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Pro und Kontra

Armut und soziale Benachteiligung: Kann die Kindergrundsicherung helfen?

Die Ampel streitet darüber, wie man armutsgefährdeten Kindern in Deutschland helfen soll. Im Kern geht es darum, ob zusätzliche Sozialleistungen die Lage der betroffenen Familien verbessern.

Ein Kind hält bei der Kundgebung der Initiative #ichbinarmutsbetroffen am Bundeskanzleramt ein Plakat mit der Aufschrift „Wir brauchen gesundes Essen! Armut abschaffen!“
Dass es im wohlhabenden Deutschland noch relativ viele Kinder gibt, die unter sehr armen Verhältnissen aufwachsen, ist unstrittig. Die Politik tut sich allerdings schwer damit, Lösungen für dieses Problem zu finden. Foto: Paul Zinken /dpa

Die Bundesregierung kann sich nicht auf eine gemeinsame Linie bei der im Koalitionsvertrag vereinbarten Kindergrundsicherung einigen. Wegen offener Fragen bei ihrer Finanzierung hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) vor etwa einer Woche das Wachstumschancengesetz ihres FDP-Kabinettskollegen Christian Lindner blockiert, mit dem der deutschen Wirtschaft unter die Arme gegriffen werden soll. 

Der Koalitionskrach hat zu einer kontroversen Debatte geführt, ob Paus’ Gesetzesprojekt den von Armut betroffenen Kindern und ihren Familien wirksam helfen kann oder nicht. Auch in unserer Redaktion gehen die Meinungen darüber auseinander, wie die Redakteure Alexei Makartsev und Elvira Weisenburger schildern.

Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland lebt dauerhaft in armen Verhältnissen – das ist seit Jahren bekannt. Der Anteil der Kinder in den ärmsten Haushalten der Republik ist zuletzt sogar noch angestiegen. Dass in einem der reichsten Länder der Welt mehr als zwei Millionen Minderjährige aus Geldmangel häufiger einen schlechten Gesundheitszustand haben, vom gesellschaftlichen Leben abgekoppelt sind und geringere Bildungschancen erhalten, ist ein blamabler und absolut untragbarer Zustand. 

Es ist höchste Zeit zu handeln. Familienministerin Paus tut das jetzt und setzt überdies einen Punkt aus dem Koalitionsvertrag um. Die Grüne kämpft dafür, dass die ärmsten und sozial schwächsten Familien finanziell gefördert werden, damit sich die Situation ihrer Kinder verbessern kann. Es ist völlig unbegreiflich, warum sich manche Politiker mit Händen und Füßen dagegen wehren.

Normale Kindheit ist für manche ein Luxus

Es ist nachgewiesen, dass Geldleistungen für arme Kinder in den ersten Lebensjahren langfristig ihre schulischen Leistungen verbessern und später ihre beruflichen Möglichkeiten erweitern können. Es geht noch um mehr: Den benachteiligten Kindern die Möglichkeit zu geben, auch mal ins Kino oder ins Schwimmbad zu gehen, einem Sportverein beizutreten, gesünder zu essen und anstatt die abgetragene Kleidung von Geschwistern anziehen zu müssen, sich Sachen zu kaufen, für die man sich gegenüber den Gleichaltrigen nicht schämen muss. Ist das wirklich zu viel?

Es geht keineswegs nur um Geldtransfers, sondern auch um andere Leistungen für bedürftige Familien. Vielleicht würden nicht alle Eltern, die für ihre Kleinen die Kindergrundsicherung erhalten, diese Möglichkeiten nutzen. Aber ein großer Teil schon, und alleine das bringt uns bei der Armutsbekämpfung weiter. Wer sich dagegen sperrt, solchen Familien die Chance zu eröffnen, den Fluch der Armut zu überwinden, hat kein Herz. Er erkennt zudem nicht, dass eine solide finanzierte Unterstützung von Kindern die bestmögliche Investition in Deutschlands Zukunft ist – was jüngst auch seriöse Wirtschaftsexperten bestätigt haben.

Dieser Staat sollte dringend Kinder aus der Armut holen und ihnen die Chance auf eine gute Ausbildung eröffnen, keine Frage. Auch der geplante Bürokratie-Abbau bei der Kindergrundsicherung ist sinnvoll. Erschreckend fantasielos ist jedoch die Kernidee von Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Co: Wir überweisen möglichst viele Milliarden zusätzlich an die Eltern – und dann wird alles besser.

Gerade bei vernachlässigten Kindern wird von diesem Geld wenig ankommen – bei Kindern, die hungrig zur Schule kommen, die keine Geborgenheit kennen, mit denen keiner spielt, liest oder zum Sportverein geht. Ihre Eltern schalten wegen einiger Geldscheine gewiss nicht über Nacht auf fürsorglich um. Wer das ausspricht, gilt rasch als kaltherzig. Aber die Sozialpolitik braucht einen Perspektivwechsel: Arbeit und Bildung müssen im Zentrum stehen und belohnt werden. Und der Staat muss die Mitwirkung einfordern.

Wer Kindern ein besseres Leben bieten will, muss sicherstellen, dass sie auch geistige Nahrung und Zuwendung erhalten – und dass sie die deutsche Sprache beherrschen. Ihre Eltern müssen aus der Bedürftigkeit herauskommen, eine Ausbildung nachholen, arbeiten. All das wird auch viel Geld kosten, und es ist verflixt schwierig, weil Erzieherinnen, Lehrkräfte und Sozialarbeiter rar sind. Aber an dieser Mammutaufgabe führt kein Weg vorbei – sonst wird dieser Sozialstaat kollabieren.

Schon heute erhält ein arbeitsloses Paar mit drei Kindern verschiedener Altersklassen rund 4.000 Euro Bürgergeld im Monat (inklusive Wohnkosten). Obendrauf gibt es Geld für Schulhefte, Klassenfahrten und Mittagessen in Kita und Schule. Dass der Staat solche Beträge jahrelang überweist, ohne Gegenleistungen zu fordern, schafft riesige Anreize für Armutszuwanderer. Und es steigert offenkundig die Wut bei den Menschen, die für weniger Geld arbeiten gehen und Sozialabgaben zahlen. Und diese Entwicklung gefährdet auch unsere Demokratie.

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