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Rechte der jungen Generation achten

Bundesverfassungsgericht verwirft Klimaschutzgesetz: „Fridays-for-Future“ feiert Sieg in Karlsruhe

Als „historisch“ feiern Klimaaktivisten, Umweltschützer und die Grünen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz. Die Karlsruher Richter werfen der Regierung vor, die Rechte der jungen Generation zu verletzen.

Fridays For Future vor dem Bundesverfassungsgericht 29.04.2021 Fridays For Future Aktivisten begrüßen vor dem Bundesverfassungsgericht das Urteil zum Klimaschutzgesetz
„Handelt jetzt oder schwimmt später“: Aktivisten von Fridays for Future weisen am Donnerstag vor dem Bundesverfassungsgericht auf die Dringlichkeit ihres Anliegens hin. Das Gericht hat in einem spektakulären Urteil ihre Position gestärkt. Foto: Nicolaj Zownir/Imago Images

Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht der „Fridays-for-Future“-Bewegung und Mitinitiatorin der Protestbewegung in diesem Land, konnte es schier nicht fassen. „WIR HABEN GEWONNEN!!!“, schrieb die 25-jährige Studentin und Klimaschutzaktivistin am Donnerstag begeistert in Großbuchstaben auf Twitter.

Als Vertreterin der Protestbewegung hatte sie vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Klimaschutzgesetz der schwarz-roten Bundesregierung geklagt – und in einem entscheidenden Punkt gewonnen.

„Es ist riesig. Klimaschutz ist nicht nice-to-have, Klimaschutz ist unser Grundrecht“, jubelte sie und zeigte sich gleichzeitig entschlossen, nicht locker zu lassen: „Jetzt kämpfen wir weiter, für eine 1,5-Grad-Politik, die unsere zukünftigen Freiheiten schützt, statt sie zu gefährden.“

Klimaschutz schützt unsere Freiheit.
Annalena Baerbock, Parteichefin der Grünen

Mit ihrem Jubel war die Freundin und Vertraute der FFF-Gründerin Greta Thunberg am Donnerstag nicht alleine.

Die Begeisterung über den Spruch des Ersten Senats mit Gerichtspräsident Stephan Hartbarth, mit dem das von der Großen Koalition Ende 2019 verabschiedete Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde, reichte von den Grünen über die Umweltschutzverbände bis hin zu den Vertretern der Solar- und Windenergiebranche.

Grünen-Chefin und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock feierte das Urteil als eine „historische Entscheidung“: „Klimaschutz schützt unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel.“

Die Grünen würden im Fall einer Regierungsbeteiligung das Land auf die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens ausrichten und das Klimaschutzgesetz entsprechend ändern, versprach sie.

Von einem „sensationellen Urteil“ sprach der Chef von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser. „Mit diesem Urteil ist klar, dass der Kohleausstieg in Deutschland deutlich vorgezogen werden muss, dass klimaschädliche Verbrennungsmotoren viel schneller von der Straße müssen und wir eine Landwirtschaft brauchen, die Klima und Natur nicht weiter schädigt, sondern künftig schützt“, sagte er.

Das sei ein „historischer Tag“, ein „Feiertag für all die vor allem jungen Menschen, die unermüdlich für besseren Klimaschutz auf die Straße gegangen sind“.

Richter setzen Frist bis Ende 2022

Zuvor hatten die Karlsruher Hüter mit ihrem Beschluss den Gesetzgeber verpflichtet, bis Ende kommenden Jahres die deutschen Reduktionsziele für den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Artikel 20a des Grundgesetzes verpflichte den Staat zum Klimaschutz, das ziele auch auf die Herstellung von Klimaneutralität.

Da die Vorschriften des Klimaschutzgesetzes die hohen Emissionsminderungslasten aber erst auf die Zeiträume nach 2030 verschieben, seien die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden in ihren Freiheitsrechten verletzt.

Es drohen Freiheitseinbußen

Unmissverständlich stellten die Richterinnen und Richter fest: „Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde.“ Und in ihren Leitsätzen zum Beschluss schrieben sie, es bestehe die Notwendigkeit, „mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren können“ (Az 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20 und 1 BvR 288/20).

Epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen.
Peter Altmaier, Bundeswirtschaftsminister (CDU)

Vertreter der Bundesregierung und der Koalitionsparteien Union und SPD reagierten unterschiedlich auf das Urteil – und schoben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu. Umweltministerin Svenja Schule von der SPD sprach von einem „Ausrufezeichen“. Auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU, einst selbst Umweltminister, begrüßte das Urteil ebenfalls.

„Es ist epochal für Klimaschutz und Rechte der jungen Menschen“, zudem sorge es für Planungssicherheit für die Wirtschaft. Klimaschützer warfen ihm allerdings vor, dass sich das Karlsruher Urteil auch gegen seine Arbeit richte.

Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz verwies darauf, dass die Union seiner Erinnerung nach ein schärferes Klimaschutzgesetz verhindert habe, nicht die SPD. Direkt an Altmaier gewandt, schrieb er auf Twitter: „Aber das können wir rasch korrigieren. Sind Sie dabei?“ Altmaier seinerseits verwies auf die Zuständigkeit des SPD-geführten Umweltressorts.

Verabschiedung erst durch den neuen Bundestag

Und was bedeutet das konkret? Sowohl Scholz wie Schulze kündigten an, das Klimaschutzgesetz so verändern zu wollen, dass es den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspreche.

Er erwarte, dass die Vorlage dann auch die Zustimmung der gesamten Bundesregierung bekomme, sagte Scholz an die Adresse von CDU und CSU. Nach Angaben von Schulze sei das Umweltministerium bereit, noch in diesem Sommer die ersten Eckpunkte für die Klimaschutz-Maßnahmen ab 2030 festzulegen.

Das Gesetz kann dann allerdings erst der neue Bundestag nach der Wahl im September und der Regierungsbildung verabschieden.

CO2-Neutralität bis 2050

Nach dem bislang geltenden Gesetz soll der Ausstoß der Treibhausgase bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt werden, bis 2050 soll dann praktisch CO2-Neutralität herrschen.

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