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Spuckschutzscheibe & Co

"Es wird so wenig Rücksicht genommen": Aldi-Mitarbeiterin erzählt von ihrem harten Corona-Alltag

„Wer in diesen Tagen an einer Supermarktkasse sitzt“, sagte am 22. März anerkennend die Bundeskanzlerin im Fernsehen, „der macht einen der schwersten Jobs, die es zur Zeit gibt. Danke, dass Sie (...) den Laden am Laufen halten". So hat Christine Brügmann erfahren, dass sie in Zeiten des Coronavirus systemrelevant ist.

Die Epidemie zwingt die Verkäuferinnen und Verkäufer in den Märkten zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen.
Die Epidemie zwingt die Verkäuferinnen und Verkäufer in den Märkten zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen. Foto: dpa (Symbolfoto)

Obst, Gemüse, Konserven und Milchprodukte in Regale einräumen, mit einem „Guten Tag“ an der Kasse die Kunden begrüßen, die Ware scannen, das Restgeld auszahlen. 30 Jahre lang. Nie hat jemand Christine Brügmann diesen Satz gesagt: „Ich freue mich, dass Sie da sind.“ Bis jetzt.

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„Es ist ein neues Gefühl, diese Anerkennung“, sagt sie am Telefon. „Die Leute schenken uns Süßigkeiten, sie schreiben Dankesbriefe. Schön!“ Ein Lichtblick im ansonsten schwierigen Alltag einer Discounter-Mitarbeiterin, die in der Corona-Epidemie mit Unsicherheit, Angst und Stress bis zur Belastungsgrenze leben muss.

Es wird so wenig Rücksicht genommen.
Christine Brügmann, Aldi-Mitarbeiterin (Name geändert)

Sie kontaktierte die BNN erstmals vor drei Wochen in einer E-Mail. „Auch wir sind nur Menschen. Wir tun unser Bestes, damit es genug Nachschub gibt, aber es wird so wenig Rücksicht genommen." Die Frau, die diese Zeilen schrieb, bat darum, anonym bleiben zu können. Aus Sorge um ihren Job, aber auch aus Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber.

Christine Brügmann arbeitet in einem Aldi-Markt nicht weit von Karlsruhe, aber sie heißt anders. Die dreifache Mutter ist verheiratet mit einem Lkw-Fahrer, der an Bluthochdruck leidet und zur Corona-Risikogruppe zählt. Wenn die 48-Jährige täglich in ihren Laden arbeiten geht, macht sie sich Gedanken, dass sie das Virus nach Hause mitbringen und so ihren Mann töten könnte.

Covid-19-Krise ist wie Weihnachten und Ostern gleichzeitig

„Es ist wie Weihnachts- und Ostergeschäft gleichzeitig, ein Zustand, den ich in meinem Beruf noch nie erlebt habe“: So schilderte Brügmann in ihrer E-Mail Mitte März den Ansturm der Käufer, als die Epidemie in der Region an Fahrt aufnahm.

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„Wir sind total überlastet. An der Kasse herrscht ein viel zu geringer Abstand. Nicht nur zur Kassiererin, sondern auch die Kunden drängen sich dicht an dicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Mitarbeiter infiziert sind.“ Die Menschen wollten einfach alles haben, erinnert sie sich heute: „Wir haben nur mit den Köpfen geschüttelt: Nudeln, Reis, Konserven – alles ging weg, und jeden neuen Tag wurde es bei uns voller."

Streifen auf dem Boden zeigen Abstand an

Mittlerweile habe der Trubel in ihrem Aldi ein wenig nachgelassen, vor allem aber seien einige Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden. „Das Wachpersonal draußen achtet darauf, dass nicht zu viele Leute auf einmal hineindrängen. Wir haben Abstandsstreifen auf den Boden geklebt, und die Kunden halten sich in der Regel daran“, erzählt Brügmann.

Sie ärgert sich jedoch über manche Menschen, die den Einkauf auch als eine Gruppen-Freizeitaktivität begreifen würden. „Da sie nirgendwo mehr hinkönnen, weil Spielplätze, Bäder und alles andere geschlossen haben, geht die ganze Familie in den Supermarkt shoppen und lässt dann gerne mal die Kinder durch den Laden toben. Und wenn man dann vorsichtig etwas sagt, schauen solche Leute uns nur verständnislos an."

Nur noch zwei Personen pro Einkauf?

Sie wünscht sich von der Regierung, dass eine Begrenzung von zwei Personen pro gemeinsamen Einkauf eingeführt wird. Denn: „Jede Person mehr ist eine Gefahrenquelle mehr.“ Sinnvoll seien zudem einheitliche Regeln beim Einlass: „Wenn man bei einem Supermarkt draußen warten muss und beim anderen nicht, dann gehen die Leute dorthin, wo es einfacher ist. Im Moment kocht aber jeder sein eigenes Süppchen.“

Geschäfte, die sich zu wenig um die Sicherheit ihrer Kunden kümmern, nennt Christine Brügmann spöttisch „Corona-Brutstätten“. Auch in ihrem Aldi sei nicht alles perfekt. „Zwar ist der provisorische Spuckschutz einer richtigen Plexiglasscheibe gewichen. Trotzdem sind wir nicht gut geschützt: Da die Kartenlesegeräte sehr hoch angebracht sind, sind auch die Löcher groß."

Generell komme der Kunde heute zu nahe an die Kassiererinnen: „Manche Menschen vergessen noch den Abstand, wenn sie nach etwas suchen und mich fragen, während ich die Regale einräume.“

Aldi-Mitarbeiterin hat Angst vor dem Coronavirus

Sie trägt Einmal-Handschuhe, wäscht sich zigmal die Hände bei der Arbeit, und hat dennoch Angst, über das Bargeld mit dem Virus angesteckt zu werden: „Ich weiß ja nicht, ob jemand vielleicht gerade in seine Hand geniest hat und dann damit einen Schein aus der Geldbörse holt. Mir wäre es lieber, die Leute würden mehr mit der Karte zahlen."

Sie will keine Gefahr für ihren Ehemann sein – oder ältere Menschen in ihrem Umfeld: „Darum würde ich, wenn ich könnte, eine FFP2-Schutzmaske tragen. Angeblich hat Aldi sie bestellt."

Die Frau, die „den Laden am Laufen hält“, sagt einen baldigen Ansturm auf die Supermärkte voraus, der von ihr und ihren 14 Kolleginnen alles abverlangen wird. „Vor Ostern wird mordsmäßig viel los sein“, sorgt sich Christine Brügmann. „Ich bin nur froh, dass Aldi jetzt nicht auch noch sonntags auf hat. Denn irgendwann braucht das Personal auch mal einen Tag zum Atmen."

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