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Alle Rentenbescheide müssen neu berechnet werden

Die Grundrente kommt, doch das Geld fließt erst in einem Jahr

Auf die Rentenversicherung Baden-Württemberg kommt viel Arbeit zu. Die Ältesten sollen zuerst in den Genuss des Zuschlags kommen.

ARCHIV - 08.03.2015, Berlin: ILLUSTRATION - Eine Frau am holt Münzen aus ihrem Portemonnaie. (zu dpa «Immer mehr Rentnern reicht Geld nicht» vom 29.12.2018) Foto: Stephanie Pilick/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Verwendung weltweit
Mehr Geld im Geldbeutel: Für Rentnerinnen und Rentner mit geringen Altersbezügen gibt es ab dem kommenden Jahr einen Zuschlag. Doch die Hürden für die Grundrente sind hoch. Foto: Stephanie Pilick

Ab 1. Januar kommenden Jahres haben Rentner mit niedrigen Altersbezügen Anspruch auf die Grundrente, die über dem Niveau der Grundsicherung liegt. In Baden-Württemberg sind davon 160.000 Frauen und Männer betroffen. Doch sie müssen sich gedulden. Bevor die Grundrente ausbezahlt werden kann, müssen erst einmal alle Rentenbescheide neu berechnet werden. Das dauert.

Gerda Schneider hatte es nicht leicht im Leben. Geboren während des Zweiten Weltkrieges, machte die heute 77-Jährige, die mit ihrem richtigen Namen nicht an die Öffentlichkeit will, nach dem Hauptschulabschluss eine Lehre als Verkäuferin und arbeitete in einer Bäckerei.

Später wechselte sie in die Buchhaltung einer Einkaufsgenossenschaft. Als das erste Kind unterwegs war, blieb sie zuhause und kümmerte sich um die Familie.

404 Euro Rente pro Monat

Nach einer längeren Auszeit arbeitete sie halbtags in einem Büro, ehe sie erst den Vater, dann die Mutter pflegte. In den letzten Jahren vor dem Ruhestand saß sie als Minijobberin an der Kasse eines Supermarktes.

Dafür erhält sie eine Rente von 473 Euro im Monat – deutlich unter dem Niveau der Grundsicherung. Zusammen mit ihrem Mann, der 46 Jahre in Vollzeit beschäftigt war, lebt sie im eigenen Haus. Die beiden Renten und eine Lebensversicherung gewähren ein auskömmliches Leben.

Der Lebenslauf von Gerda Schneider ist typisch für viele Frauen ihrer Generation. Die Männer arbeiteten, die Frauen blieben irgendwann zu Hause und begnügten sich, wenn sie überhaupt ins Berufsleben zurückkehrten, später mit schlecht bezahlten Teilzeitjobs.

Entsprechend niedrig sind ihre Renten. Vor allem für sie ist die Grundrente gedacht, deren Einführung Union und SPD in der letzten Sitzungswoche des Bundestags vor der Sommerpause zum 1. Januar kommenden Jahres beschlossen haben.

Aktualisierung dauert bis Ende 2022

Doch ob auch die 77-Jährige in den Genuss einer Rentenerhöhung kommt, ist offen. Und es wird nach den Worten von Andreas Schwarz, dem Ersten Direktor der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, noch mindestens ein Jahr dauern, bis seine Behörde die Ansprüche ermittelt hat.

Wenn alles klappt, könnten etwa Ende Juli/Anfang August kommenden Jahres die ersten Gelder an die Betroffenen ausbezahlt werden. Und bis man die Konten von allen 1,47 Millionen Rentnerinnen und Rentnern im Südwesten aktualisiert habe, werde es wohl Ende 2022 werden. Da das Gesetz aber zum 1. Januar in Kraft tritt, dürfen sich die Anspruchsberechtigten auf eine üppige Nachzahlung freuen.

217 neue Mitarbeiter

„Das wird eine Herkulesarbeit“, sagt Schwarz. Er vergleicht die Herausforderungen, vor denen die Rentenkasse steht, mit der Herstellung der Renteneinheit nach der Wiedervereinigung Anfang der 90-er Jahren. Allein in Baden-Württemberg stellt die Rentenversicherung 217 neue Mitarbeiter ein. Bundesweit werden 3.439 zusätzliche Kräfte benötigt, um alle 26 Millionen bestehenden Rentenkonten zu überprüfen.

Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) beziffert alleine die reinen Verwaltungskosten, die durch die Einführung der Grundrente entstehen, auf rund 400 Millionen Euro - bei Gesamtkosten von etwa 1,3 bis 1,5 Milliarden Euro.

Denn um den Zuschlag zur regulären Rente zu bekommen, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muss man auf mindestens 33 Beitragsjahre kommen, wozu auch die Zeiten für die Kindererziehung sowie der häuslichen Pflege von Angehörigen gehören.

Dabei dürfen aber die im Schnitt erworbenen Rentenansprüche nicht zu niedrig sein – Jahre, in denen sie weniger als 30 Prozent des durchschnittlichen Einkommens aller bundesdeutschen Versicherten verdiente, zählen nicht. Ebenso nicht Zeiten der Arbeitslosigkeit oder geringfügiger Beschäftigung.

Einkommen wird geprüft

Zum anderen dürfen Ehepaare zusammen nicht mehr als 2.300 Euro pro Monat an Einkommen haben. Liegen sie darüber, gehen sie leer aus, bei einem Einkommen zwischen 1.950 und 2.300 Euro bei Paaren wird der Zuschlag gekürzt. Alleinstehende haben bis zu einem Einkommen von 1.250 Euro im Monat den vollen Anspruch auf Grundrente, ab 1.600 Euro entfällt er.

Andreas Schwarz geht davon aus, dass in Baden-Württemberg rund 160.000 Rentnerinnen und Rentner in den Genuss des Zuschlags kommen, bundesweit werden es rund 1,3 Millionen sein.

Bis allerdings der erste Bescheid versendet werden kann, kommt auf die Deutsche Rentenversicherung in den kommenden Monaten viel Arbeit zu. Sie muss die Konten aller Rentnerinnen und Rentner in der Bundesrepublik überprüfen und in einem Abgleich mit den jeweils zuständigen Finanzämtern von sich aus ermitteln, wer Anspruch auf die neue staatliche Leistung hat.

Die Betroffenen selber müssen keinen Antrag stellen, kein Formular ausstellen und keinen Behördengang vornehmen. Für die Neuberechnung der Rentenansprüche ist eine neue Software nötig. „Das braucht Zeit, bis die Programme entwickelt, getestet und betriebsbereit sind“, sagt Andreas Schwarz.

Rentenversicherung betritt Neuland

Anders als in der freien Wirtschaft üblich, könne die Rentenversicherung nicht mit einer unfertigen Software arbeiten, die erst bei laufendem Betrieb auf Fehler überprüft und korrigiert wird. „Wenn wir fehlerhafte Bescheide ausstellen, gibt es einen Aufschrei und massenhaft Widerspruchsverfahren. Das können wir uns mit Blick auf das Vertrauen in unsere Arbeit und auf unsere Reputation nicht leisten.“ Zudem betritt seine Behörde beim Datenaustausch mit den Finanzämtern absolutes Neuland. Da müsse in jedem Fall sichergestellt sein, dass die strengen Vorschriften des Datenschutzes beachtet werden, sagt der 58-jährige Jurist.

Für seine Behörde hat Schwarz eine klare Vorgabe: Als Erstes kommen die Ältesten dran – die rund 91.000 Rentnerinnen und Rentner, die vor dem 1. Januar 1992 in den Ruhestand gegangen sind und sich im Behördendeutsch im „Rechtszustand der Reichsversicherungsordnung“ befinden.

Erst danach kommen die 1,38 Millionen Rentnerinnen und Rentner, für die das Sozialgesetzbuch VI gilt, darunter 242.000 Renten mit Auslandsbezug. Und schließlich müssen auch noch die Ansprüche der rund 75.000 Badener und Württemberger berechnet werden, die in diesem Jahr neu aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

Es wird Enttäuschung, Frustration und Ärger geben.
Andreas Schwarz, Direktor der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg

Bei der Neuberechnung werde man „noch manche Überraschung erleben“, ist sich Schwarz sicher. „Jede Biografie ist anders, jedes Erwerbsleben verläuft anders, es gibt Brüche, Krankheiten, Arbeitslosigkeit.“ Das sei alles „sehr kleinteilig“, jeder Einzelfall müsse einzeln berechnet werden. Und da sich die Grenzwerte wie der aktuelle Rentenwert jedes Jahr ändern, müssen auch in den Folgejahren alle Renten jährlich neu berechnet werden.

Mit den Rentenansprüchen allein ist es zudem nicht getan, in einem weiteren Schritt muss im Abgleich mit den Finanzämtern geprüft werden, ob die Betroffenen auch noch andere Einkünfte wie Kapitalerträge, Betriebsrenten oder Mieteinnahmen haben. Da in diesem Fall die Steuererklärung des vorvergangenen Jahres als Grundlage dient, zählt für Neurentner zunächst noch das damals erzielte Arbeitseinkommen, zudem wird auch das Einkommen des Ehe-oder Lebenspartners mit berücksichtigt. „Da haben wir noch viel Neuland vor uns“, gibt Schwarz zu, gerade bei der Einkommensanrechnung seien „noch viele Fragen offen“.

Jedes Erwerbsleben verläuft anders. Es gibt Brüche, Krankheiten, Arbeitslosigkeit.
Andreas Schwarz, Direktor der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg

Und was bedeutet das alles für Gerda Schneider? Auch ihre Ansprüche müssen erst noch konkret berechnet werden. Ein erster Blick auf ihre Biografie aber gibt zu wenig Hoffnung Anlass. Zwar liegt ihre Rente deutlich unter dem Niveau der Grundsicherung, aber weil sie nach der Geburt der Kinder viel zu lange ausgesetzt und zuletzt nur noch einen Minijob hatte, kommt sie nicht auf 33 Versicherungsjahre. Das aber ist das Minimum, um überhaupt einen Anspruch zu haben. Andreas Schwarz ahnt: „Es wird Enttäuschung, Frustration und Ärger geben.“

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