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Briten bleiben EU-Bürger

Brexit führte in Karlsruhe, Rastatt und der Region zu vielen Einbürgerungen

Goodbye, Großbritannien: Nach vielen Jahren Streit und Ungewissheit verlässt an diesem Freitag das Vereinigte Königreich die EU. Das erzeugt Frust bei vielen Briten, die in Deutschland leben. Sie wollen in der Regel ihre Staatsbürgerschaft nicht aufgeben, sorgen sich aber über mögliche Komplikationen nach dem Brexit – und haben sich deshalb rechtzeitig um den deutschen Pass bemüht.

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Glynis Weber aus Waldbronn besitzt die deutsche und britische Staatsbürgerschaft. Foto: Alexei Makartsev

Goodbye, Großbritannien: Nach vielen Jahren Streit und Ungewissheit verlässt an diesem Freitag das Vereinigte Königreich die Europäische Union. Das erzeugt Frust bei vielen Briten, die in Deutschland leben. Sie wollen in der Regel ihre Staatsbürgerschaft nicht aufgeben, sorgen sich aber über mögliche Komplikationen nach dem Brexit – und haben sich deshalb rechtzeitig um den deutschen Pass bemüht.

„Ich hätte Ihnen einen Yorkshire Tea anbieten sollen“, sagt Glynis Weber reumütig, als sie den Gast zur Wohnungstür begleitet. Das macht nichts. Glynis hat eine Stunde lang über ihr Leben in Baden und den Brexit erzählt, und es bedurfte keiner britischen Spezialität, um den Lebenslauf der 66-jährigen Waldbronnerin noch interessanter zu machen als er ohnehin schon ist.

„Tea and biscuits“ in Waldbronn

Sie preist deutsche Tugenden wie die Ordentlichkeit in dem schönen nordenglischen Dialekt an, wie er in der Nähe von Liverpool gesprochen wird. Sie schaut bei „tea and biscuits“ die BBC-Sendungen im Wohnzimmer ihrer Dachwohnung, deren Einrichtung man wohl als „typisch deutsch“ bezeichnen könnte. Glynis Weber mag Prinz Harry und nennt sich eine überzeugte „Royalistin“. Mit einem deutschen Pass.

Die pensionierte Ex-Marketing-Mitarbeiterin einer US-Firma stammt aus der westbritischen Stadt Ormskirk und lebt schon seit vier Jahrzehnten in Waldbronn. Sie nennt sich gut integriert, und dennoch verspürte Glynis lange keinerlei Drang, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Bis ihr klar wurde, dass sich ihr Land infolge des Brexit-Referendums von 2016 unweigerlich von Europa verabschieden würde.

Beim deutschen Eid flossen die Tränen

„Ich will Europäerin sein und mich im Ausland frei bewegen. Außerdem ist Deutschland die meiste Zeit meines Lebens meine Heimat gewesen“: So begründet die energische blonde Frau ihren Antrag auf die Einbürgerung. Als sie im Februar 2019 die deutsche Eidesformel sprach, kamen Glynis die Tränen.

Sie dachte an ihre Mutter, die nach dem Krieg nach England ausgewandert war und auf den Tag genau vor 71 Jahren Britin wurde. Sie selbst fühlt sich wohl in Deutschland und vermisst nur das Meer. Den Brexit findet Glynis furchtbar. „Die einzigen, die daran verdienen werden, sind Juristen“, schimpft sie.

Ärger über eine verpasste Abstimmung

Auch Joy Dickinson ist „sehr traurig“ über den EU-Austritt. Die 51-jährige Hausärztin hat einen deutschen Ehemann und lebt seit 2000 in Pfinztal. Joy ärgert sich darüber, am Referendum vor vier Jahren nicht teilgenommen und somit keine Stimme für den EU-Verbleib abgegeben zu haben: „Ich dachte damals nicht, dass es nötig ist.“ Seit vier Monaten hat die Britin auch einen deutschen Pass. „Ich kann frei reisen und in Großbritannien wählen“, freut sie sich.

Kurz vor dem Brexit hat unsere Redaktion einige Briten in der Region befragt, wie sie den Alleingang ihres Heimatlandes sehen – und was sie jetzt dazu bewogen hat, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Einstimmig gaben sie dafür vor allem praktische Gründe an: Keiner wollte demnächst in Deutschland als Drittstaatler böse Überraschungen erleben. „Es ist besser, beide Staatsangehörigkeiten zu haben. Das verschließt für mich keine Tür“, sagt offen der Baden-Badener Graeme Dimmock .

Britischer Humor und deutsche Pünktlichkeit

„Es geht um die Bewegungsfreiheit und andere Annehmlichkeiten, die Europa bietet“, erklärt Mark Hooper aus Ettlingen. Der Fachinformatiker mit einem englischen Vater hat fast sein ganzes Leben in Deutschland verbracht und schätzt gleichermaßen britischen Humor und deutsche Pünktlichkeit, Dickens und Goethe. „Ich bin skeptisch, dass der Brexit ein Erfolg sein wird. Den Briten werden die Augen aufgehen, wenn sie die harte Realität erkennen“, glaubt Hooper.

Der 50-Jährige hat bei einer Feier für Neubürger in Karlsruhe eine Rede gehalten und vergnügt seinen Opa zitiert, der im Krieg an der Atlantikküste stationiert war: „,Marrck’, sagte er mir in seinem ostpreußisch gefärbten Deutsch, „da waren wir in La Rochelle und sangen ,Bomben auf Engeland‘ – und schau: Jetzt habe ich einen englischen Schwiegersohn!‘“

56 Briten erhielten den deutschen Pass

Als Leiter des Amtes für Straßenverkehr, Ordnung und Recht beim Landkreis Karlsruhe ist Bernhard Bösherz für die Einbürgerung Hoopers und anderer Briten zuständig. „Wie erwartet, sind zuletzt die Antragszahlen gestiegen“, sagt er. Im Jahr 2019 hätten 531 Menschen im Landkreis einen deutschen Pass erhalten, davon waren 56 Briten. Drei Jahre zuvor waren es gerade einmal sechs Personen gewesen.

Laut Bösherz bearbeitet seine Behörde derzeit noch eine „zweistellige Zahl“ an offenen Anträgen. Wer sich um die deutsche Staatsbürgerschaft vor diesem Freitag beworben habe und alle Voraussetzungen erfülle, werde sie auch nach dem Brexit erhalten, versichert der Amtsleiter. Alle anderen Briten hier würden jedoch ihre früheren EU-Vergünstigungen aufgeben müssen.

Im Landkreis Rastatt und im Stadtkreis Baden-Baden hat sich seit 2016 ein großer Teil der rund 250 dort lebenden Briten einbürgern lassen. 71 haben seit dem Beginn der Brexit-Diskussion einen deutschen Pass bekommen, alleine 30 davon im vergangenen Jahr.

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