das lässt vermuten, dass seine Bewegung nach vorne auch eine Bewegung ist, die von etwas wegführen soll – von Selbstzweifeln und Problemen mit der eigenen Identität.“ Das sei ein Thema, das auch gegenwärtige Jugendliche auf der Suche nach sich selbst betreffe.

„Felix Krull hat die Fähigkeit, die Schattenseiten seines Daseins auszublenden“, sagt Dramaturgin Miriam Fehlker. Was zu Zeiten von Thomas Mann noch ein Hochstapler-Phänomen war, ist mittlerweile allgemein üblich in Social-Media-Selbstdarstellungen. Darauf weist die Inszenierung nicht ausdrücklich hin: „Wir belassen die Geschichte in der Zeit, in der sie spielt“, so Foerster.

Felix Krull ist keine individuelle Figur, sondern ein Prinzip.
Mattes Herre, Schauspieler in Baden-Baden

Dennoch werde diese „Demokratisierung“ der Selbstoptimierung angedeutet, denn im Lauf der Handlung schlüpft jedes der fünf Ensemblemitglieder mal in die Titelrolle. „Jeder kann Felix Krull sein“, sagt der Schauspieler Mattes Herre. „Er ist keine individuelle Figur, sondern ein Prinzip.“

Mit diesem Prinzip befasst man sich auch am Theater Pforzheim. Regisseur Elias Perrig sagt, ihn habe bei der Arbeit an der Stückfassung überrascht, wie aktuell Thomas Mann hier wirke: „Im Prinzip tauchen hier alle Anforderungen der modernen Arbeitswelt auf: Mobil sein, sich verkaufen können, ständig an der Selbstoptimierung arbeiten und mehr scheinen als man ist. Ich glaube, das Gefühl dieser Anforderungen kennen viele junge Menschen.“

Viele Hüllen aus Angst vor innerer Leere

Felix Krull selbst zeichne sich dadurch aus, ein schwacher Charakter zu sein, denn dadurch sei er so wandelbar: „Seine Fähigkeit ist, keine besonderen Fähigkeiten zu haben. Schon wenn er etwas anderes anzieht, ist er ein anderer Mensch.“ Das sei an vielen Stellen der Handlung sehr amüsant, so Perrig. Doch auch er sieht, wie Daniel Foerster in Baden-Baden, dahinter eine dunkle Stelle: „Wenn man immer wieder jemand anders ist, dann ist man im Kern vielleicht ganz leer.“ Die Angst vor dieser Leere schimmere bei Felix Krull immer wieder durch und werde auch den Schluss der Aufführung prägen.

Die bewusst künstliche Sprache des Romans wollen beide Aufführungen erhalten. „Darin einzutauchen macht mir großen Spaß“, sagt Perrig. „Auch, weil sie eine unterdrückte Verklemmtheit transportiert, die sehr gut zu diesem Stoff passt.“ Sprachliche Tabus gäbe es bis heute: „Auch wir haben Themen, über die wir nur sehr verklausuliert sprechen.“ Allerdings habe sich geändert, was als Tabu eingeschätzt wird: „Wie kompliziert Thomas Mann seine Figuren über manche Dinge sprechen lässt, die wir heute viel einfacher benennen – das ist oft auch ziemlich witzig.“

Service

Premiere in Baden-Baden: 23. September, 20 Uhr. Folgende Vorstellungen: 24. und 30. September, 20 Uhr; 25. September, 15 Uhr. Infos und weitere Termine: www.theater.baden-baden.de

Premiere in Pforzheim: 30. September, 19.30 Uhr. Folgende Vorstellungen: 2. Oktober, 19 Uhr; 9. und 16. Oktober, 15 Uhr. Infos und weitere Termine: www.theater-pforzheim.de

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